Weltsozialforum in Mexiko: Die Pflege der Vorurteile
Beim globalisierungskritischen Treffen finden Aktivist:innen aus der Ukraine wenig Gehör. Vom Glamour des Happenings ist wenig geblieben.
N ina Potarska hatte wirklich keinen leichten Job. Die ukrainische Feministin und Friedensaktivistin war nach Mexiko-Stadt gereist, um auf dem Weltsozialforum (WSF) Anfang Mai über die Lage in ihrem Land zu informieren. Dass sie beim Versuch, über die Menschenrechtsverletzungen der russischen Invasoren zu sprechen, auf begrenztes Interesse stoßen sollte, ist wenig verwunderlich.
Schon immer hatte das internationale globalisierungskritische Treffen einen Hang dazu, den Feind der „Völker“ vorrangig in Washington zu suchen. Unvergessen der Auftritt des damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, der 2006 vor einer ekstatisch tobenden Menge in Caracas das US-Imperium geißelte. Unvergessen auch die vielen Plakate, die den Ex-US-Präsidenten George Bush mit Hitlerbärtchen zeigten.
Das war freilich nur eine Seite des WSF. Es war immer auch ein Austauschort für Vertreter*innen indigener, gewerkschaftlicher, feministischer, migrantischer und anderer Organisationen. Doch vom alten Glamour des globalisierungskritischen Happenings, von den Partys, den bunten Demos mit Zehntausenden von Teilnehmer*innen, war jetzt in Mexiko mit etwa 3.000 Teilnehmer*innen wenig geblieben. Vielleicht lag’s an der Pandemie, vielleicht an der restriktiven Einreisepolitik der mexikanischen Regierung, aber sicher auch daran, dass das WSF in seiner unverbindlichen Diversität auf aktuelle Fragen keine Antworten findet.
Die Ukrainerin Potarska wollte darüber reden, dass die russische Armee Züge, Häuser und Tankstellen bombardiert. Doch für viele, so sagt sie, seien geostrategische Fragen im Vordergrund gestanden: „Sie wollen der einen oder anderen Seite folgen, reden den Schaden klein, interessieren sich nicht für das Leiden der Bevölkerung und die Dimension der Menschenrechtsverletzungen.“
Menschenrechte und Weltbilder
Das ist bemerkenswert, denn gerade in der beim WSF dominanten lateinamerikanischen Linken ist die Durchsetzung der Menschenrechte zunehmend in den Mittelpunkt gerückt und hat einstige revolutionären Visionen ersetzt. Geblieben ist jedoch eine manichäische antiimperialistische Ideologie, in der Menschenrechte – wie auch bei ihren Gegner*innen – nur dann eine Rolle spielen, wenn sie das eigene Weltbild bestätigen.
Während man jede Rebellion im eigenen Land zum selbstbestimmten Kampf des Volkes gegen das Imperium verklärt, werden die Akteur*innen des Euromaidan oder des Arabischen Frühlings erst gar nicht als Individuen mit legitimen Forderungen wahrgenommen. Die Aktivist*innen der Maidanbewegung sind folglich nichts als Handlanger für einen Putsch. Im Gegensatz zu den eigenen heroischen Freiheitskämpfer*innen verkommen jene, die sich der russischen Invasion entgegenstellen, zu Lakaien des US-Imperialismus.
So bezeichnet der chilenische Autor Pablo Jofre Leal die Stadt Mariupol nach der Eroberung zufrieden als „Friedhof des ukrainischen Nazismus“. Wer für die Grausamkeiten des Kriegs in der Ukraine verantwortlich ist, steht ohnehin außer Frage: „Der in den Büros der Nato, des Weißen Hauses und des Pentagon geschaffene Konflikt entblößt die Barbarei des Westens“, erklärt Marcos Roitman Rosenmann in der linken mexikanischen Tageszeitung La Jornada. Auch das Ziel sei klar: „Russen ermorden.“
Solche Dummheiten und Widerlichkeiten sind keine Ausnahmen. Sie stehen in Lateinamerika leider beispielhaft für einen relevanten Teil linker Stellungnahmen zum Ukrainekrieg. Und wer will schon an seinen Gewissheiten kratzen, in dem er oder sie sich mit Berichten über Vergewaltigungen oder Morden russischer Soldaten beschäftigt. Womöglich könnte die Frage nach Sanktionen oder gar Waffenlieferungen auftauchen.
„Irgendwie müssen wir uns ja verteidigen“, sagte auch die Friedensaktivistin Nina Potarska, trotz großer Zweifel. Kaum anzunehmen, dass viele dieser „Internationalisten“ sie unterstützen.
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