piwik no script img

Protestgesten der DFB-ElfKleine deutsche Kniekunde

Warum das deutsche Fußballnationalteam mit den Engländern in die Knie geht, in Ungarn aber derlei Protestzeichen nicht plant.

Solidarität mit den Engländern: Die deutschen Nationalspieler gehen gegen Rassismus in die Knie Foto: Christian Charisius/dpa

O ft sind es die einfachen Fragen, die das Gegenüber entblößen. Ob die deutsche Nationalelf vor dem Anpfiff in Budapest am Samstag wieder auf die Knie gehen werde, wollte man vom DFB-Direktor Oliver Bierhoff wissen. „Nein, die Überlegungen gibt es noch nicht. Für Ungarn ist jetzt nichts geplant“, sagte der Mann, der nun schon seit 18 Jahren Pläne entwirft, wie sich die deutsche Nationalelf nach außen hin am besten verkauft.

Es entstand ein sehr irritierender Moment. Denn in einer Zeit, in der Fußballmannschaften unentwegt Zeichen setzen, sei es nun für Fairness, Respekt und Diversität oder gegen Rassismus, Diskriminierung und den Krieg in der Ukraine, kann das Ausbleiben dieser Zeichen auch als Statement gelesen werden. Bierhoff versuchte, sich mit den Worten „noch nicht“ aus diesem Dilemma zu befreien. Aber diese unentschiedene Antwort zeigt: es wird Zeit für eine kleine deutsche Kniekunde.

Den Kniefall selbst hat der US-amerikanische Football-Profi Colin Kaepernick im Sport als Protestgeste gegen Rassismus und Polizeigewalt populär gemacht. Das englische Nationalteam übernahm diese Geste im Zuge der weltweiten Protestwelle gegen den gewaltsamen Tod des US-Amerikaners George Floyd, so wie etliche Premier-League-Teams auch. In Deutschland ging Hertha BSC erstmals in die Knie. Auf Anraten der Marketingagentur Jung von Matt, die diese Aktion prompt beim PR-Wettbewerb „Clio Awards“ einreichte und ausgezeichnet wurde.

Die deutsche Nationalelf entschied sich erstmals im vergangenen Jahr beim EM-Achtelfinale gegen England für den gemeinsamen Kniefall. Man wolle sich solidarisch zeigen mit der Nationalmannschaft von England, erklärte Torhüter Manuel Neuer. Am Dienstag wiederholte man diese Aktion erneut gegen das Team von Gareth Southgate, „weil wir die Aktion der Engländer unterstützen wollen“, wie İlkay Gündoğan erläuterte.

Während sich also die englischen Auswahlspieler mit den Betroffenen von Rassismus solidarisch zeigen, zeigen sich die deutschen Teamkollegen solidarisch mit den Protestierenden. Diese wortgetreue Auslegung ist nicht spitzfindig, hilft sie doch dabei, die Unentschiedenheit des deutschen Teams ausgerechnet vor der Partie in Ungarn zu erklären.

In Budapest, wo die Zu­schaue­r:in­nen von der Uefa jüngst wegen rassistischer Vorfälle gegen England ausgesperrt werden sollten, der britische Kniefall aber dennoch ausgebuht werden konnte, weil der ungarische Verband dank einer Uefa-Klausel ein vornehmlich minderjähriges Publikum einließ, wäre ein Zeichen gegen Rassismus besonders bedeutsam. Aber die deutsche Kniekunde zeigt: Es fehlt an einer eigenen Haltung, aus der sich berechenbar Proteste ableiten lassen könnten. Sie folgen einer eigenen Inszenierungslogik, wie die T-Shirt-Aktion der DFB-Elf für die Wahrung der Menschenrechte in Katar, die von einem selbstgefälligen Making-of-Video der Marketingabteilung begleitet waren. Zu sehen war, wie die Nationalspieler eigenhändig mit Pinsel und Farbe ihrem Weltverbesserungsdrang freien Lauf ließen.

Wichtiger als die Botschaft bleiben die Botschafter. Vielleicht ist das auch ein Grund, weshalb beim Spiel gegen England in München das Publikum ihre Vorbilder auf Knien bejubelte, während auf den Zuschauerrängen, wie der Tagesspiegel berichtete, ein Besucher rassistisch beschimpft und geschlagen wurde, ohne dass ihm jemand zur Hilfe geeilt wäre. Eine deutsche Nationalelf, die sich für eine wirkliche Grundhaltung nicht nur beklatschen, sondern auch ausbuhen lässt, ohne daraus noch ein großes Gewese zu machen, das wäre eine feine Sache. Aber planen kann man das nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Bedeutung ist etwas kontextabhängiges. In Budapest wäre der Kniefall nicht schlicht ein "Zeichen gegen Rassismus" sondern in erster Linie eine kalkulierte Provokation: "Ihr seid Rassisten, wir sind heiliger als ihr, buht uns ruhig aus und handelt euch weiteren Ärger ein." Und prompt wird dann auch gebuht usw. usf. Dem Kampf gegen Rassismus wird damit kein Dienst geleistet.

  • Man muss hier klar differenzieren:

    Rassisten sind keine werberelevante Gruppe, daher kann man sich gegen diese gerne solidarisieren.

    Russlands Krieg zu kritisieren könnte den DFB den Unmut wichtiger Sponsoren und Funktionäre einbringen.

    In Fällen in denen das unüberlegte Zeigen von Werten Konsequenzen haben könnte gibt es eine einfache Formel die man dann ununterbrochen ins Mikrophon plärrt: "Der Sport ist unpolitisch".

    Und falls sich jemand wundert warum die glauben damit durchzukommen: Solange wir den Laden weiterhin für Gemeinnützig halten haben sie allen Grund dazu uns für blöde zu halten

    • @Questor:

      Der Laden ist gemeinnützig,



      weil er neben der Marketing-Abteilung Nationalmannschaft auch vieles andere tut, was nicht jeden Tag in der Zeitung steht.

  • Danke für den Artikel. Sie haben es auf den Punkt gebracht.

    Ich hoffe, Bierhoff kann sich bis Samstag noch dazu durchringen, den Spielern den Kniefall auch in der Puskás Aréna



    zu empfehlen.