: Der Mann, der aus der Kälte kam
Roman Abramowitsch ist ein Oligarch der stillen Sorte. Sein strategischer Opportunismus hat seine Karriere in Putins Russland befeuert
Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Jahrelang hatte sich Roman Abramowitsch mit dem Verkauf von Plastikenten und ähnlichem Zubehör in Moskau beschäftigt. Der schüchterne und zurückhaltende junge Mann wollte unterdessen mehr. In den frühen 1990er Jahren tauchte er bereits im Umkreis der Familie Boris Jelzins auf. 1995 schickt ihn der russische Präsident zu Boris Beresowski. Einer der ersten erfolgreichen Oligarchen in Russland, seinerzeit enger Vertrauter der Präsidentenfamilie. Abramowitsch schlug Beresowski vor, eine kleinere sibirische Ölfirma mit einer Raffinerie zu verknüpfen – und den Konzern Sibneft aus der Taufe zu heben. Der einflussreiche Oligarch brauchte dazu nur noch die Unterschrift des Präsidenten, dem er für die nächsten Wahlen die Unterstützung des staatlichen Senders ORT anbot, der ihm bereits gehörte. Wenige Jahre später ist Sibneft bereits Milliarden Dollar wert.
Ende 1999 tritt Boris Jelzin vom Amt des Präsidenten zurück. Beresowski hatte zuvor den KGB-Offizier, Wladimir Putin, als Nachfolger lanciert. Im Gegensatz zum verschwiegeneren Abramowitsch ließ er alle Welt wissen: Die neuen Herren im Kreml hätte er im Griff. Wenige Monate später musste Beresowski Russland Richtung England verlassen. Wladimir Putin obsiegte über die Oligarchen.
Abramowitsch kauft dem früheren Geschäftspartner Beresowski die TV-Anteile ab und überträgt die Stimmrechte zur Freude des Geheimdienstes nach kurzer Zeit an den Staat. Abramowitsch ist jedoch weiter vorsichtig. Putin misstraut dem Geschäftsmann: „Abramowitsch hat sich legalisiert“, sagt Putin vieldeutig; er habe der Gesellschaft in der Vergangenheit geschadet.
Inzwischen hatte sich Abramowitsch schon zum Gouverneur der Region Tschukotka im hohen Norden wählen lassen. 92 Prozent der Bevölkerung, darunter Rentierzüchter und Walrossfänger, stimmten für den Oligarchen, der sich nicht lumpen ließ: Er baute Krankenhäuser und Schulen, sorgte für Arzneimittel und schickte Kinder im Sommer ans Schwarze Meer. Die Bevölkerung feierte ihn wie einen Heiligen. Nebenbei wurde Tschukotka noch zu einem Offshore-Gebiet erklärt, wovon der Sibneft-Konzern mit 13 Prozent Steuern im Jahr profitierte.
Auch mit dem Ölmagnaten Michail Chodorkowski plante Abramowitsch eine Fusion der Unternehmen Yukos und Sibneft. Gerüchte kursierten, Abramowitsch wolle sich Yukos unter den Nagel reißen. Statt zu fusionieren, verlangte der Sibneft-Eigentümer die Kontrolle über den Konzern. Abramowitsch hatte sich endgültig auf die Seite des Kreml geschlagen. So etwas wie mit Yukos könne auch ihm passieren, sagte Abramowitsch, nachdem Chodorkowski verurteilt und der Konzern zerschlagen worden war. 2007 wollte er den Gouverneursposten aufgeben, ließ sich aber von Wladimir Putin zunächst zum Weitermachen überreden.
Abramowitsch begehrte nicht auf wie Chodorkowski. Die Beziehungen zum Kremlchef sollen immer entspannter geworden und Putin ihm sehr nahe gewesen sein. Manchmal war gar von einer familiären Beziehung die Rede. Auch die Übernahme des Fußballklubs FC Chelsea passte sich im Nachhinein ein. Der Kreml sah darin eine Chance, das Image zu verbessern und den Briten näherzukommen. Abramowitsch füllte die Aufgabe aus. Der ruhige Mann mit dem Dreitagebart fiel nicht auf, gefiel aber wegen seiner Millionen, die er für den Fußball ausgab. Er soll als Kassenwart des Kreml, für den er Geschäfte aus eigener Tasche erledigte, gelegentlich mal unzufrieden gewesen sein. Doch hielt er sich an die Absprachen, Gelder regelmäßig in den Westen zu überweisen – in die „Sackgasse“, wie es hieß.
Öffentliche Kritik war von ihm nicht zu hören. Wie die meisten Oligarchen hielt er sich aus der Politik heraus. Abramowitsch ging es um den wirtschaftlichen Erfolg, teure Hobbys, Jachten und handgefertigte Autos. Selbst für die Kremlriege der Superreichen war der Waise aus Uchta am Polarkreis ein Unikum. Er sprach leise, vernahm aber jeden Laut. Kurzum, er war ein Soldat der Elite, die ihn pfleglich behandelte und kriminelle Taten vergaß. Schon in den 1990er Jahren war er ins Gerede gekommen, dass er einen Zug mit Ölwaggons habe verschwinden lassen.
Beim Volk sind die Oligarchen nicht beliebt. Damals wie heute. Sanktionen gegen die Reichen empfindet der Russe eher als eine Genugtuung.
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