Antisemitismus in Berlin: Kein „Antisemit des Jahres“
Die Kampagne „Solidarisch gegen Hass“ wollte am Sonntag den „Antisemiten des Jahres“ wählen. Nach massiver Kritik wurde die Show abgesagt.
Die für Sonntagnachmittag geplante Kundgebung gegen Antisemitismus der Berliner Kampagne „Solidarisch gegen Hass“ wurde von den Veranstalter*innen kurzfristig abgesagt. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse habe man sich entschieden, „zur Deeskalation der Lage“ die geplante Show abzusagen, teilte die Kampagne auf ihrer Facebook-Seite mit.
Mit der angekündigten „großen Show“ auf dem Bebelplatz in Mitte wollte die Kampagne den „Antisemiten des Jahres“ finden und „in die Wüste“ schicken. Auf ihrem in sozialen Netzwerken geposteten Flyer ist ein Esel zu sehen, der gemächlich Richtung Wüste trabt. Auf seinem Hintern prangen ein Judenstern, das Kürzel der umstrittenen BDS-Kampagne – und das Logo von Amnesty International.
Die renommierte Menschenrechtsorganisation hatte Anfang Februar einen Bericht veröffentlicht unter dem Titel: „Israels Apartheid gegen Palästinenser“. In dem 182-seitigen Bericht wird Israel vorgeworfen, jüdische Israelis systematisch zu bevorzugen und Palästinenser*innen zu diskriminieren. Der israelische Außenminister Yair Lapid und der Zentralrat der Juden in Deutschland warfen der Menschenrechtsorganisation daraufhin vor, dem Staat Israel das Existenzrecht abzusprechen.
An dem Flyer hatte es scharfe Kritik gegeben. Twitter-User*innen warfen den Veranstalter*innen vor, selbst Hass zu schüren. Wieland Hoban, Vorsitzender des Vereins Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, kritisierte den Antisemitismusbegriff der Veranstalter*innen. Amnesty International werde „auf eine Ebene mit der Holocaustrelativierung der Querdenker“ gestellt.
Satirischer Charakter sei nicht verstanden worden
Kritisiert wurde zudem, dass die Veranstaltung am Nakba-Tag durchgeführt werden sollte, während alle geplanten propalästinensischen Kundgebungen verboten wurden. Am 15. Mai erinnern Palästinenser*innen an die Flucht und Vertreibung von etwa 700.000 arabischen Palästinenser*innen im Zuge der Staatengründung Israels und des ersten arabisch-israelischen Krieges ab 1947.
Noch am Donnerstag hatte sich „Solidarisch gegen Hass“ in einem Statement gegen die Vorwürfe gewehrt. Man habe „bewusst die Bildsprache so überzeichnet, dass der satirische Charakter unseres Erachtens offenkundig ist“, schrieb die Kampagne. Dieser sei jedoch „nicht von allen“ verstanden worden oder „sogar absichtlich falsch und eskalativ ausgelegt“ worden.
Obwohl die Kampagne von der Senatsverwaltung für Justiz mit Mitteln des „Landesprogramms gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ gefördert wird, übte Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) ebenfalls Kritik: Die Veranstaltung leiste „keinen guten Beitrag zu dem wichtigen Einsatz gegen Antisemitismus“. Die Senatsverwaltung hatte angekündigt, das Gespräch mit den Projektverantwortlichen zu suchen. Das hat nun möglicherweise zur Absage der Veranstaltung geführt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein