piwik no script img

Jagd auf Wölfe in Niedersachsen „Ausrottung kommt nicht infrage“

Wolfsabschüsse sind unsinnig, sagt Biologe Holger Buschmann, weil auch Zäune gegen die Tiere helfen. Die muss man nur bauen wollen.

Umkreist nachts die Weide, bis er eine Schwachstelle im Zaun findet: Wolf Foto: dpa
Andrea Maestro
Interview von Andrea Maestro

taz: Herr Buschmann, lässt sich ein Wolf, der weiß, wie lecker ein Schaf ist, von einem Zaun abhalten?

Holger Buschmann: Ja. Man muss dem Wolf nur den Weg deutlich erschweren, dann überlegt er sich, ob er so viel Energie einsetzt, um an ein Schaf zu kommen. Ist es schwierig, entscheidet er sich um und jagt stattdessen ein Wildtier.

Und wann ist es schwierig für den Wolf, über den Zaun zu kommen?

Dass Wölfe über einen Zaun springen, ist eine ganz große Seltenheit. Das liest man zwar immer wieder, ist aber kaum belegt. Wölfe versuchen stattdessen, unter dem Zaun hindurch zu kommen. Deswegen ist der Untergrabeschutz das Wichtigste. Bei festen Zäunen ist das ein erster stromführender Draht auf 20 Zentimetern Höhe. Unter dieser Litze kommen die Wölfe nicht durch. Man muss aber sicher sein, dass man nirgends Schlupfstellen hat, etwa an Bachrändern oder dem Tor.

Das heißt, der Wolf schleicht nachts um den Zaun und findet jede Lücke.

Die sind sehr schlau. Wenn sie Schwachstellen finden, dann erbeuten sie die Schafe auch.

Können Schäfer:innen, die mit ihren Herden unterwegs sind, überhaupt für einen solchen Schutz sorgen?

„Wenn Sie in ein Rudel eingreifen, kann es passieren, dass Jungtiere nicht mehr richtig erlernen, Wildtiere zu erlegen und dann auf Nutztiere gehen“

Das ist tatsächlich ein deutlich erhöhter Aufwand. Es gibt mobile Zäune, die müssen aber unten sehr gut mit dem Boden verbunden sein. Auch bei Festzäunen ist der Aufwand höher, weil der Bewuchs immer wieder entfernt werden muss, damit nicht der Strom abgeleitet wird. Der Boden muss also häufiger gemäht und gepflegt werden. Dieser Aufwand wird vom Land Niedersachsen bisher nur in Teilen erstattet. Dabei müssen die Weidetierhalter noch besser unterstützt werden.

Dennoch bekommen die Tier­hal­te­r:in­nen ja zumindest den Bau der Zäune voll erstattet. Warum gibt es dann so eine starke Lobby gegen den Wolf?

Die starken Emotionen kann ich gut verstehen. Die Schafhalter:in­nen stehen eh mit dem Rücken zur Wand, weil die Schafpreise so niedrig sind. Jeder zusätzliche Aufwand ist schwer zu bewältigen. Der Wolf hat dann das Fass zum Überlaufen gebracht. Außerdem ist es kein schöner Anblick, wenn ein Wolf Tiere gerissen hat. Da habe ich großes Verständnis.

Wie sieht es denn auf der Weide aus, wenn der Wolf da war?

Wenn Wölfe in eine Herde eindringen, töten sie oft möglichst viele Tiere. Das ist eine Art Vorratshaltung. Sie wollen in Zukunft immer wieder zurückkommen und die restlichen Tiere fressen können. Wölfe haben aufgrund ihrer sehr starken Magensäure die Möglichkeit, auch vergammeltes Fleisch zu fressen. Von daher ergibt es für sie tatsächlich Sinn, gleich mehrere Tiere zu töten. Das wirkt dann, als wären sie einfach heiß aufs Töten.

Ist die Forderung nach dem Wolfsabschuss für Sie auch nachvollziehbar?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Den Wolf ausrotten oder sich auf den Herdenschutz einstellen und mit dem Wolf leben. Die Ausrottung kommt nicht infrage, weil sich die europäischen Staaten dazu entschlossen haben, den Wolf zu schützen. Das macht auch Sinn, weil der Wolf sehr wichtig ist für unsere Ökosysteme.

Im Interview: Holger Buschmann

49, ist seit 2009 der Landesvorsitzende des Nabu Niedersachsen. Er ist Diplom-Biologe.

Könnte die Ausbreitung von Wölfen das Problem mit der Überpopulation von Rehen lösen?

