Wie man Wirt wird: Eine Rote Karte nach nur 13 Minuten

Unser Autor hängt den Journalistenberuf an den Nagel und will als Gastwirt in Franken neu anfangen. Der Weg dahin führt ihn ins Gesundheitsamt.

Hände am Zapfhahn

Unser Autor benötigt auf seinem Weg zur Schanklizens noch einige Dokumente Foto: Elmar Gubisch/imago

Am Türstock hängen zwei digitale Eieruhren. Beide sind auf dieselbe Zeit eingestellt: 12.47 Uhr. Ich frage die Frau hinter dem Corona-Plexiglas, das als provisorischer Schalter im Rahmen hängt, nach der Bewandtnis: „Dit werdense schon sehen“, ist die typisch berlinerische Antwort, „Erstma brauch­ick die Jebühr.“ Überraschenderweise ist ein EC-Karten-Lesegerät nicht nur vorhanden, sondern der Apparat auch die einzige Möglichkeit, um zu bezahlen.

Das Gesundheitsamt in Berlin-Moabit ist ein in die Jahre gekommener Bau aus dem späten 19. Jahrhundert. Außen ansehnlicher Backstein, innen aber klamme Kelleratmosphäre; bis ins dritte Stockwerk hinauf. Bis vor 20 Jahren beherbergte er ein Krankenhaus, heute die Bürokratie. Die Abteilung im Haus M, Aufgang O oder P ist – den Schildern nach – die bestbesuchte Adresse in dem Komplex. Alle fünf Meter hängen Hinweise, die zur Lebensmittelpersonalberatung führen, auch im Lift sind sie unübersehbar.

Ich bin hier, um mir eine „Rote Karte“ zu holen. Ganz genau handelt es sich um die „Erstbelehrung gemäß § 43 Infektionsschutzgesetz“. Die Nennung der Paragrafen, die in den letzten 24 Monaten noch wichtiger als das Grundgesetz geworden sind, nötigt mir Respekt ab. Früher hieß es einfach Gesundheitszeugnis. Früher wurden dafür auch Blut- und Stuhlproben auf Erreger wie Typhus oder Hepatitis untersucht. Heute ist man davon abgekommen. Bei der Belehrung wird Menschen, die im Lebensmittelhandwerk arbeiten wollen, nur noch erzählt, wann sie sich gefälligst krankmelden sollen, nämlich schon, wenn sie sich krank fühlen, und vor allem bei Durchfall und Erbrechen. Das ist effektiver als Hunderttausende Röhrchen mit Kacke ins Labor zu schicken.

Ich will ein Gasthaus übernehmen, nicht in Berlin, sondern in Franken, also muss auch ich mich belehren lassen. Der Pachtvertrag ist bereits unterzeichnet und ich brauche nun schleunigst alle Unterlagen für die Schanklizenz, die Rote Karte ist der erste Punkt auf meiner To-do-Liste, weil: Gesundheitsamt, und bei der Berliner Verwaltung kommt man schlecht an Termine.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Wer sich das Gegenteil beweisen lassen will, sollte zur Lebensmittelpersonalberatung gehen. Eigentlich ist das schon die 20 Euro wert. Hier gibt es ausschließlich Soforttermine. Also sitze ich schneller als gedacht mit fünf Menschen in einem Raum zusammen und schaue ein Video. Als angehender Wirt belehrt es mich auch, dass es weder ein Kündigungsgrund noch ein zulässiger Mobbinggrund ist, wenn eine Mit­ar­bei­te­r*in wegen starken Unwohlseins nicht zur Arbeit erscheint.

Punktgenau mit Ende des Abspanns taucht die Frau vom Schalter auf und verteilt rosafarbene Bescheinigungen. Der erste Schritt zum Wirtsein ist getan. Er hat genau 12 Minuten und 47 Sekunden gedauert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wirt & Autor für taz und FuturZwei

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.