Human remains in Berlin: Repatriierung als Menschenrecht

Über die human remains aus Kolonialzeiten in Berlin ist wenig bekannt, sagt ein Gutachten. Weitere Forschung müsse zügige Rückgaben zum Ziel haben.

Der Schädel eines Opfers des Völkermords von 1904-08 in "Deutsch-Südwestafrika" liegt in einer Berliner Kirche aufgebahrt in einem Kasten

Schädel eines Opfers des Genozids in „Deutsch-Südwest“ bei einer Übergabezeremonie in Berlin 2018 Foto: dpa

BERLIN taz | Über die Verbrechen der Kolonialzeit – auch der deutschen – wird inzwischen viel diskutiert. Auch die Forderung nach Rückgaben geraubter Kulturgüter ist kein Tabu mehr, nicht zuletzt dank der Debatten ums Humboldt Forum. Ein wichtiger Aspekt kommt in der öffentlichen Wahrnehmung bislang jedoch kaum vor: dass in hiesigen Museen und Sammlungen auch Tausende menschliche Gebeine und Schädel (human remains) aus ehemaligen Kolonien lagern. Wie viele es genau sind und wer diese Menschen waren, ist größtenteils unbekannt, denn es gibt keine öffentlich einsehbaren Bestandslisten. Dies aber wäre eine Voraussetzung, damit die Nachfahren die Gebeine zurückfordern könnten.

Das am Dienstag vorgestellte wissenschaftliche Gutachten „We want them back“ zum Bestand menschlicher Überreste aus kolonialen Kontexten in Berlin gibt erstmals einen Überblick über die Lage. Veranlasst wurde es von der beim Verein Decolonize Berlin angesiedelten „Koordinierungsstelle für ein gesamtstädtisches Aufarbeitungskonzept zu Berlins kolonialer Vergangenheit“. Sie wurde vom Senat beauftragt, Berlins Kolonialgeschichte zu erforschen und ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen.

Laut dem Gutachten gibt es mehr als 5.958 menschliche Gebeine aus kolonialen Kontexten in Institutionen im Raum Berlin. Genau könne man es nicht sagen, erklärte die Verfasserin, die Ethnologin Isabelle Reimann von der Huboldt-Universität. Auch deswegen, weil die private Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, bei der sich die Rudolf-Virchow-Sammlung mit Knochen von rund 3.500 Individuen befindet, eine Auskunft verweigert habe. Hinzurechnen müsste man wohl auch die 16.000 Knochenfragmente aus Grabungen am ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie.

Reimann betonte, nur bei einem „Bruchteil“ der human remains habe Provinienzforschung stattgefunden, sodass die Namen der Toten oder wenigstens Herkunftskontexte zugeordnet werden könnten. Die Sammlungen hätten oft erklärt, dafür fehle es ihnen an Geld und/oder Expertise. Es gebe bislang auch kaum Kontakte der Berliner Institutionen zu Herkunftsgesellschaften, um Rückgaben einzuleiten.

Nach­fah­r*in­nen sollen mitreden

Für die weitere Provinienzforschung fordert Reimann die Einrichtung eines „advisory board“ aus Re­pa­tri­ie­rungs­prak­ti­ke­r*in­nen und Nach­fah­r*in­nen. Diese sollten die Sammlungen beraten und „an grundlegenden Entscheidungen ihre Vorfahren betreffend beteiligt“ werden. Ziel aller weiteren – möglichst institutionenübergreifenden – Forschung müsse sein, mehr Transparenz zu schaffen, um zügige Repatriierungen zu ermöglichen. Reimann: „Den Nachfahren muss es so einfach wie möglich gemacht werden, ihre Vorfahren angemessen zu bestatten und ihnen ein würdevolles Andenken zukommen zu lassen.“

Dazu sei Deutschland sogar verpflichtet, betonte Sarah Imani, Rechtsberaterin am European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), die am Dienstag einen Bericht zu Rechtsfragen in diesem Zusammenhang vorstellte: „Die Repatriierung von ancestral human remains ist ein Menschen- und Grundrecht.“

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