Journalismus in Somalia: In den Händen der Clans

Somalia gilt als eines der korruptesten Länder in der Welt, freie Wahlen gelten als utopisch. Das Leben im Land als Journalist ist gefährlich.

Lomedy Mhako (*1989) lebt in Harare (Simbabwe) und arbeitet als Grafikdesigner bei der Zimbabwe German Society Illustration: Lomedy Mhako

Im Dezember 2021 war ich zu einer Fortbildung kurz im Ausland. Doch als ich in meine Heimatstadt Boosaaso am Golf von Aden zurückwollte, war das nicht möglich. Heftige Gefechte zwischen zwei Militäreinheiten waren ausgebrochen. Sie sagen einiges darüber aus, was in meiner Heimat Somalia schiefläuft: Es kam zu den Kämpfen, als der Kommandeursposten der Puntland Security Force (PSF), einer von den USA ausgebildeten Spezialeinheit, neu besetzt werden sollte. Diese Gruppe war 2002 in Somalias semiautonomem Bundesstaat Puntland gegründet worden, um den Al-Qaida-Ableger Al-Shabaab zu bekämpfen. Die gut ausgerüstete Miliz untersteht weder der Zentralregierung in Mogadischu noch jener von Puntland – und die Zukunft der PSF ist unklar, seit die USA sich 2020 aus Somalia zurückzogen haben.

Die meisten PSF-Soldaten und ihre drei letzten Kommandeure gehören dem Clan von General Osman Mohamud an. Als Said Abdullahi Deni, der Präsident von Puntland, ankündigte, er wolle einen neuen Kommandeur einsetzen, der wiederum mit seinem Clan eng verwandt war, eskalierte der Konflikt. General Osman Mohamud zog seine Antiterrortruppen von ihren Außenposten ab und verschanzte sich mit ihnen im Hauptsitz in Boosaaso. Ende Dezember brachen dann die besagten Kämpfe zwischen seiner PSF und Einheiten der Regierung aus. Rund 50 Menschen wurden getötet, 80 weitere verletzt. Ein Großteil der Be­woh­ne­r*in­nen von Boosaaso – der drittgrößten Stadt Somalias – verließ die Stadt. Es ist schon das dritte Mal, dass auch ich aus Angst um meine Sicherheit außerhalb Boosaasos leben muss.

Unterstützen Sie die taz Panter Stiftung und ihre Projekte in Osteuropa mit einer Spende. Mehr erfahren

Der Vorfall zeigt, wie mächtig die Clans bis heute sind – vor allem bei Wahlen, bei denen ihre Oberhäupter die Abgeordneten des Unterhauses bestimmen. Der Kauf von Stimmen ist gang und gäbe, und große Summen werden gezahlt, um einen Sitz im Parlament zu erhalten. Somalia sei „auf allen Ebenen vollständig von korrupten Eliten beherrscht, deren Hauptziel die Maximierung der Gewinne ist“, sagt der Korruptionsexperte Bashir Hussein. Dafür „missbrauchen sie ihre Macht systematisch, veruntreuen öffentliche Ressourcen und unterdrücken jeden, der nicht loyal zu ihnen ist“.

Freie Wahlen gelten als unrealistisch

Die für Februar 2021 angekündigten Parlamentswahlen sollten darum ein historisches Ereignis werden: Erstmals seit mehr als 50 Jahren sollten die Volksvertreter direkt gewählt werden. Doch erst verzögerte der amtierende Präsident Farmajo die Wahl, dann führte eine lange Dürre zu einer Hungerkrise, die noch anhält. Inzwischen finden die Wahlen statt, aber weiterhin als indirektes Verfahren mit Wahlmännern. Gleichzeitig sei es völlig unrealistisch, sagt Korruptionsexperte Hussein, unter den gegenwärtigen Bedingungen allgemeine freie Wahlen zu erwarten: „Jede seriöse Person konnte das voraussehen.“

Im Dezember 2021 eskalierte der schon länger schwelende Konflikt zwischen Präsident Farmajo und Premierminister Roble – und wessen beschuldigte Farmajo seinen eigenen Regierungschef? Der Korruption selbstverständlich. Es bleibt zu hoffen, dass die Auseinandersetzung das Land nicht in einen neuen Bürgerkrieg führt.

