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Neue Kunsthalle Berlin in der KritikStreit um die Kunst

Mit Werken des Bildhauers Bernar Venet eröffnet im Flughafen Tempelhof die Kunsthalle Berlin. Der privat betriebene Kunstraum sorgt für Kontroversen.

Der Künstler spricht, seine Kunst im Hintergrund Foto: Daniel Biskup/Stiftung für Kunst und Kultur Bonn

Wann hat es das hierzulande einmal gegeben, dass KünstlerInnen zum Boykott einer Kunstausstellung aufgerufen haben? Vergangene Woche passierte das jedenfalls in Berlin. Es betrifft den französischen Künstler Bernar Venet. Zwar geht es den paar Berliner KünstlerInnen, die zum Boykott aufgerufen haben, eigentlich um die neue Kunsthalle Berlin im Flughafen Tempelhof. Dass aber Venet als Künstler getroffen wird und bei seiner Ausstellung in dem neuen Kunstraum ohne Publikum bleiben soll, wird dafür billigend in Kauf genommen.

Besagte Kunsthalle sei ein „zynisches, neoliberales Vehikel“, so lautet das Verdikt des bei Instagram veröffentlichten Boykottaufrufs. Eine Kunsthalle als private Unternehmung ist den Berliner KünstlerInnen im Umfeld des Berufsverbands Berliner Künstler_innen (BBK) – darunter mit Zoë Claire Miller und Heidi Sill zwei aus dessen Vorstand – offenbar per se verdächtig.

Dabei war der Urheber der Idee dieser kulturellen Zwischennutzung von zwei sanierungsbedürftigen und praktisch nicht zu vermietenden Hangars im Flughafen Tempelhof der damalige Regierende Bürgermeister Michael Müller persönlich. Dieser hatte anlässlich der Ausstellung „Diversity United“ dort im vergangenen September dem neuen Kunsthallenchef Walter Smerling das Angebot gemacht, die Hallen bis zu ihrer Sanierung und Ertüchtigung für einen History-Walk auf dem Dach des Flughafengebäudes mit Kunst zu bespielen.

Smerling ist Chef der 1986 als Privatinitiative gegründeten Stiftung für Kunst und Kultur e. V. mit Sitz in Bonn. „Diversity United“ war seine Schöpfung. Dank Smerlings guter Kontakte zur Politik ist das unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Steinmeier stehende Projekt der künstlerischen Standortbestimmung Europas gerade auf Station in Moskau und wird danach in Paris gezeigt.

Die Kunsthalle Berlin

Die Schau In der Venet-Ausstellung im Flughafen Tempelhof ist neben den bildhauerischen Arbeiten des französischen Künstlers auch sein gesamtes malerisches Werk zu sehen. Die Schau läuft bis 30. Mai, täglich bis auf Dienstag von 11 bis 18 Uhr. Eintritt 10/5 Euro.

Der Ort Die umfassende Werkschau mit den Arbeiten von Bernar Venet ist die erste Ausstellung der neuen Kunsthalle Berlin in den Hangars 2 und 3 im Flughafen Tempelhof. Der Ausstellungsraum ist zunächst für die Dauer von zwei Jahren angelegt.

Was da in den Tempelhofer Hangars vergangenen Freitag mit einer umfassenden Retro­spektive des 80-jährigen Erfolgskünstlers Bernar Venet eröffnet wurde, hätte eine öffentliche Kunsthalle vermutlich nicht in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt. Dank privaten Kapitals von Immobilienentwickler Christoph Gröner als Sponsor konnten die etlichen Tonnen Stahl aus Venets sechzigjähriger Schaffenszeit in Tempelhof versammelt werden.

Schöpfer des Stahlbogens

Venet dürfte in Berlin vor allem als Schöpfer eines riesigen Stahlbogens bekannt sein. Der inmitten der Autoschneise An der Urania platzierte, nach oben geöffnete Bogen – ursprünglich zur Berliner 750-Jahr-Feier als Geschenk Frankreichs eingeweiht – kommt heute graffitibeschmiert und hinter Bäumen versteckt trotz seiner Spannweite von 40 Metern wenig zur Geltung. Schon 2019 hatte die Botschaft Frankreichs wegen der Verwahrlosung des Bogens in Berlin interveniert. Venet will sein Werk deshalb (auf eigene Kosten) um einige Meter versetzen lassen. Eine Entscheidung dazu ist noch nicht gefallen.

