piwik no script img

Coronaverstöße vor Berliner GerichtAlle 15 Minuten Recht

Seit fast zwei Jahren muss sich die Berliner Justiz mit etlichen Coronaverstößen herumschlagen. Ein Tag im Amtsgericht.

Bill Gates taucht in den Erzählungen der Verschwörungsanhänger vor Gericht auch auf Foto: Kevin Lamarque

Berlin taz | Ab 9 Uhr morgens dürfen die BürgerInnen ihre Beschwerden vortragen. In einem kargen Raum des Amtsgerichts Tiergarten in der Moabiter Kirchstraße warten zwei Justizmitarbeiterinnen bei offenem Fenster auf die Masse der klagenden Menschen. ZuschauerInnen oder andere JournalistInnen sind nicht anwesend bei den Verhandlungen an dem Tag, aber auch sie würden alle auf Impfung, Genesung oder Test kontrolliert werden. Und auf Waffen natürlich, die häufig in die Berliner Gerichte mitgeführt werden.

Seit fast zwei Jahren muss die eh schon überlastete Justiz in Berlin auch noch den Berg an Coronabeschwerden von BürgerInnen abarbeiten, die ihre Bußgelder nicht zahlen können oder wollen. Eine Sisyphusarbeit. Aber die von der Politik beschlossenen und mit Strafen bewehrten Pandemiemaßnahmen müssen eben umgesetzt werden.

So geht viel Zeit für 50-Euro-Knöllchen verloren. Selbst wenn die einzelnen Verhandlungen gar nicht so lange dauern: 15 bis 30 Minuten. Etwa die Hälfte wird vertagt oder endet mit einem Freispruch. Die andere Hälfte führt zu einer Verurteilung.

Frau L. ist eine von zwölf RichterInnen, die sich jeden Tag mit den eingelegten Einsprüchen beschäftigen: „Ich möchte meinen Namen aus verständlichen Gründen nicht in der Zeitung lesen“, sagt die Dame mit Perlenkette. Ihre Arbeit beschreibt sie so: „Ich schaue, ob die Klagen ordnungsgemäß sind. Und ich verhänge Bußgelder.“ Normalerweise beschäftigt sie sich mit organisierter Kriminalität und Spielhallenbetrug. Dafür aber ist jetzt weniger Zeit.

Nichtwissen schützt nicht

Die erste Person, die pünktlich vor Gericht erscheint, arbeitet bei der Deutschen Bank. „Ich wusste nicht, dass ich draußen in der Friedrichstraße eine medizinische Maske tragen musste. Ich parke immer in der Tiefgarage von Galerie Lafayette und hatte auf dem Weg zum Büro überhaupt kein Schild gesehen“, erklärt sie.

Das kostete die 26-jährige Angestellte 55 Euro. Ein Bußgeld, das sie nicht zahlen wollte. Weswegen sie geklagt hat. „Ich mache die Coronabestimmungen nicht. Das sind die Regeln des Parlaments. Und die BürgerInnen wollen, dass wir besser kontrollieren“, betont die Richterin und lehnt die Klage ab. Nun darf die 26-Jährige neben dem Bußgeld auch noch die Gerichtskosten zahlen.

Zuvor waren bereits mehrere KlägerInnen nicht vor Gericht aufgetaucht. Bei einem ging es um 100 Euro, weil er einen Mindestabstand nicht eingehalten habe. Was jetzt auch fällig wird für den Kläger, der schon persönlich hätte erscheinen müssen. Einen neuen Termin gibt es nicht. Auch Gerichtsprozesse über geringfügige Verstöße werden in Deutschland nicht per Video geführt. So digital sind die überlasteten Gerichte nicht, die selbst im Jahre 2022 noch mit Faxgeräten arbeiten.

Bußgelder brachten der Stadt 3 Millionen ein

Im Amtsgebäude, das einem Labyrinth ähnelt, gibt es ununterbrochen Diskussionen über Corona. Allein in Berlin wurden seit Frühjahr bis Weihnachten 2021 bis zu 62.000 Corona-Bußgelder verhängt. Ein Drittel der Verfahren ist noch nicht einmal abgeschlossen. Auf jeden Fall brachten die Bußgelder dem Land Berlin fast 3 Millionen Euro und eben auch viel Arbeit ein.

Die extra Belastung durch die Coronastrafen ist der Richterin egal: „Arbeit ist Arbeit“, sagt sie lapidar. Dann wird Recep K. hereingebeten, ein geschiedener Vater (36). „Sie bekommen eine Geldstrafe von 1.000 Euro, weil Sie im Lockdown ein großes Grillfest mit Freunden organisiert haben.“ Quatsch, antwortet der türkeistämmige Berliner. „Ich brachte als Fahrer ein repariertes Auto zu einem Kunden und bekam dort auf dem Hof ein Stück Fleisch angeboten. Darf ich das nicht akzeptieren?“ Die Richterin bietet einen Kompromiss an. Der Mann will die halbierte Geldstrafe aber nicht akzeptieren, weshalb nun in einem weiteren Gerichtstermin demnächst fünf PolizeibeamtInnen als Zeugen kommen und aussagen müssen.