Genau. Das hat im Yellowstone-Nationalpark mit Weißwedelhirschen funktioniert. Die Biodiversität ist dort enorm hochgegangen. Einzelabschüsse von Wölfen ergeben nur dann Sinn, wenn es Tiere sind, die wirklich Menschen gefährden könnten oder wenn sie gelernt haben, die empfohlenen Schutzmaßnahmen zu überwinden. Das haben wir als Nabu in Niedersachsen noch nicht festgestellt. Es wird allerdings behauptet vom Ministerium. Deswegen sind Abschussgenehmigungen erteilt worden.

Wenn Sie mit Wolfsrissen zu tun hatten, waren die Herden dann also zu wenig geschützt?

Wir haben ein Herdenschutzprojekt, in dem die Zäune exzellent gemacht werden. Also genau so, wie es vorgeschrieben ist. Dort gab es nicht einen einzigen Fall des Überwindens oder Untergrabens. Dort, wo Risse passiert sind, waren die Zäune statt 1,20 Meter teilweise nur 90 Zentimeter hoch. Fast immer ist am Zaun oder der Stromführung etwas nicht in Ordnung gewesen.

Haben Sie die Hoffnung, dass jetzt, nachdem das Verwaltungsgericht Oldenburg die Abschussgenehmigungen teilweise als rechtswidrig bezeichnet hat, ein Umdenken in der niedersächsischen Politik stattfinden wird?

Ehrlich gesagt nicht. Der Minister weiß auch, dass die Abschüsse von einzelnen Tieren überhaupt nichts bringen, sondern eher kontraproduktiv sein können, handelt aber nicht danach. Wenn Sie in ein Rudel eingreifen, kann es passieren, dass Jungtiere nicht mehr richtig erlernen, Wildtiere zu erlegen und dann auf Nutztiere gehen.

Wenn man in der Landschaft immer mehr Zäune baut, ist das ein Problem für die Lebensräume?

Wir haben heute viel weniger Zäune in der Landschaft als früher, weil Nutztierhaltung vor allem in Massentierhaltungsställen stattfindet. Auch die Höhe der Zäune ist nicht ungewöhnlich – die muss man bei Bullen oder Pferden auch haben.

Wenn der Wolf draußen bleibt, werden auch andere Tiere gestoppt?

In unserer Feldstudie konnten wir zeigen, dass Rehe sehr leicht durch die Zäune kommen, Feldhasen, Igel, alle Kleinsäuger auch. Die einzige Ausnahme waren Wildschweine, das ist aber für die Nutztierhalter eher ein positiver Nebeneffekt.

Wie kommen denn Rehe durch den Zaun, wenn Wölfe abgehalten werden?

Das Reh springt oben zwischen den Litzen des Zauns durch. Es nimmt Anlauf, berührt sogar ein bisschen den Zaun im Sprung, kriegt aber keinen Schlag, weil es nicht auf dem Boden steht.

Da sagt man immer, der Wolf sei so intelligent, aber der schafft das nicht?

Nein, Wölfe springen einfach nicht. Auch einem Hund müssen Sie das erst beibringen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

9 Kommentare

 / 
  • Ich empfehle mal den Besuch im Wolfspark im Saarland:



    www.wolfspark-wernerfreund.de



    Dort sind die Zäune fast 3m hoch plus Elektroleitungen.



    Das hat der verstorbene Verhaltensforscher Werner Freund bestimmt gemacht, weil Wölfe nicht springen und er keine Ahnung hatte.

  • Der aufmerksame Leser sollte Aussagen des Lobbyisten Buschmann aufmerksam hinterfragen.

    Eine Zaunhöhe ist bis vor ein bis zwei Jahren Standard des behördlich geforderten Herdenschutz gewesen. Die Behörden haben die 90 cm gefordert. Wer in den 90 cm Zaun investiert hat, ist schön blöd gewesen!



    Herr Buschmann tischt jetzt 120 cm auf und fordert die weitere Aufrüstung.

  • Wir wollen gerne, dass Rinder und Schafe auf der Weide gehalten werden können, opfern das aber für Wölfe, die wir in so einem eng besiedelten Land sich frei vermehren lassen. Wenn eine Herde einmal angegriffen wurde, bekommt man sie anschließend kommen aus dem Stall.



    Ich finde es dekadent, der Nutztierhaltung keinerlei Wert beizumessen und dem aus der Stadt betrachtet so romantischen Wolf freien Lauf zu lassen.

    • @Matthias Nord7:

      Nun, in Spanien hat man Herdenschutzhunde, die hervorragend vor Wölfen schützen, hier empfiehlt man hohe Elektrozäune. Der Wolf ist in Spanien für die Tierhaltung kein Problem.

