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Kirchen in der UkraineDer Krieg auf der Kirchenbank

Immer mehr Gläubige der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchat laufen zur Ukrainisch-Orthodoxen Kirche über.

Blick auf die goldenen Türme einer orthodoxen Kirche in Charkiw Foto: Alex Chan Tsz Yuk/getty images

Luzk taz | Erzpriester Wolodimir Litwentschuk ist in Luzk, im Nordwesten der Ukrai­ne, eine Autorität. Lange Zeit war er Beichtvater der ­örtlichen Fußballmannschaft. In einem Wohnviertel ließ er eine Kirche im ukrainischen Barockstil erbauen. Nach dem Ausbruch des ­Krieges am 24. Februar begann er mit Vertretern der Polnisch-Orthodoxen Kirche Hilfslieferungen in den umkämpften Osten der Ukraine zu organisieren.

Das bringt ihn nun in Schwierigkeiten: „Erzpriester Wolodimir Litwentschuk, Vorsteher der Kirche der Heiligen Verkündigung, wird wegen Spaltung, einer groben Verletzung des Eides eines Geistlichen, mit einem Dienstverbot belegt“, heißt es in einem Auszug aus einem Beschluss der Wolyner Diözese der Ukrainisch-­Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchiat, die die meisten Ukrainer nur Russisch-­Orthodoxe Kirche in der Ukraine nennen. „Es ist ihm fortan untersagt, die Sakramente für die Taufe, Hochzeit und Beichte zu erteilen. Sollte er das trotzdem tun, wird dieses Sakrament für ungültig erklärt. Der Erzpriester hat nicht das Recht, Menschen zu segnen und das priesterliche Kreuz zu tragen.“

Erzpriester Litwentschuk wird bestraft, weil er mit seinen Gemeindemitgliedern und seinem Gotteshaus zur Ukrainisch-Orthodoxen Kirche „übergelaufen“ ist. Die Kirche war 2018 aus dem Zusammenschluss zweier anderer orthodoxer Kirchen hervorgegangen, Anfang 2019 segnete der ökumenische Patriarch Bartholomäus I. von Konstantinopel diese Entscheidung ab und erkannte ihre Unabhängigkeit an.

Der geistliche Seitenwechsel in Luzk ist der erste Fall dieser Art. Die 220.000-Einwohner-Stadt im Westen der Ukraine war lange Zeit eine ­Hochburg der Russisch-Orthodoxen Kirche.

Sollten sie Kerzen für die Gesundheit Kyrills aufstellen?

Doch was war passiert? Nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine begannen die Gemeindemitglieder der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine ihre Oberhirten zu fragen, wie man denn jetzt für die Gesundheit des Moskauer Patriarchen Kyrill, eines der engsten Vertrauten Wladimir Putins, beten solle. Für ebenjenen Mann, der die russische Armee für den Krieg gegen die Ukraine segnet. Sollten sie Kerzen für die Gesundheit Kyrills aufstellen, der sagte, dass „Russland niemals jemanden angegriffen hat“? Und wie solle man mit der Russisch-Orthodoxen Kirche umgehen, wenn russische Soldaten dutzende Kirchen in der Ukraine zerstören – darunter das Swatogorsker Kloster im Donbass, eines der Heiligtümer der Russisch-Orthodoxe Kirche in der Ukraine? Zweimal waren Zivilisten, die dort Zuflucht gesucht hatten, von russischen Flugzeugen bombardiert worden.

Fast scheint es so, als ob die Führung der Russisch-Orthodoxen Kirche ihren ukrainischen Ableger zwingen möchte, mit ihr zu brechen.

Eine Zeit lang dachte das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine, Metropolit Onufriy, darüber nach, eine religiöse Prozession in dem von russischen Truppen eingekesselten Mariupol anzuführen. Von den Kirchenmännern wurde die Durchführung einer Hilfsmission in die belagerte und zerbomte Stadt erwartet – leider vergeblich.

Einige Priester der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine verzichteten darauf, Patriarch Kyrill in ihre Gebete einzuschließen. Im April forderten die 20 radikalsten von ihnen, Kyrill vor ein internationales Kirchentribunal zu stellen. Es gab auch Forderungen, eine Synode einzuberufen, um den Weg zur Autokephalie, der kirchenrechtlichen Unabhängigkeit, einzuschlagen.

Unsere Metropoliten haben eine Gelegenheit verpasst, religiöse Auseinander­setzungen im Land zu verhindern

Erzpriester Wolodimir Litwentschuk

Die Kirche im Orbit der „russischen Welt“

Mit Spannung warteten auch die führenden Geistlichen der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche auf eine Reaktion von Metropolit Onufriy. Jedoch beschloss seine Kirche am 12. Mai auf ihrer Synode, die Kirche im Orbit der „russischen Welt“ zu belassen und auf „bessere Zeiten“ zu warten. Auch die Gläubigen der eigenen Kirchengemeinschaft litten unter dem Krieg, hieß es dort. Es fiel kein Wort darüber, wer wen überfallen hatte, auch Präsident Wladimir Putin und Patriarch Kyrill blieben unerwähnt. Gleichzeitig sprach der Klerus von Aufstachelung zu religiösen Hass in der Ukraine.

Onufriy empörte sich zudem über einen Gesetzentwurf des ukrainischen Parlaments, wonach die Aktivitäten der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine verboten werden sollen.

Die These der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine, dass „die falsche Religionspolitik des früheren Präsidenten Petro Poroschenko und die zerstörerische Ideologie der Orthodoxen Kirche der Ukraine einer der Gründe für die militärische Invasion der Ukraine gewesen seien“, löste einen Sturm der Entrüstung in den sozialen Medien aus. Die Bezeichnung der Führung als „Pharisäer“ gehörte dabei noch zu den harmloseren Varianten.