Zwei weitere von Coronastrafen Betroffene werden aufgerufen. Zwei adrett gekleidete Unternehmer betreten den Raum mit dem moosgrünen Teppich. Sie hatten zu Hause in Charlottenburg eine Party organisiert. Nach den damals geltenden Pandemiebestimmungen waren aber mit etwa sechzig Menschen zu viele Gäste anwesend. „Wir finden, dass die Geldstrafe zu hoch ist. Es waren nur halb so viele Menschen da“, behaupten beide wie im Chor.

Der eine, ein 41-jähriger ehemaliger Banker von Goldman Sachs, muss angeben, was er verdient und besitzt, „Ich habe seit Langem keine Einnahmen wegen Corona. Ich lebe vom Ersparten“, sagt der geschiedene Unternehmer, der Apps entwickelt. Deshalb könne er die Geldstrafe von 6.000 Euro nicht bezahlen. Wie hoch seine Miete sei, will die Richterin wissen. Fast 2.000 Euro warm, antwortet er nach einigem Zögern.

Er hatte die Namen seiner Gäste mit den Adressen nicht vorschriftsgemäß auf Zetteln notiert. „Ich möchte Ihnen gerne widersprechen, Euer Ehren. Im Durcheinander, als die Polizei kam, sind unsere Formulare mit den Daten offenbar verschwunden. Und die vielen betrunkenen Jugendlichen, die die Einsatzkräfte überprüft hatten, waren nicht von uns eingeladen, sie standen draußen auf der Haustreppe.“ Sein Freund, der selbst auch Anwalt ist, nickt dazu.

Der Anwalt seufzt

Zur Überprüfung des Sachverhalts sind zwei Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung aus Charlottenburg gekommen. Da die beiden Unternehmer sich gegenseitig decken und kein Geständnis abgeben, müssen alle damals beteiligten Uniformierten im Dienst aussagen. Richterin L. schlägt einen Deal vor: Da einer der beiden nicht zahlen kann, muss der andere seine Schuld eingestehen, und die Strafe wird halbiert. Der Anwalt seufzt, will sich unter vier Augen beraten. In der Pause sagt die Richterin: „Zum Glück haben wir heute keine Anwälte, die selbst Coronaleugner sind, alles anfechten und aus der Pandemie ein Geschäftsmodell entwickelt haben.“

Kurz darauf stimmen die zwei Kläger nach der Pause dem vorgeschlagenen Kompromiss zu. Im nächsten Fall geht es um eine Flasche Bier, die der Kläger nach der Arbeit vor einem Köpenicker Supermarkt getrunken haben soll. Was aber zu der Zeit damals, 2020, nicht gestattet war. Die Polizei wies ihn vor Ort auf die Ordnungswidrigkeit hin und verhängte ein Bußgeld von 60 Euro.

Die will der 51-jährige Servicetechniker im roten Vodafone-Overall nicht zahlen. „Ich hatte eine leere Flasche gefunden“, entschuldigt er sich. „Sie haben die Wahl“, droht die Richterin, die seine Geschichte nicht glaubt: „Entweder Sie zahlen die Geldstrafe oder Sie gehen für sechs Tage ins Gefängnis.“ Neben normalen Ordnungswidrigkeiten zählte die Berliner Polizei im Zusammenhang mit der Pandemie auch über fünftausend Straftaten.

Und immer mehr BürgerInnen legen inzwischen Einspruch gegen die Geldbußen ein, die sie ungerechtfertigt finden. Im ersten Jahr der Coronabeschränkungen, 2020, gab es nur 26 Personen, die sich beschwerten. Im vergangenen Jahr wollten schon fast 200 Menschen, dass die Berliner Justiz ein Urteil spricht.

Maskenattest zu Hause gelassen

So wie eine Kubanerin, die am Alexanderplatz ein Glas Sekt trank: „Ich wusste nicht, dass das verboten war.“ „Unkenntnis schützt vor Strafe nicht“, so die Richterin. Schließlich wird Henrik P. (60) aus Magdeburg dem Gericht vorgeführt, er fühlt sich schikaniert. Der erwerbsunfähige Elektromonteur wollte eine Demonstration vor dem Reichstag besuchen. „Ich befand mich noch außerhalb des Versammlungsgeländes auf dem Gehsteig, trug da keine Maske. Die Polizei verbat mir trotzdem, zur Demo zu gehen. Mein Arzt sagte mir, ich muss wegen meiner Gesundheit keine Maske tragen.“ Dass er die Papiere mal zeigen solle, sagt die Richterin. Sie will prüfen, ob die ärztlichen Atteste überhaupt echt sind.

Henrik P. hat sie nicht dabei und muss sie zu Hause holen. Draußen droht er der Justiz: „Der Wind wird sich drehen.“ Der Mann, der an Verschwörungstheorien glaubt, warnt auch noch vor Bill Gates, Rockefeller und der „Blut trinkenden Elite“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!