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Lücken im Freiluftmuseum

Die Eu­ro­päe­r schafften Hunderttausende antike Schätze aus Ägypten – mit Gesetzen, die sie selbst erließen

Aus Kairo, Ägypten Maha Salaheldin

Luxor am Nil, 25. November 2021: Hunderte junge Männer und Frauen ziehen vom Karnak- zum Luxor-Tempel. Gekleidet in goldfarbenen Gewändern rezitieren sie den Gesang des Amun, des Gottes der Sonne, des Winds und der Fruchtbarkeit im alten Ägypten. Mit der aufwendig produzierten Show hat der ägyptische Staat die 3.000 Jahre alte „Sphinx-Allee“ wiedereröffnet.

Was klingt wie eine neue Touristenattraktion ist eine Straße, die einst für die Krönungszeremonien der Pharaonen gebaut wurde. Die restaurierte Allee mache Luxor zum „größten Freiluftmuseum der Welt“, sagte Ägyptens Antikenminister Chalid al-Anani während der Zeremonie, an der auch Präsident Abdel Fattah al-Sisi teilnahm.

An der rund drei Kilometer langen Allee standen früher einmal 2.700 sphinxähnliche Statuen mit Widderköpfen, die Amun symbolisierten. Davon sind im heutigen „Freiluftmuseum“ nur noch 300 übrig. Viele wurden in der Zeit nach den Pharaonen zerstört. Andere haben die Jahrtausende zwar überstanden, stehen heute aber anderswo. Mit unzähligen weiteren antiken Kulturgütern wurden sie während der britischen Besatzungszeit von ausländischen archäologischen Missionen aus Ägypten abtransportiert. Die Widder etwa sind heute unter anderem in London, New York, Boston oder Berlin.

Im Britischen Museum steht eine Granitstatue eines Widders, der Amun darstellt und im 7. Jahrhundert v. Chr. den Pharao Taharqo beschützte. Der britische Ägyptologe Francis Llewellyn Griffith schenkte sie dem Museum, nachdem er sie 1933 entdeckt hatte.Griffith war einer von insgesamt 316, die Großbritannien zwischen 1880 und 1980 zur Ausgrabung von Altertümern nach Ägypten entsandt hatte. Das ermittelte das britische „Artefacts of Excavation“-Forschungsprojekt. Es identifizierte ganze archäologische Sammlungen mit Hunderttausenden ägyptischen Artefakten, die an Museen in 26 Länder verteilt wurden.

Eine weitere Forschergruppe der Harvard University in den USA befasste sich mit den ägyptischen Altertümern im Ägyptischen Museum in Berlin. Sie stellten fest, dass sich dort Widder aus Ausgrabungen in Abydos, Assuan und dem Tempel des Amun in Luxor befanden.

Dass die archäologischen Missionen Hunderttausende solcher Artefakte aus Ägypten abtransportieren konnten, hat mit dem kolonialen Recht zu tun. Ägypten war de facto ein britisches Protektorat, und die Besatzer erließen zwischen 1874 und 1952 insgesamt vier Gesetze, mit denen sie sich selbst ermächtigten, seltene Stücke wie beispielsweise die Widder von Luxor in Museen anderer Länder abzutransportieren. Das wichtigste dieser Gesetze ist das sogenannte „Divisionsgesetz“ von 1874, das mit einigen Änderungen bis heute gültig ist. Es regelte die „Fundteilung“: Eine Hälfte blieb vor Ort, die andere Hälfte der Fundstücke ging in das Land, das die Ausgrabung finanzierte. Im Laufe der Jahre wurde der Anteil, den die archäologischen Missionen bekamen, auf 10 Prozent verringert. Gleichwohl schrumpfte das historische und kulturelle Erbe des ägyptischen Volkes so immer weiter.

Im Herbst 1970 beschloss die UN-Kulturorganisation Unesco die Konvention gegen illegalen Handel mit Kulturgut. Ausfuhr oder die gewaltsame Verbringung von Kulturgütern als „Folge der Besetzung eines Landes durch einen fremden Staat“ wird darin als „rechtswidrig“ bezeichnet. Die Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich, die „schnellstmögliche Rückgabe des ausgeführten Kulturguts an seinen rechtmäßigen Eigentümer zu erleichtern“, und zwar auf Ersuchen des Herkunftslandes.

Doch im Falle Ägyptens hat die Regierung die Gesetze der Besatzungszeit beibehalten – so kann sie sich nicht auf die Konvention berufen. Shaban Abdel Jawad leitet die Abteilung für die Wiederbeschaffung antiker Kulturgüter im ägyptischen Ministerium für Tourismus und Antiquitäten. „Um den Schmuggel antiker Artefakte zu bekämpfen, haben wir sämtliche staatlichen Stellen mobilisiert“, sagt er. Kontrolliert werden Schmuggelrouten innerhalb des Landes sowie an Luft- und Seehäfen. Denn bis heute ist der Diebstahl archäologischer Fundstücke ein überaus lukratives Geschäft, das Jawad unterbinden will. Doch all das, was schon in der Zeit der britischen Besatzung aus dem Land gebracht wurde, kann er nicht zurückholen: „Die Gesetze, die dies erlaubten, wurden zwar unter einer nichtägyptischen Herrschaft erlassen, waren aber damals gültig.“

„Die Antwort kann nur lauten: Die Nofretete gehört nach Ägypten“

Jürgen Zimmerer, Historiker

Das sehen nicht alle so. Hussein Duqeil forscht am Kairoer Egyptian Institute for Studies. Er interpretiert die Unesco-Konvention so, dass sie Ägypten das Recht gibt, Artefakte aus der britischen Besatzungszeit zurückzuholen. Das gelte auch gegenüber Auktionshäusern im Ausland, die bis heute offen ägyptische Antiquitäten verkaufen. Duqeil fordert, dass die Regierung die heute noch gültige 10-Prozent-Beteiligung für ausländische Finanziers von Ausgrabungen kippt – so wie sie einst die 50-Prozent-Klausel kippte. „Diese Aufteilung der Artefakte mit den ausländischen Missionen machte diese zu Eigentümern der Fundstücke. Deshalb ist es heute schwierig bis unmöglich, sie zurückzuerhalten.“

Auch der deutsche Historiker Jürgen Zimmerer sieht das so. Der Erwerb der berühmten Nofretete-Büste durch das Ägyptische Museum in Berlin etwa nennt Zimmerer „höchst problematisch“, sagte er dem Spiegel. Die Büste sei unter „Bedingungen der europäischen Fremdherrschaft“ nach Deutschland gelangt. „Die Ägypter hat niemand gefragt. Nach ethischen Maßstäben kann die Antwort deshalb nur lauten: Die Nofretete gehört nach Ägypten.“

Das „Fundteilungs“-Prinzip hätten sich die „Diebe untereinander gegeben“, es sei nicht legitim. Für ihn ist der Befund eindeutig: „Die Nofretete wurde geraubt.“ Die Enteignungen durch die Nationalsozialisten hielten wir ja auch nicht für legal, „obwohl das einst geltendes Recht war“, begründet der Historiker.

Auch Hussein Duqeil sagt, Ägyptens Regierung müsse auf die Rückgabe des archäologischen Erbes aus der Zeit der Besatzung bestehen. Sonst bleiben weiterhin Tausende Plätze antiker Widderstatuen an der Sphinx-Allee leer.

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