Der Vorsitzende des Akademisches Rates der Universität in Ostrog, Petr Krajuk, kommentierte den Vorfall wie folgt:.„Dem Klerus und den Gläubigen wird klar zu verstehen gegeben: Vor einem Austritt aus der Russisch-Orthodoxen Kirche kann keine Rede sein, weil dies unkanonisch ist und einem Schisma gleichkäme. Das bedeutet, dass wir weiter dem Beispiel der „russischen Welt“ folgen müssen“.

Für Vater Litwentschuk schlug die Stunde der Wahrheit

Es überrascht nicht, dass nach der Erklärung der Synode auch für Vater Litwentschuk die Stunde der Wahrheit schlug. Auf Facebook machte er seiner Enttäuschung über Metropolit Onufriy und dessen Gefolge Luft. „Wir alle haben Änderungen bei Handlungen und Einstellungen gegenüber den Invasoren unseres Landes und denen, die sie gesegnet haben, erwartet. Doch nichts dergleichen. Unsere Metropoliten haben eine Gelegenheit verpasst, religiöse Auseinandersetzungen im Land zu verhindern“, schrieb er.

Wolodimir Litwentschuk soll keine Sakramente mehr erteilen dürfen Foto: Yuriy Konkevych

Einige Tage später erklärten die Gläubigen der Gemeinde Litwentschuks schriftlich den Austritt aus der Russisch-Orthodoxen Kirche und den Beitritt zur Orthodoxen Kirche der Ukrai­ne. Deren Patriarch Epiphanius gab diesem Antrag sofort statt.

Seit ihrer Unabhängigkeit 2019 sind über 100 Gemeinden zur Ukrainisch-Orthodoxen Kirche übergetreten. Allein in den vergangenen drei Monaten gab es in der Region Wolhynien 19 solcher Erklärungen.

In lokalen Medien und in den sozialen Netzwerken finden sich täglich Berichte über Versammlungen von Gläubigen und Austritte aus der Kirchengerichtsbarkeit der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine.

Ein Priester auf dem Kartoffelfeld

Insgesamt sind in Wolhynien etwa 560 Kirchengemeinden der Russisch-Orthodoxen Kirche sowie die gleiche Anzahl offiziell registrierter Gemeinden der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche tätig.

Auch Letztere kam nicht umhin, sich zu den Massenübertritten zu verhalten. Die Reaktion fiel zurückhaltend aus – wohl auch um keine weiteren Konflikte und Zwietracht in dem vom Krieg ­zerrissenen Land zu provozieren und den Prozess nicht noch zu beschleunigen.

So durften zum Beispiel Gemeinden nach dem Übertritt zur Ukrainisch-Orthodoxen Kirche ihre Traditionen beibehalten und die Sprache für den Gottesdienst wählen. Priester der Russisch-Orthodoxen Kirche blieben auf ihren Posten – jedoch unter der Bedingung, dass sie die Entscheidung ihrer Gläubigen, das Gotteshaus zu wechseln, unterstützen. Insgesamt haben in der Ukraine bis Ende April mehr als 100 Diözesen der Russisch-Orthodoxen Kirche den Wunsch geäußert, zur Orthodoxen Kirche der Ukraine überzutreten.

Dennoch: Die Politik und der Krieg könnten der russischen Kirche in der Ukraine helfen, ihren Status quo aufrechtzuerhalten. So sagte Parlamentssprecher Ruslan Stefanchuk Anfang Mai, dass die Abgeordneten noch keinen Gesetzentwurf zum Verbot der Aktivitäten der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine in Erwägung zögen. Das könne zu einer noch tieferen Spaltung der Gesellschaft führen. Während Politiker noch grübeln, was sie mit einer religiösen Organisation tun sollen, die von einem Aggressor kontrolliert wird, nimmt der Konflikt zwischen den Kirchen immer bizarrere Formen an. Es gibt Geistliche, die dem Moskauer Patriarchat treu geblieben sind und übergelaufenen Gemeindemitgliedern den Zutritt zu den Kirchen verweigern.

Im Dorf Witschini in der Region Wolhynien gingen Mitglieder der ­Gemeinde zum Priester, weil sie für den Übertritt zur Ukrainisch-­Orthodoxen Kirche unterschreiben wollten. Doch sie trafen ihn nicht an – weder in der Kirche noch zu Hause. Noch während sie 137 Unterschriften sammelten, ­versuchten sie immer wieder den ­Gottesmann anzurufen. Als sie ihn endlich gefunden hatten, sagte er, er habe die Telefonate nicht annehmen können, weil er Kartoffeln gesetzt habe. Nach der Wiedereröffnung des Gottes­hauses fand sich schließlich die ganze Gemeinde zum ersten Gottesdienst ein – in der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche.

Übersetzung aus dem Russischen: ­Barbara Oertel

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2 Kommentare

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  • Als einfacher Christ kann ich den Kirchenoberen nur Jesu eigene Worte ans Herz legen:

    "Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen."... "Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen" ... und viele andere ähnliche Zitate könnte man anführen.

    Niemand behauptet, dass es einfach ist, Jesu Worten und seinem Beispiel zu folgen. Feindesliebe ist wohl das schwerste Gebot von allen. Jesus hat sie vorgelebt und sie hat ihn das Leben gekostet.

    • @Winnetaz:

      Feindesliebe ist vor allem deshalb schwierig, weil Jesus das den Quellen nach so nicht gesagt hat. Unser Problem ist die (Falsch-) Übersetzung aus dem Griechischen oder aus Luthers Interpretation. Im aramäischen Original verlangte Jesus, dass man sich seiner Feinde erbarme, nicht dass man sie liebe. Das ist ein kleiner, aber sehr deutlicher Unterschied.