portrait: Roter Riese erträgt es nicht mehr
Drei Seiten lang war der Brandbrief, den Ulrich Maurer Anfang Mai an den Bundesvorstand der SPD sandte, drei Seiten hatte auch seine Austrittserklärung „mit sofortiger Wirkung“. Er warf sie am Wochenende persönlich in den Briefkasten der Stuttgarter Parteizentrale. In „Wut und Verzweiflung“ hatte Maurer zuvor Bundeskanzler Schröder angegriffen, weil dieser der Sozialdemokratie seinen Willen aufzwinge, sie mit den Neuwahlen „ein letztes Mal vergewaltigt“ habe und nicht bereit sei, den neoliberalen Kurs zu korrigieren. Die Philippika forderte zur Umkehr auf, zurück an die Seite der kleinen Leute, der Verkäuferinnen und Rentner.
Der 56-Jährige war immer ein kämpferischer Mann, stritt als „roter Riese“ für die SPD: 35 Jahre lang war er Mitglied, 25 Jahre saß er als Abgeordneter im Stuttgarter Landtag, 12 war er Landesparteichef, 11 Fraktionsvorsitzender, bis 2003 im Bundesvorstand und im Präsidium der SPD.
Wenn so einer geht, hat er es sich schwer gemacht. Sein Abschied klingt bitter. Er sei nicht bereit, sich dem „Putsch von oben“ zu unterwerfen: „Unterwerfung bedeutet die Aufgabe einer Selbstachtung, ohne die eine Mitgliederpartei genauso wenig existieren kann wie ein einzelner Mensch, der dem Zynismus noch nicht verfallen ist.“ Besonders enttäuscht sei er auch über den linken Flügel der Partei, der der zum Machtgeschachere verkommenen Politik widerstandslos zugesehen habe. Das Herz des wortgewaltigen Maurer war nie eine Mördergrube, seine Gegnerschaft zur Schröder-SPD bekannt. Nun geht Maurer auf Konfrontationskurs. Sein Mandat will er behalten und in die neue Linkspartei WASG eintreten, die damit ihren bundesweit ersten Abgeordneten hätte. Er bleibt damit der Taktiker, der er immer gewesen ist. Aus der Überzeugung heraus, dass die SPD ihr Profil verloren habe, erhofft er sich eine Alternative für enttäuschte Wähler. Die Bundesrepublik brauche keine vier neoliberalen Parteien unterschiedlicher Couleur, hatte er gemahnt. Deshalb sei die WASG „die einzige Chance, den Durchmarsch von Neoliberal und Schwarz-Gelb“ zu verhindern.
Der Jurist Maurer, in Stuttgart geboren, studierte in Tübingen. Seine Vita verortet den verheirateten Vater von zwei Kindern als linken Sozialdemokraten, ÖTV-Gewerkschafter, Mitglied der Naturfreunde und der Arbeiterwohlfahrt. Der gläubige Katholik nahm außer der linken Tradition der SPD auch die Bibel in Anspruch, um seinen Schritt zu begründen: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“, wetterte er. Und endete mit einem unversöhnlichen Resümee: „Ich bin nicht in der Lage, dies zu ertragen, und mag auch nicht mehr euch ertragen!“ HEIDE PLATEN
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