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debatteAbschrecken mit Augenmaß

Die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine überschreitet keine rote Linie. Entscheidend ist vielmehr, dass keine Nato-Soldaten am Krieg teilnehmen

Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz. Er hat sich schon als Jugendlicher in der Friedens­bewegung engagiert, ging 1984 mit friedenspolitischer Begründung zur Bundeswehr und verweigerte 1985 mit militärpolitischer Begründung den weiteren Wehrdienst.

In einem offenen Brief, der von der Zeitschrift Emma verbreitet wurde, haben deutsche Prominente von Reinhard Mey über Alexander Kluge bis Juli Zeh und Dieter Nuhr vor einer Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gewarnt: „Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen“, schreiben die Unterzeichner:innen. Es drohe die Eskalation des Krieges zum dritten Weltkrieg, zum atomaren Konflikt.

Auch der Philosoph Jürgen Habermas hat in der Süddeutschen Zeitung ähnliche Bedenken geäußert. Letztlich entscheide Putin darüber, ab wann er die Unterstützung der Ukraine durch die Nato-Staaten als Kriegseintritt des Westens betrachtet. „Angesichts des unbedingt zu vermeidenden Risikos eines Weltenbrandes lässt die Unbestimmtheit dieser Entscheidung keinen Spielraum für riskantes Pokern“, warnt Habermas.

Die Mehrheit der deutschen/westlichen Völ­ker­recht­le­r:in­nen hat sich in den letzten Wochen darauf festgelegt, dass die Verhängung von Sanktionen und die Lieferung von Waffen noch keinen Kriegseintritt darstellt. Erst das Eingreifen von Soldaten der Nato-Staaten führe zu einem Kriegseintritt dieser Staaten. Diese völkerrechtliche Position ist gut vertretbar, in sich konsistent und sie setzt auch eine klare Grenze.

Ähnliches gilt für die Ausbildung von ukrainischen Soldaten: Wenn diese bei der Übergabe von Waffen in Deutschland in die Bedienung eingewiesen werden, ist dies unproblematisch. Sitzt dagegen ein deutscher Instrukteur im ukrainischen Kampfeinsatz neben dem Fahrer, um ihm Anweisungen zu geben, ist das auch ein deutscher Kampfeinsatz.

Inkonsistent ist es dagegen, eine rote Linie bei der Lieferung von schweren Waffen wie Panzern anzusetzen und die Lieferung leichter Waffen sowie das Verhängen von Sanktionen als noch ungefährlich anzusehen. Wer kein Risiko eingehen will, dass Wladimir Putin ein Verhalten als Kriegseintritt werten kann, darf die Ukraine überhaupt nicht unterstützen, das heißt, ihr keinerlei Waffen liefern und auch keinerlei Sanktionen gegen Russland verhängen. Eine so weitgehende Neutralität Deutschlands fordern aber selbst die Emma-Prominenten und Habermas nicht.

Bisher hat Putin die Nato-Lieferung von Waffen an die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland nicht zum Anlass genommen, nun das Nato-Gebiet anzugreifen. Das ist aber nicht Ausdruck einer völkerrechtlichen Position Russlands. Denn verbal hat die russische Seite die Waffenlieferungen durchaus bereits als Kriegsbeitritt bezeichnet. Dass Russland hierauf nicht mit einem Angriff auf Nato-Territorium geantwortet hat (zum Beispiel gegen polnische Bahnhöfe, auf denen Waffen verladen werden), ist wohl ausschließlich eine Wirkung der militärischen Abschreckung der Nato. Denn wenn Russland das Nato-Gebiet angreift, müsste Russland auch mit Angriffen der Nato auf das eigene Gebiet rechnen. Und wenn Russland Atomwaffen gegen Nato-Staaten einsetzt, dann müsste es auch mit dem Einsatz von Nato-Atomwaffen gegen Russland rechnen.

Inzwischen haben zahlreiche Staaten (etwa die USA) auch schwere Waffen an die Ukraine geliefert, ohne dass Russland deshalb die Nato-Staaten angegriffen hat. Dies zeigt, dass bei der Lieferung schwerer Waffen die gleichen Mechanismen der Abschreckung wirken und eben keine „rote Linie“ überschritten wurde und wird.

Das bisherige Verhalten der Nato war und ist auch nicht eskalierend. Russland hat die Ukraine unter einem erfundenen Vorwand (ukrainischer Völkermord im Donbass) mit einer gewaltigen Armee militärisch angegriffen, um seine Einflusssphäre zu sichern. Das ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Es ist völlig eindeutig, dass die Nato der Ukraine militärisch helfen dürfte, sich gegen diese rechtswidrige Aggression zu verteidigen. Die Nato verzichtet aber auf eine Intervention mit eigenen Armeen, weil sie den militärischen Konflikt lokal begrenzt halten will. Es soll ein militärischer Konflikt zwischen Russland und der Ukraine bleiben und kein militärischer Konflikt zwischen Russland und den Nato-Staaten werden. Damit vermeidet die Nato einen dritten Weltkrieg.

Indem die Ukraine lediglich von der Nato aufgerüstet wird, wird diese aber nicht gegen ihren Willen als Kampffeld missbraucht. Vielmehr fordert die Ukraine diese Aufrüstung ja selbst massiv ein (obwohl die Ukraine einen Kriegsbeitritt der Nato-Staaten eindeutig bevorzugen würde).

Russland hat den Krieg wieder zum Mittel der Politik gemacht. Damit darf es keinen Erfolg haben

Natürlich geht dieser Krieg auch auf Kosten der ukrainischen Zivilbevölkerung. Doch zum einen steht die ukrainische Zivilbevölkerung ganz überwiegend hinter der militärischen Selbstverteidigung ihres Landes und damit auch hinter den Waffenlieferungen an die Ukraine. Zum anderen haben die EU-Staaten eine fundamentale Hilfe für die ukrainische Zivilbevölkerung beschlossen, indem sie der gesamten ukrainischen Bevölkerung freien Zutritt und ein dreijähriges Aufenthaltsrecht in den EU-Staaten ermöglichen.

Es ist nicht Aufgabe der Ukraine oder der Nato-Staaten, sich zu überlegen, auf welche Weise Wladimir Putin gesichtswahrend diesen verbrecherischen Krieg beenden kann. Putin hat diesen Krieg mit Lügen begonnen, er kann diesen Krieg auch jederzeit mit Lügen seiner Wahl beenden. Die russische Bevölkerung scheint derzeit auch überwiegend gewillt, ihrem Präsidenten noch jede Lüge zu glauben.

Zwar ist es immer besser, einen Konflikt auf diplomatischem Wege zu lösen als mit militärischen Mitteln. Hier geht es aber nicht mehr um einen Interessenkonflikt, sondern um einen Krieg, den Russland begonnen hat. Russland hat damit den Krieg und das Drohen mit Kriegen wieder zum Mittel der Politik gemacht. Damit darf Russland keinen Erfolg haben, wenn der Vorrang der Diplomatie bewahrt werden soll. Deshalb müssen sogar Pa­zi­fis­t:in­nen, wenn auch klammheimlich, auf eine eindeutige militärische Niederlage Russlands hoffen.

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