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Ruheloser Revolutionär

SOZIALIST UND ZIONIST Dieses Jahr wäre der fast vergessene jüdische Frühsozialist Moses Hess 200 Jahre alt geworden. Robert Stadlober, Henning Venske, Thomas Wenzel und Ja, Panik-Sänger Andreas Spechtl frischen die Erinnerung mit einer Textcollage nebst Musik auf

Marx war Hess immer zu unsystematisch, zu romantisch und theatralisch

VON ROBERT MATTHIES

Er setzte als einer der Ersten leidenschaftlich auf die Einigung der Großmächte England, Frankreich und Deutschland in einem europäischen Staat, forderte als einer der ersten einflussreichen Sozialisten in Deutschland die Aufhebung von Klassenunterschieden, die Gleichberechtigung der Geschlechter und die freie Liebe als Grundlage der Ehe. Er gründete mit der Rheinischen Zeitung eine der ersten sozialistischen Zeitungen des Landes mit und schrieb sich selbst das Verdienst zu, den Industriellensohn Friedrich Engels zum Sozialismus „verführt“ und mit Karl Marx bekannt gemacht zu haben.

Mit beiden arbeitete er jahrelang eng zusammen, verfasste Teile der Deutschen Ideologie mit – und wurde kurz darauf zu einer der zentralen Zielscheiben ihrer Polemik im Kommunistischen Manifest. Und er formulierte vor dem Hintergrund des Antisemitismus auch seiner eigenen Gefährten und des offensichtlichen Scheiterns der Assimilation als erster jüdischer Autor der Neuzeit den Gedanken eines jüdischen Nationalstaates und gilt damit als geistiger Begründer des sozialistischen Zionismus.

Dennoch ist Moses Hess, der am 21. Januar 200 Jahre alt geworden wäre, heute weitgehend aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden und nur wenige Veranstaltungen widmen sich anlässlich seines Geburtstages dem ruhelosen Revolutionär. Seine Geburtsstadt Bonn hat nun zumindest nach einem Bürgerantrag eine Straße nach ihm benannt und auch in Köln erinnern eine Straße und ein Grabstein über einem leeren Grab – seine Gebeine ruhen im Kibbuz im real existierenden Israel – an den „Vater der deutschen Sozialdemokratie“. In Jerusalem hat sich im März eine internationale Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit „Moses Hess zwischen Sozialismus und Zionismus“ auseinandergesetzt, nächste Woche legt die Kölner SPD symbolisch einen Stein auf sein Grab im Stadtteil Deutz. Und in Bonn schließlich gedenkt die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit einem Festakt und einer Diskussion unter anderem mit Gregor Gysi sowie einer Ausstellung des „Bonner Vordenkers des Sozialismus“.

Aber auch in Hamburg wird die Erinnerung an den „roten Rabbi“ jetzt am Montag mit einem Abend der Vers- und Kaderschmiede ein wenig aufgefrischt. Der Historiker Volker Weiß hat dafür aus Briefen und anderen Zitaten, Paraphrasen und Fiktionalem eine Collage erstellt, in der er Hess, dem der Kabarettist Henning Venske seine Stimme leiht, leidenschaftlich mit Zeitgenossen, allesamt gesprochen vom Schauspieler Robert Stadlober, streiten lässt. Und so ein vielschichtiges Porträt des unbeugsamen Frühsozialisten zeichnet. Dazu steuern Thomas Wenzel, Bassist der Sterne, und Andreas Spechtl, Sänger bei Ja, Panik, Gedichte von Heinrich Heine bei – mit dem Hess die Hoffnung auf Frankreich und die Verachtung für die antisemitischen Preußen geteilt hat.

Joel Jacoby zum Beispiel setzt Weiß dabei neben Hess auf die Bühne, dessen pathetische „Klagen eines Juden“ dieser 1837 noch seinem literarischen Debüt „Die heilige Geschichte der Menschheit“ vorangestellt hatte – und den er später dafür umso leidenschaftlicher hassen musste: Nur zwei Jahre darauf ließ der sich, nachdem er sich als junger Mann kurzzeitig als Revolutionär versucht hatte, als Franz Karl Jacoby taufen, reiste als politischer Spion in die Schweiz und wurde schließlich als polizeilicher Literatur-Zensor im preußischen Berlin eine der „meistgehaßten Kreaturen seiner Zeit“.

Mit Carl Ludwig Friedrich von Hinckeldey lässt Weiß Hess sprechen, der als Berliner Polizeipräsident und Generalpolizeidirektor im Preußischen Innenministerium die Polizei zum allgegenwärtigen und europaweit gefürchteten Liquidator der 48er-Revolution machte. Und mit Berthold Auerbach, dem es als vorbestrafter radikal-liberaler Burschenschaftler nicht mehr möglich war, Rabbiner zu werden – woraufhin er notgedrungen zu einem der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit wurde. Zeitlebens versuchte Auerbach – ein „prototypischer Vertreter des aufgeklärten Juden, assimiliert und blind für den Hass, der ihm entgegenschlug“ – dabei deutscher Schriftsteller und zugleich Jude zu sein. Was ihn angesichts des trotz allem unüberwindbaren Judenhasses schließlich doch an Deutschland verbittern lassen musste.

Ganz anders Moses Hess, der in den 1860ern mit seiner Schrift „Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätenfrage“ plötzlich die Stimme für einen Judenstaat im „gelobten Land“ erhob, was zunächst für allerlei Kopfschütteln bei den Zeitgenossen sorgte. 40 Jahre später aber stieß die Idee zunehmend auf offene Ohren und auch Theodor Herzl konnte die Vorleistung Hess’ nicht in Abrede stellen: „Seit Spinoza hat das Judentum keinen größeren Geist hervorgebracht als diesen vergessenen verblassten Moses Heß!“

Und natürlich lässt Weiß Hess ausführlich mit seinem „lieben Freund und Gegenspieler“ Karl Marx – dessen Potenzial er früh erkannt und in dem er zu Beginn der 1840er noch seinen „Abgott“ entdeckt hatte – über Revolution, Klassen- und Frauenfrage disputieren. Denn obwohl Hess Letzterem schließlich doch immer zu unsystematisch, zu unwissenschaftlich, zu romantisch und theatralisch war, „mehr Hohepriester des Sozialismus als ein Analytiker“, war das Verhältnis beider stets von innigen Auseinandersetzungen geprägt, waren sich beide ebenso oft einig, wie sie sich in zentralen Fragen schließlich doch überworfen haben. Die Manuskripte für „Die deutsche Ideologie“ hatte Hess noch in Teilen mitverfasst, aber schon vor der endgültigen Fassung des Kommunistischen Manifests drängte Engels den mit dem Entwurf beauftragten „wahren Sozialisten“ endgültig in den Hintergrund: „Dem Mosi hab’ ich, ganz unter uns, einen höllischen Streich gespielt“, schrieb er damals hämisch an den Genossen Marx.

■ Mo, 18. 6., 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45

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