Reisen in die Ukraine: Unterstützung oder Kriegstourismus?
Die Ukraine ist gerade ein beliebtes Reiseziel für Prominente und Politiker:innen. Für ihre Besuche ernten sie allerdings nicht nur Wohlwollen.
Als die Sirenen in Lwiw aufheulen, muss auch Angelina Jolie in den Bunker hasten. Die US-Schauspielerin ist Sondergesandte des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und hat sich – offenbar spontan – einen Eindruck von der Lage der Geflüchteten in der Westukraine verschafft. Sie besucht ein Kinderkrankenhaus, schaut sich Unterkünfte an. Der Besuch wabert durch die sozialen Medien, jede Menge Selfies von Menschen in Lwiw mit der Schauspielerin kursieren.
Für Jolie ist der Besuch in Kriegs- und Krisengebieten kein unbekanntes Terrain. Als UN-Sonderbeauftragte war sie in Sierra Leone, im Tschad, Sudan, Libanon, im Jemen. Sie kennt Geflüchtetenzelte, von der Flucht traumatisierte Menschen und das Erstaunen derjenigen, die einen Besuch der „Tomb Raider“-Darstellerin an diesen Orten nun wirklich nicht erwartet hätten. Obwohl Jolie im internationalen Auftrag reist, quasi von UN-Generalsekretär Antonio Guterres persönlich geschickt, wirft ihr Besuch Fragen auf. Muss das denn wirklich sein, dass ein Promi in ein nach wie vor nicht sicheres Krisengebiet fährt? Begleitet von einer Entourage an Sicherheitspersonal, das vielleicht Besseres zu tun hat?
Über den Zeitpunkt lässt sich sicher streiten. Über ihre Absichten eher nicht. Denn Jolies Aufgabe ist es, Aufmerksamkeit zu erzeugen – und Krisen- und Konfliktgebiete, vor allem aber die Menschen und deren Leid, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Dies generiert im besten Fall internationale Geberkonferenzen und jede Menge Spenden. Denn irgendwann wird auch der Krieg in der Ukraine aus den Schlagzeilen verschwinden, die Berichterstattung über Kriegsverbrechen und Gräueltaten wird weniger werden. Was bleiben wird, ist ein zerstörtes Land, das mühsam, über viele Jahre hinweg – und mit viel Geld – wieder aufgebaut werden muss.
Reisen in Ukraine werden zum Politsport
Die Reisewelle ins Kriegsgebiet begann Mitte März. Damals reisten die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien inmitten der Kriegswirren mit dem Zug nach Kiew. Die Weltöffentlichkeit staunte über ihren Mut. Schließlich befand sich die Stadt im Dauerbombardement, Sirenen heulten mehrfach am Tag. Die konzertierte und von langer Hand organisierte Aktion sollte ein Zeichen der Solidarität an die ukrainische Bevölkerung sein, an deren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die Zusage: Ihr seid nicht allein im Kampf gegen den russischen Aggressor. Auch bei diesem Besuch entstanden wohlmeinende Bilder, es gab jede Menge Umarmungen, Händeschütteln.
Jetzt sind Reisen in die ukrainische Hauptstadt oder den Westen des Landes fast schon Politsport geworden. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Matsola war da, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, UN-Generalsekretär António Guterres natürlich. US-Außenminister Blinken, US-Verteidigungsminister Austin, ganz frisch auch Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses.
Alle sind nicht ganz unerhebliche Akteur:innen, wenn es um militärischen Nachschub, Hilfsgüter, politische Zusagen – und natürlich Geld – geht. Legendär auch der Spaziergang des britischen Premierministers Boris Johnson mit Selenskyj durch Kiew. Betont locker, vermutlich ohne Schutzweste, wie gemunkelt wird, begleitet von sichtlich nervösen Soldat:innen schlenderten beide durch Straßen und über Plätze. Johnson ließ es sich zudem nicht nehmen, einen am Straßenrand stehenden Ukrainer zu begrüßen.
Die Botschaft an Russland und die Welt: Schaut, wir haben keine Angst vor Putin. Und wir geben die Ukraine nicht auf. Der Besuch der Ausschussvorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Michael Roth (SPD) und Anton Hofreiter (Grüne) vor Ort lief zwar weniger spektakulär ab, gab der Debatte über Waffenlieferungen und deutsche Unterstützung an die Ukraine jedoch mächtig Auftrieb. Und befeuerte die Kritik an Bundeskanzler Olaf Scholz der bisher zumindest partout nicht die Reise nach Kiew antreten will. Dagegen wollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Leider wurde sein Besuchsbegehren von der ukrainischen Regierung abgelehnt.
Besucher sollten mehr im Gepäck haben als warme Worte
Und jetzt kommt Friedrich Merz. Als „nur“ Oppositionsführer hat der CDU-Mann nicht wirklich etwas zu bieten. Weder Geld, noch Munition, noch Panzer. Lediglich Solidarität – im Namen der Union. Die Bedürfnisse der ukrainischen Bevölkerung will er abfragen, heißt es laut einem Sprecher. Ein Treffen mit dem Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, soll es geben. Gerne auch eines mit Selenskyj. Aber ob der für die Opposition des deutschen Parlaments Zeit finden wird? Merz sollte gut darin beraten sein, sich für seinen Besuch nicht nur aufgrund von innenpolitischem Kalkül entschieden zu haben.
Gleiches gilt für den Linken-Außenpolitiker Gregor Gysi. Auch er hat sich in dieser Woche zu einem Besuch in der Ukraine angemeldet. Begleitet wird er von Gerhard Trabert, dem Kandidaten der Linken bei der Bundespräsidentenwahl. Treffen mit ukrainischen Parlamentarier:innen oder Regierungsvertreter:innen kommen wohl nicht zustande, dafür wollen Gysi und Trabert sich Krankenhäuser anschauen und mit Hilfsorganisationen sprechen. Trabert bringt medizinisches Material mit, Spenden haben die beiden auch im Gepäck. Bleibt zu hoffen, dass ein Besuch in Irpin oder Butscha die Augen öffnet darüber, was der Ukraine im Kampf gegen Putin wirklich hilft.
Wer macht sich als nächstes auf? Kiew ist sicher für diverse Politiker:innen, Prominente, Helfer:innen eine Reise wert. Sie wären gut beraten, im Gepäck einiges an Unterstützung und Hilfe dabei zu haben. Die Ukraine braucht Solidarität und Aufmerksamkeit. Für lange Zeit. Und sicher mehr als warme Worte, Handschläge und Umarmungen.
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