  • "Dort, wo Risse passiert sind, waren die Zäune statt 1,20 Meter teilweise nur 90 Zentimeter hoch." Dann scheint der Wolf doch zu springen.

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Also - die extensive Tierhaltung basiert auf der Mobilität von Zäunen. Es macht wenig Sinn hunderte Hektar mit massiven Zäunen zu begrenzen - das ist viel zu teuer. Knoten gitter, wie es in Der Schafhaltung verwendet wird lässt sich ganz einfach versetzen, ist aber kein sicherer Schutz vor Wölfen. Also verabschieden wir uns einfach von der artgerechten Tierhaltung, Nutztiere in die engen Ställe damit der Wolf frei herumlaufen kann - scheint mir irgendwie nicht logisch.

    • @03998 (Profil gelöscht):

      Nein, nicht von artgerechter Tierhaltung sollten wir uns verabschieden. Die Fragen sind doch eher a) wozu werden die Tiere überhaupt gehalten, b) warum sind Zäune "zu teuer", c) warum gehen Wölfe auf Schafe statt auf Wild?

      Wie häufig stehen hier wirtschaftliche Interessen im Vordergrund: die Preise für tierische Produkte (Fleisch, Wolle, etc.) sind im Keller, weil befürchtet wird, dass es keine Abnahme bei höheren Verbraucherpreisen gibt. Private Wälder werden vor allem forstwirtschaftlich genutzt und nicht danach gefragt, ob es auch ein Lebensraum von Tieren sind oder sein könnten.

      Und das am Ende nur, weil volle Bau- und Supermarktregale und die ständige Verfügbarkeit von allem die oberste Maxime ist, statt Bedarfsorientiert zu arbeiten.

      Im übrigen gab es früher Hunde, die auf Schafherden aufpassten. Ich meine, mamche von denen tragen sogar noch den Namen. Aber ist wahrscheinlich "zu teuer".

      • 0G
        03998 (Profil gelöscht)
        @Nora .:

        Wenn auf die Tierhaltung überhaupt verzichtet werden sollte, dann stellt sich auch die Frage, ob Vegetarier und Veganer durch den Verzehr von Avocados, Cashewnüssen, Blaubeeren im Winter usw nicht den gleichen ökologische Schaden anrichten wie jemand, der Fleisch von einem Weidetier isst.



        Weidehaltung ist die günstigste Art Wiederkäuer zu halten und auch die klimafreundlichste, weil die Tiere mehr Gras fressen und weniger Getreide und Soja . Höhere Verbraucherpreise sind ok damit die Menschen weniger Fleisch aber dafür besseres Fleisch essen von Tieren, die ein gutes Leben hatten.



        Zäune sind teuer, weil jemand sie herstellt und dafür bezahlt werden will.



        Wölfe gehen auf Schafe(Fohlen, Kälber) weil die leichte Beute sind. Die Hüthaltung mit Hunden, auch heute noch verbreitet, funktioniert, was die Wolfsproblematik angeht besser, da die Tiere Abends in den Stall gebracht werden - abgesehen davon, dass sich immer wieder Rudel tagsüber den Herden nähern, was nicht gerade einfach für die Schäfer ist.

        • @03998 (Profil gelöscht):

          Ich würde dafür plädieren die Fleischpreise drastisch zu erhöhen und im Gegenzug die Nutzflächen für Weidetiere entsprechend der geringeren Anzahl für die Wirtschaftlichkeit der Landwirt*innen angemessen zu reduzieren.

          Avocados, Blaubeeren und Co. verbrauchen sicherlich Ressourcen, diese können sich aber Flächenmäßig in Grenzen halten. Zudem wäre ein Anbau von Gemüse auch im urbanen Raum denkbar (und wird zT bereits umgesetzt).

          Das erste Problem: die Haltung der Konsument*innen und ihr (vermeintlicher) Wunsch nach permanenter Verfügbarkeit um den Preis, dass eine ungeheure Menge Lebensmittel weggeworfen wird. Hier braucht es andere, bessere Strategien.

          Zweitens: Wälder und Flächen: das Wölfe auf Nutztiere gehen, liegt ja nur zum Teil daran, dass sie leichter zu erbeuten sind, als etwa ein Reh. Allerdings fehlen den Tieren schlicht ausreichend Raum, da Wälder mehrfach genutzt sind, Straßen und Autobahnen hindurchführen, sie unmittelbar an Felder und/oder Siedlungen grenzen.

          Auch hier braucht es andere Strategien.