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Mediales Dilemma im Fall Peng ShuaiUngewollte Gehilfen

Fabian Kretschmer
Kommentar von Fabian Kretschmer

Die Lebenszeichen der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai sind inszeniert. Doch die westlichen Medien sind nicht nur Beobachter, sondern Mitspieler.

Sämtliche Lebenszeichen von Peng Shuai sind streng vom chinesischen Propagandaapparat inszeniert Foto: Mike Segar/reuters

D er Fall Peng Shuai stellt für Journalisten ein Dilemma dar, das sich praktisch nicht auflösen lässt. Die Tennisspielerin hatte noch Anfang November auf ihrem Online-Account dem ehemaligen Vizepremier Zhang Gaoli vorgeworfen, sie vergewaltigt zu haben – nur um am Sonntag ihre Anschuldigungen ohne Erklärung zurückzuziehen. Es habe sich alles nur um ein großes Missverständnis gehandelt, sagte die Chinesin. Aber hat sie das auch wirklich gemeint?

Klar ist: Sämtliche Lebenszeichen der Athletin seit den #MeToo-Anschuldigungen sind streng vom chinesischen Propagandaapparat inszeniert. Dass die meistgesuchte Frau des Landes „zufällig“ bei einer Sportveranstaltung von einer ihr nicht bekannten Reporterin „spontan“ interviewt wird, ohne von Sicherheitskräften abgeriegelt zu werden, ist absolut unwahrscheinlich. Für jeden ausländischen Journalisten in China ist allein die Vorstellung geradezu lächerlich.

Und dennoch bleibt die alles entscheidende Frage: Meint Peng Shuai ihre Aussagen aufrichtig, oder hat sie diese unter Zwang getätigt? Jede Antwort ist zum Scheitern verurteilt: Wer davon ausgeht, dass die 35-Jährige nur eine Marionette in einem politischen Plot ist, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, eine mündige Bürgerin zu patronisieren. Der Vorwurf vieler Chinesen lautet oft, dass westliche Journalisten die eigenen Erwartungen nur durch die subjektive Weltsicht bestätigt wissen wollen.

Wenn man andererseits die Aussagen Peng Shuais für bare Münze nimmt, vernachlässigt dies jedoch das totalitäre System Chinas, in dem Bürger bereits für harmlosere Kritik gegen die Zentralregierung eingesperrt werden. Würde Peng Shuai ihren Vorwurf vor laufender Kamera wiederholen, würde dies zweifellos eine Bedrohung ihrer körperlichen Unversehrtheit bedeuten. Genau diese Metaebene ist jedoch wichtig, um den Fall zu verstehen. Die meisten Medien, die ohne Einordnung des Kontexts die Zitate Peng Shuais rein vermeldet haben, haben sich ungewollt zu Gehilfen der chinesischen Staatspropaganda gemacht.

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Fabian Kretschmer
Korrespondent in Südkorea
Seit 2024 Korrespondent für die koreanische Halbinsel und China mit Sitz in Seoul. Berichtete zuvor fünf Jahre lang von Peking aus. Seit 2014 als freier Journalist in Ostasien tätig. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Betreibt nebenbei den Podcast "Beijing Briefing". Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.
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5 Kommentare

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  • Wenn man andererseits die Aussagen Peng Shuais für bare Münze nimmt, dann nimmt man zur Kenntnis, dass sie in Ihrem Post vom November über einen erzwungenen sexuellen Akt schrieb.



    Und als westlicher mittelalter Mann bestätigt mir ihr aktueller Auftritt meine eigenen Erwartungen, die ich von einer modernen Diktatur habe.



    In anderen Artikeln ist zu lesen, dass sie nicht mehr Tennis spielt. Vielleicht züchtet sie demnächst Rosen im Himalaya.

  • Strukturelle Fragen kristallisieren erneut an Einzelschicksalen und kumulieren in Systemkritik im Vorfeld eines Massenkulturevents mit großer wirtschaftlicher Bedeutung und außerordentlicher politischer Strahlkraft: Olympische Winter-Spiele. Die negativ intendierte Politisierung und die Kritik an China hatte Dr. Bach vorläufig schon diplomatisch "vom Eis geholt". Sicher ist der Umgang mit kritischen Personen im öffentlichen Leben - und speziell in autoritären Systemen - für NGOs und Verbände, so auch die Kolleg:innen im Tennis-Sport, mehr Herausforderung als nur die Wahrnehmung im Beobachtungsmodus. Aber: Der kriminalisierende Umgang im Westen mit WhistleblowerInnen, die als VerräterInnen und StaatsfeindInnen gebrandmarkt wurden, ist vice versa kein Ruhmesblatt und keinesfalls in der Diskussion abgeschlossen. Hüben wie drüben Dunkelfelder und Halbschatten, alles hängt mit allem zusammen.

  • Wie kann China es wagen, ein so sorgfältig aufgebautes Narrativ eines brutalen Regimes zu zerstören? Aber bleiben wir bei den zugebenermaßen dürftigen Fakten. Peng Shuai gestand in ihrem Weibo-Beitrag, dass sie über Jahre die Geliebte von Zhang Gaoli war und machte ihm, aber auch sich selber, Vorwürfe über die ihrer Meinung nach unmoralischen Beziehung. Sie sah allerdings in ihm den Schuldigen und sich selber in diesem Sinne missbraucht. Gegen den in den Medien benutzten Begriff der Vergewaltigung spricht die langjährige Dauer der Beziehung, allerdings ist das auch kein eindeutiger Gegenbeweis. In deutschen Medien tauchte nach dem Verschwinden des Beitrags auch sehr schnell der Vorwurf auf, Peng sei "verschwunden". Das "Verschwinden lassen" von Personen konnotiert in Deutschland an die Methoden der Gestapo, die missliebige Personen in der Tat "verschwinden" ließ, ins KZ lieferte oder umbrachte. Frau Peng, das wurde schnell klar, trat nur nicht mehr öffentlich im Internet auf. Aber die Medien und einige Politiker bleiben bei dem hahnebüchenen Narrativ des "Verschwindens", selbst nachdem IOC-Präsident Bach öffentlich mir ihr gesprochen hatte. Wie schrieb Christian Morgenstern: "Und er kommt zu dem Ergebnis:



    "Nur ein Traum war das Erlebnis.



    Weil, so schließt er messerscharf,



    nicht sein kann, was nicht sein darf."

    Also schließt so mancher Journalist



    Dass Peng nach wie vor "verschwunden" ist

    • @Ostwind:

      Ach unser Wumao kann es mal wieder nicht lassen.



      Ja, in China wird mti Gestapo Methoden gearbeitet. Dank moderner Überwachungstechnik und der Allgegenwart des Staates ist nciht mehr nötig jeden einzelnen Kritiker ins "KZ" zu stecken. Man arbeitet differenzierter über Hausarrest, Maulkorb und bei Bedarf mit einem "Trainingcamp".

      Ich wünsche Ihnen frohen Weihnachten in der freien Welt, in der Sie jeden Mist schreiben können den Sie wollen.

  • Ungewollt? Dann sind sie keine Profis.