Für Smerling und seine Kunsthalle war Venet zum Auftakt jedenfalls so etwas wie eine Ideallösung. Seine Stahlplastiken, die zuweilen an überdimensionale Spaghetti-Knäuel erinnern, trotzen ohne Probleme der fehlenden Heizung und füllen die riesigen Hallen, wie wohl nur wenige Kunstwerke es überhaupt vermöchten. Die Hangars können ohnehin nur schlecht beheizt werden. Das Flughafengebäude ist technisch zum Teil noch auf dem Stand der 30er Jahre. Smerlings Stiftungsverein nimmt also die fehlende Klimatisierung in Kauf, was zumindest den Vorteil hat, die Betriebskosten nicht noch teurer werden zu lassen. Miete zahlt Smerling ansonsten keine. Das war der Deal mit Michael Müller: eine Bespielung mit Kunst gegen mietfreie Überlassung.

Offenbar geht es den zum Boykott aufrufenden KünstlerInnen aber gar nicht um Sein oder Nichtsein einer Kunsthalle in Berlin. Die Berliner KünstlerInnen bräuchten „nicht notwendigerweise eine neue Kunsthalle“, hieß es im Manifest der Initiative „Haben und Brauchen“ aus dem Jahr 2012, auf die man sich jetzt ausdrücklich beruft. Damals ging es eher darum, der Verdrängung von KünstlerInnen aus der Stadt(-ge­­sellschaft) zu begegnen, die in einer privatisierten Immobilienlandschaft und in einer auf Rendite gebürsteten Stadtentwicklung keine bezahlbaren Ateliers mehr finden.

Problematisches Wort

Doch auf das Wort „Kunsthalle“ reagiert man beim BBK offenbar noch immer allergisch. „Mit der Selbsternennung zur ‚Kunsthalle Berlin‘ suggeriert die ‚Stiftung für Kunst und Kultur e. V.‘ aus Bonn – die keine Stiftung ist, sondern ein Verein, der eigene Interessen verfolgt –, dass die Nutzung des historischen Tempelhofer Flughafenhangars durch diesen Verein öffentlich legitimiert sei. Das ist jedoch keineswegs der Fall“, heißt es jetzt in einer Pressemitteilung des BBK.

Der Stiftung Kunst und Kultur wird aber zumindest offiziell „Gemeinnützigkeit“ attestiert. Und Smerlings Verein will nach eigenem Bekunden öffentlich und „aktiv für die Kunst und die kulturelle Vielfalt“ wirken. Sein Verein hat dafür nicht nur etliche finanziell potente Mitglieder, sondern ist auch gut in die Politik hinein vernetzt. Eine Melange, wie sie auch andernorts vorkommt und etwas möglich macht, was Smerlings Verein in seiner Selbstbeschreibung „Gestaltungsanspruch“ nennt.

Ob die Interessen der zum Boykott aufrufenden Berliner KünstlerInnen sozusagen mehr allgemeinnützig sind als die von Leuten mit Geld und guten Kontakten, wie sie in dem Verein von Smerling versammelt sind, darüber ließe sich vielleicht streiten. Ein Gesprächsangebot von Smerling aber haben die KünstlerInnen jedenfalls bis jetzt ignoriert. Die neue Kunsthalle im Flughafen soll im Übrigen, wie Smerling am Freitag verkündete, noch einen Beirat bekommen, der das zukünftige ­Programm erst noch festlegen wird.

Dass Smerlings Kunsthalle dereinst doch noch Senatsknete abziehen wird, wie von den zum Boykott aufrufenden KünstlerInnen explizit befürchtet, ist derzeit Spekulation. Und es ist durchaus zu verstehen, dass man darüber betrübt ist, dass der Kapitalismus in Berlin inzwischen genauso durchschlägt wie andernorts.

Die billigen Ateliers sind Vergangenheit, Freiräume aufgebraucht. Das kann man bedauern, ist aber nicht wirklich neu. Und ein Aufruf zum Boykott, der zuerst Künstler wie Venet trifft, spricht weniger für den Hang zur Kultur als für den Drang nach Publicity in eigenem Interesse – mithin genau das, was man dem Projekt Kunsthalle vorwirft.