Bashir Hussein, Korruptionsexperte

„Somalia wird von korrupten Eliten beherrscht, deren Hauptziel die Maximierung der Gewinne ist“

Im Korruptionsindex von Transparency International (TI) lag Somalia 2020 zusammen mit Südsudan auf dem letzten Platz. Laut der somalischen Antikorruptionsorganisation Marqaati hat 2020 rund jeder zweite Einwohner Mogadischus Bestechungsgelder gezahlt. Marqaati führt dies auf „mangelhafte Rechtsstaatlichkeit“ und fehlende Institutionen zurück, um die Machthaber zur Rechenschaft zu ziehen. So würden in Somalia immer mehr Bestechungsgelder gezahlt, und zwar insbesondere „in Gebieten mit starker staatlicher Präsenz“. Der Fachmann Hussein schlägt deshalb die Gründung einer „ernsthaften, mit weitreichenden Befugnissen ausgestatteten und wirklich unabhängigen Antikorruptionskommission“ vor. Bürger müssten politische Parteien gründen, um „die Clan-Mentalität und die Korruption, die von der Öffentlichkeit toleriert wird“, zu beenden.

Laut TI ist die Korruption während der Pandemie gefühlt auch in der EU gestiegen. Gewiss: Korruption ist ein globales Phänomen. Mich hat überrascht, dass es in Deutschland zahlreiche Korruptionsfälle bei der Beschaffung medizinischer Ausrüstungen gegen das Coronavirus gibt, in die Politiker verwickelt sind. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass das Ausmaß der Korruption mit jenem in Somalia vergleichbar ist und dass es so schwierig wie bei uns ist, über das Thema zu berichten.

Eines der gefährlichsten Länder für Jour­na­lis­t:in­nen

Es ist meines Erachtens jedenfalls kein Zufall, dass Somalia nicht nur als eines der korruptesten Länder weltweit gilt, sondern auch als eines der gefährlichsten für Journalisten. Die National Union of Somali Journalists zählte seit 2012 mindestens 60 Morde an Journalisten und fast 400 willkürliche Verhaftungen, weil sie ihrer Tätigkeit nachgingen.

Weder die Regierung noch die Clans oder die Terroristen wollen, dass kritisch über sie berichtet wird. Wer zur falschen Zeit am falschen Ort oder ins Visier von irgendwem geraten ist, kann das mit seinem Leben bezahlen. Mehrere befreundete Kol­le­g:in­nen sind schon gewaltsam ums Leben gekommen.

Und auch ich war schon mehrfach in der Nähe, als Anschläge verübt wurden. Das letzte Mal geschah dies im Dezember 2019, als ich in einem Hotel in Mogadischu untergekommen war. Hotels werden oft von Terroristen angegriffen. In diesem Fall schossen Bewaffnete auf jeden, den sie trafen. Fünf Stunden lang habe ich mich in einer Ecke der Hotellobby versteckt gehalten, bis es endlich vorbei war.

Andererseits haben wir Jour­na­lis­t:in­nen uns an die unsicheren Umstände gewöhnt, und trotz aller Bedrohungen arbeiten wir weiter. Boosaaso, wo ich lebe, seitdem ich fünf Jahre alt bin, ist eine schöne und liebenswerte Stadt am Meer. Meine Eltern waren noch Nomaden. Als Flüchtlinge kamen wir nach Boosaaso; ich bin hier sesshaft geworden und möchte weiter in der Stadt leben. Von heute auf morgen wird sich die Situation aber nicht verbessern. Das sieht auch der Korruptionsexperte Hussein so. Für ihn ist Somalia „in einer tiefen, komplexen Krise“. Es werde Zeit und Mühe kosten, das zu ändern, sagt er. „Aber Untätigkeit ist keine Option.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.