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„Orfeo ed Euridice“ in BerlinZupackend, hell und hart

Glucks Oper „Orfeo ed Euridic“ ist ein Klassiker. Damiano Michieletto zeigt es an der Komischen Oper als gegenwärtiges Drama.

Hinreißend ist das, weil es so wahr ist. Szene aus „Orfeo ed Euridice“ Foto: Iko Freese/Drama Berlin

Es ist schon alles gesagt. Über die Liebe ohnehin, aber auch über Orpheus, den kultischen Sänger, und über den Komponisten Christoph Willibald Gluck, seine Oper und warum sie eine Revolution war. An der Komischen Oper ist alles wieder ganz neu, erstaunlich und ergreifend schön. Das ist die Art von Wunder, die vielleicht nur in der Oper möglich ist. Nagelneue Werke stehen dort selten auf dem Spielplan. Das meiste ist schon tausendmal gesungen worden. Man will es trotzdem immer wieder hören.

Warum das so ist, muss man bei Damiano Michieletto nicht fragen, man sieht es. Der heute 47 Jahre alte Italiener hatte vor sechs Jahren die Komische Oper schon einmal verzaubert mit „Le Cendrillon“, einem fast vergessenen Werk von Jules Massenet. Das Aschenputtel musste im Probensaal des Balletts sein Märchen erleiden. Jetzt sitzen Orpheus und Euridike am Küchentisch und haben sich nichts mehr zu sagen. So ist es nun mal mit der Liebe. Sie kommt und geht, man weiß nicht, warum, und hat die Krise.

Der Bühnenraum ist leer und weiß, aber allein sind die beiden nicht. „Amore“, die Allegorie der Liebe, tanzt herum, in Schwarz zuerst, am Ende im Glitzerfummel, immer mit Hexenhut und Zauberstab. Gluck hatte zwar sämtliche Götter der Sage zugunsten der aufgeklärten Freiheit der Person abgeschafft, die Liebe jedoch musste bleiben. Sie hat als Rolle wenig zu singen und ist mit der Anfängerin Josefine Mindus aus dem Opernstudio besetzt, aber eine Nebenfigur ist sie nicht. Sie dirigiert das Spiel, das sie gewinnt, nicht, weil sie göttlich, sondern weil sie erfahren ist.

Orpheus braucht Hilfe. Carlo Vistoli, der Kontratenor, hat schon seinen Koffer gepackt, aber dann senkt sich ein riesiger weißer Kasten vom Bühnenhimmel herab, in dem der Küchentisch samt Nadja Mchantaf verschwindet. Er fährt wieder hoch und Euridike liegt im Krankenhaus. Pflegepersonal und Kranke bilden den Chor, den Gluck für die Totenklage vorgesehen hat. Mehr ist nicht nötig, um aus Mythos und Geistesgeschichte ein vollkommen gegenwärtiges Drama des Alltags zu machen. „Du antwortest nicht“, klagt Vistoli mit der ganzen Macht und Kunst seiner unglaublichen Stimme.

Gluck weiß es besser

Seine Euridike hatte schon vorher nur geschwiegen. Liebt er sie jetzt eben doch wieder? Gluck weiß es besser. Er erzählt die Leiden eines Mannes, der das so wenig weiß wie irgendein anderer Mann. Er schickt ihn in die Unterwelt, wo Nadja Mchantaf endlich auch einmal ihren wunderschönen Sopran entfalten darf. Der Regisseur und sein Bühnenbildner Paolo Fantin lassen dafür den Bühnenhintergrund in einen perspektivisch verengten Tunnel auslaufen.

Die nächste Aufführung

Orfeo ed Euridice, wieder am 29. Januar in der Komischen Oper Berlin

Der Kostümbildner Klaus Bruns steckt den Chor in schwarze Kapuzenmäntel für die Furien, in denen Vistoli untergeht. Aber seine Stimme ist stärker, sie zerreißen ihre Umhänge und sind selige Geister in Unterwäsche. Schier endlose Meter an schwarzem Tuch müssen nun aus dem engen Ende des Tunnels herausgezerrt werden, bis schließlich auch die Frau darunter hervorkriecht, um die es angeblich geht. Aber er schaut sie gar nicht an. Ihre Liebe ist das nicht, es ist der Küchentisch!

Wie jedes wirklich große Theater ist auch dieses komisch. Am Ende erst recht. Jetzt gibt es gleich vier Euridiken, die immer tot vom Stuhl fallen oder unter dem Zentralkasten verschwinden. Eine schiebt die Urne mit der Asche auf die Bühne, ein Tanz der vier Toten wirft sie in die Luft, bis ein Wasserguss vom Bühnenhimmel alles wegspült. Wie begossene Pudel steht das Paar dann da, schaut sich in die Augen und der Krankenhauschor besingt den Triumph der Liebe.

Glucks Revolution

Hinreißend ist das, weil es so wahr ist. Offenbar gibt es Erfahrungen, die universaler sind als soziale Lagen. Genau das war Glucks Revolution, damals gegen den Adel, heute gegen den ganzen Rest der Welt. David Bates dirigiert diese Musik. Er leitet in England ein eigenes Ensemble für historische Spielpraxis, die mit der Marke „Alte Musik“ inzwischen falsch bezeichnet ist. Bates nimmt Gluck nur musikalisch beim Wort, deswegen klingt er extrem modern.

Hell, hart und zupackend spielt das Orchester, das schmucklos einfache Melodien und Akkorde zu einer Folge von Szenen zusammenfügt, die in sich selbst dramatisch sind. Nur sie, nicht der an seine Zeit gebundene Text, machen es möglich, das Phänomen der Liebe zu begreifen als das, was es ist: ein ewiges Rätsel. Sie kommt und geht, ist zum Lachen komisch und zum Weinen schön.

Es gehört sich vielleicht nicht, heute noch so ungeniert daherzuträumen. Aber deswegen ist die Oper einst erfunden worden. Es muss erlaubt sein. Nach der Premiere am Sonntag war der Applaus ein einziger, dankbarer und glücklicher Jubel.

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