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5 Kommentare

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  • Hier ein ausführlicher Bericht über die Aktivitäten von Herrn Smerling (leider PayWall): www.faz.net/aktuel...ling-17743829.html

  • Die Kunstgeschichte lehrt:



    „Der Architekt diente dem Pharao, der Maler XY wurde an den Hof von Herzog Z gerufen, der Bildhauer in die Dienste von König ABC…“, wo allen günstige Werkstätten geboten wurden.



    Zwar ist der Adel abgeschafft, nicht aber das Geld, das Sponsering und das Mäzenatentum. Seid nicht neidisch, seid besonders und fangt klein an, dann klappt‘s auch mit der Karriere und dem Atelier.

  • Worpswede, Murnau, die Provence…



    Zahlreiche Künstler, denen ihre Kunst wichtiger war als ein cooler, angesagter Standort, haben sich daher in der Provinz niedergelassen, das war schon immer so.



    Liebermanns Atelier am Brandenburger Tor oder seine Villa am Wannsee sind auch schon vergriffen. Merke: günstige Ateliers für mittelmäßige Künstler waren schon zu allen Zeiten knapp, und zwar in allen Metropolen, außer zu seligen Zeiten in West-Berlin vielleicht. „Ich will aber günstig jetzt und hier!“ funktioniert weder bei Wohnung noch Atelier, weder in Berlin noch Paris, New York, London oder Miami.

    • @Allesheuchler:

      Ihnen scheint die Geschichte der KünstlerInnen, die genannte Kolonien genutzt haben nicht mal bekannt zu sein. Es waren nicht finanzielle Nöte, die Kandinsky, Modersohn und Co in die Provinz gedrängt haben, sondern der neugierige Blick auf das sogenannte Exotische. Die Entscheidung für die Provinz war entsprechend der move einer priviligierten clique, die ihren kolonisierenden Durst stillen wollten.



      Ihr Kommentar zeugt von einem ähnlich erschreckenden Zynismus wie die Aussage mancher, dass Arme Menschen sich schlicht mehr anstrengen sollten, falls sie diese Nöte hinter sich lassen wollten.



      Checken Sie Ihre Privilegien bevor Sie solch einen uninformierten Kommentar in die Welt setzen.

  • 0G
    09399 (Profil gelöscht)

    Es ist schon ein wenig traurig, wenn ein Artikel in der taz eine 'Kunsthalle' begrüßt, die von einem der heftigsten Gentrifizierer Berlins mitfinanziert wird. Und wenn die Aneignung öffentlicher Räume durch privates Kapital mit "Gestaltungsanspruch" nicht mehr als das kritisiert wird was es ist: die Aneignung öffentlicher Räume durch privates Kapital.



    In diesem Fall richtig bitter: Dieses Geld ist durch die Verdrängung der Leute zusammengerafft worden, die Berlin seit der Wende mit subkultureller Kunst groß und bekannt gemacht haben. Die, die nicht mit der Zeit gegangen sind und auf Umsatz und Establishment gesetzt haben, stehen jetzt ohne Ateliers da, einfach weil Wohnen und Arbeiten nicht mehr bezahlbar sind. Nicht zuletzt wegen Immobilieninvestoren wie Gröner.



    Der etwas herablassende Blick des Autors auf die Künstler*innen, die jetzt zum Boykott der Ausstellung aufrufen, um gegen diese massiv fortschreitende Verdrängung zu protestieren, zeugt von elitärer Selbstprojektion. Mit der Ausstellung, die gezeigt wird, hat das erstmal nur wenig zu tun. Schade wenn Journalismus sich auf die Seite der Gentrifizierer stellt und die 'guten Kontakte in die Politik' nicht weiter hinterfragt, sondern das Küngeln willkommen heißt. Warum? Solange es nur ästhetisch auf der richtigen Wellenlänge ist? Lame.



    Der Vorwurf an die Künstler*innen, die diesen Mist jetzt laut und politisch anprangern, sie täten das nur aus Eigennutz, ist billig und entpolitisiert den Protest.



    Leseempfehlung für einen Text, in dem der kritisierte Verein BBK nochmal anders auftaucht: taz.de/Altersarmut...lerinnen/!5782542/