die ortsbegehung: Auf dem E-Weg
Alle wollen mehr Elektroautos. Aber wollen alle auch mehr E-Mobilität-Infrastruktur? Und wie wird das Ladesäulenpotenzial einer Straße ermittelt? Eine Ortsbegehung mit Zollstock
Aus Bremen Benno Schirrmeister
Zugegeben: Zwischendurch, während des Messens der Bürgersteigbreite, dämmert die Frage auf, ob am Ende der Übung nicht der totale Ärger steht. Oder wäre „Erger“ die bessere Schreibweise? Immerhin geht es um E-Mobilität-Infrastruktur in einer Straße, die dafür prädestiniert ist: Der einzige Vokal, mit dem sie aufwartet, ist das e, ganz wie in Georges Perecs verrücktem antiorthografischem Gespensterroman „Les Revenentes“.
Der Ort
Insofern soll sie abgekürzt hier „E-Weg“ heißen. Und das Versprechen dieses Namens soll sie ab Herbst erfüllen, wenn der E-Autohändler den versprochenen Liefertermin einhält. Der E-Weg in Bremen ist, so wie die in den 1980er Jahren berühmte „E-Street“ im Kaff Belmer in New Jersee, eine Wohnstraße, nur kürzer, dichter bebaut und in der mittleren Großstadt Bremen im Land Bremen. Das wiederum will Elektromobilität fördern. Deswegen hat es die strikten Sondernutzungsregeln des Bremer Wegerechts per Erlass aufgeweicht und „die Errichtung und den Betrieb von Ladestationen für Elektrofahrzeuge“ erleichtert, wenn sie mit Ökostrom betrieben werden.
Das Problem
Es gibt bundesweit mindestens eine Firma aus Köln, die darauf spezialisiert ist, die Dinger in Wohngebiete zu setzen. Das passt hierher: Die Häuser stehen nicht direkt an der Fahrbahn, sondern sind, wie in vielen Bremer Reihenhaussiedlungen, über rot gepflasterte Fußgängerstichwege zu erreichen. Ein 30-Meter-Kabel vom Vorgarten bis zum Auto? Besser nicht. Zudem: Ob es so toll wäre fürs Stromnetz, wenn alle eine Wallbox hätten, ist nicht erwiesen. Starkstromanschluss in der Garage hat ohnehin nicht jeder. Und eine Minifotovoltaikanlage auf deren durch alte Buchen meist voll verschattetem Flachdach lohnt nicht, sagen die Installateure. „Können Sie die Bäume nicht fällen?“, schlägt einer vor. Wie fies.
Jetzt geht es also darum, angeleitet von der Firma aus Köln und wohl auch willfährig in ihrem Dienst, das Ladesäulenpotenzial des E-Wegs zu ermitteln. Schwer für einen gelernten Messlegastheniker, der mit einem bei 110 Zentimetern abgebrochenen Zollstock und diversen Mess-Apps sehr divergierende Ergebnisse für ein und dieselbe Fläche zutage fördert, wohl auch, weil der Seladonton der Bordsteinflechte zu oft die Aufmerksamkeit auf sich zieht und ihre pittoresken Formen Entzücken erregen. Viel gibt es dabei über die eigene Straße zu lernen. So weist der E-Weg auf nur 200 Metern eine üppige Vielfalt an Parkplatztypen auf, von vornherein ungeeignet sind die eingezäunten privaten, aber auch die am fußweglosen Straßenrand.
Dann gibt’s noch weiter vorn welche in Längsstellung, baulich und farblich abgehoben von Fahrbahnasphalt und Bürgersteigbeton. Sind zu klein: Als sie mit dieser Wohnstraße Ende der 1960er in ein frisch gerodetes Waldstückchen gebaut wurden, waren Autos zwar breiter und länger, hatten aber eine kleinere Raumforderung, was sich auch am Wendehammer zeigt, wo die Parktaschen in Senkrechtstellung nur knapp die Mindestlänge von 500, die Pflichtbreite von 250 Zentimetern aber deutlich verfehlen, vorbehaltlich irrer Messfehler.
Die Lösung
Es gibt jedoch auch das Mittelstück der Straße: Dort, wo keine Markierungen die Parkplatzfläche unters Minimum drücken und der Bürgersteig satte 2,90 Meter breit ist, kann künftig wohl eine Säule stehen, ein Parkplatz wird reserviert sein für Elektroautos. So eine Art Privatparkplatz.
Von wegen fies. Wir brauchen dringend mehr Elektroautos! Und es senkt bei den anderen bestimmt die Hemmschwelle, sich eins anzuschaffen, wenn die Ladegelegenheit schon da ist. Trotzdem: Dass niemand vorbeigekommen ist und gefragt hat, was ich da mache mit dem krüppeligen Zollstock – war schon eine Erleichterung.
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