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Russischer Wahlkampf im BoxverbandSpiel mit der Moral

Im Internationalen Boxverband betreibt Präsident Umar Kremlew dunkle Geschäfte. Dass sein Gegner von der Wahl ausgeschlossen wird, ist nur logisch.

Plötzlich ohne Gegenkandidat: Umar Kremlew hat beste Chancen, wieder Präsident zu werden Foto: ap

S pielen Sie mit dem Gedanken, künftig als moralische Reinigungskraft zu arbeiten? Konkreter: Würden sie sich gern beruflich in machtvollen Sportinstitutionen um den Dreck kümmern, der sich so mit den Jahren durch schmutzige Geschäfte anhäuft? Wir haben einen kleinen Eignungstest aus der aktuellen Praxis für Sie.

Stellen Sie sich vor, sie müssten über die Wählbarkeit zweier Kandidaten befinden, die einen internationalen Sportverband anführen möchten. Der erste Kandidat hat das Amt bereits seit 2020 inne, möchte wieder gewählt werden, gehörte einst einer berüchtigten russischen nationalistischen Motorradrockerbande an und hat heute beste Kontakte zur Führung des Kriegsaggressors Russland, weshalb er mit Hilfe des Staatsunternehmens Gazprom den hoch verschuldeten Verband mit Geld überhäuft und sich breite Zustimmung erkauft.

Von dem zweiten Kandidaten ist vor allem bekannt, dass er aus den Niederlanden kommt, sich an den Geschäften des ersten stört und eine Allianz schmiedet, um den Verband aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Wen der beiden erklären Sie für unwählbar? Den Russen, im Ernst? Sie haben nicht die geringste Ahnung von Integritätsprüfungen im Sport und sind leider durchgefallen.

Van der Vorst versus Kremlew

Der geschilderte Fall spielt sich derzeit im Internationalen Boxverband (IBA) ab. Die Protagonisten sind Präsident Umar Kremlew und der Herausforderer Boris van der Vorst. Und letzterer wurde gemeinsam mit fünf anderen Funktionären, die auch Kremlew das Handwerk legen wollten und sich für das ebenfalls neu zu besetzende höchste Entscheidungsgremium im Verband bewarben, für unwählbar erklärt.

Entschieden hatte das ein von der IBA erst im Februar geschaffenes und als unabhängig deklariertes Gremium, das die Integrität des Führungspersonals sicherstellen soll und vom ehemaligen Fifa-Funktionär Piermarco Zen-Ruffinen geleitet wird, der einst Sepp Blatter als rechte Hand und Generalsekretär diente. Begründet wurde die Entscheidung unter anderem damit, die nun ausgeschlossenen Kandidaten hätten gegen die IBA-Statuten verstoßen, indem sie verbotenerweise zusammengearbeitet und Wahlkampf außerhalb der Wahlkampfperiode betrieben hätten.

Für alle, die von einer Sportkarriere im Integritätsgeschäft träumen, ist hierbei auch wichtig, auf das Timing zu achten. Der Ausschluss erfolgte am Donnerstagnachmittag, einen Tag vor der am Freitag angesetzten Wahl. Das Zeitfenster für einen Widerspruch der Betroffenen beim Internationalen Sportgerichtshof hat man maximal klein gehalten, damit diese aufgeworfenen Moralfragen nur im Schnellverfahren behandelt werden können.

Ganz egal, was das CAS nun entscheidet, der Fall zeigt mustergültig auf, wie Sportverbände, Gremien, die eigentlich zu ihrer Kontrolle geschaffen wurden, als Machtinstrumente nutzen können. Seitdem Spitzenfunktionäre entdeckt haben, dass Ethik- und Integritätskommissionen auch sehr selektiv wirken, wollen sie auf ihre moralischen Putzkolonnen und deren Sauberkeitszertifikate gar nicht mehr verzichten.

So ist es möglich, einerseits von einem werteorientierten Sport mit Haltung zu schwadronieren und zugleich diejenigen, die sich ernsthaft dafür einsetzen, zu diskreditieren. Umar Kremlew hat ein besonders gutes Gespür für das doppelbödige Spiel. Im Dezember 2021 sagte er beglückt: „Bei der Vorbereitung der heute von den Mitgliedern der IBA beschlossenen Maßnahmen wurden wir von führenden unabhängigen Experten für sportliche Integrität und Governance unterstützt. Und all dies wurde nur mit Hilfe der Ressourcen unseres General Partners Gazprom ermöglicht.“

Integrität dank Gazprom! Dass Kremlew diese Botschaft bis heute nicht auf die Füße gefallen ist, zeigt einmal mehr, dass sich der organisierte Sport auf moralischen Gebiet nur lächerlich macht.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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