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Der HausbesuchZwei Nonnen, ein Gott

Schwester Tresa John und Schwester Susanne leben im Franziskanerinnenkloster in Hegne. Eine ist der Tradition verpflichtet, eine der Moderne.

Schwester Tresa John und Schwester Susanne im Kräutergarten des Klosters Foto: Patrick Pfeiffer

Auch das Kloster muss sich neu erfinden und sich in Beziehung setzen zur Welt da draußen.

Draußen: Sie sind eine große Familie. 185 Schwestern und alle wohnen in einem Schloss aus dem 16. Jahrhundert. Vor knapp 130 Jahren haben die Franziskanerinnen das Schloss in Hegne, einem kleinen Dorf am Bodensee, in ihr Kloster umgewandelt. Mit der Zeit entstehen weitere Gebäude – eine Realschule, ein sozialwissenschaftliches Gymnasium, ein Hotel und ein Altenpflegeheim – mit Gärten und Feldern und Blick zum See.

Drinnen: Im Hauptgebäude, in dem die Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz wohnen, herrschen Sauberkeit und Glanz. Die Wände sind weiß gestrichen. Überall hängen Kreuze und Gottesbilder, außer im Büro von Schwester Susanne. Auch in ihr Privatzimmer gestattet sie einen Blick: ein bescheidenes Zimmer mit einem Tisch, Schränken und Bett. Das Kreuz an der Wand ist anders als bei allen anderen. Es ist aus Treibholz hergestellt. „Ein Kunstwerk“, sagt sie.

Eine Ministerin: Schwester Susanne ist Mitglied der Provinzleitung von Hegne. „Ich bin quasi eine der sechs Ministerinnen im Regierungskabinett“, erklärt sie ihre Position in der Sprache der Politik. Als sie ihr Amt antrat war sie 26, heute ist sie 48 Jahre alt.

Angenommen: Warum ging sie ins Kloster? „Weil ich mich hier beheimatet gefühlt habe“, sagt sie. Im ersten Beruf ist Schwester Susanne Kinderkrankenschwester. Als sie in der Kinderklinik in Friedrichshafen arbeitete, fiel ihr ein Heft mit dem Programm des Jugendbildungswerkes des Klosters in die Hände. Schon beim ersten Besuch dort habe sie verstanden: „Hier ist ein guter Platz.“ Wofür? „Für mich. Ich fühlte mich ein Stück weit zu Hause, angenommen als Mensch, wie ich bin.“

Ein verlorenes Kind: Ihre 74-jährige Mitschwester Tresa John, mit der sie zum Kaffee in das Gästezimmer gekommen ist, habe dagegen schon früh den Wunsch gespürt, ins Kloster zu gehen. Mit 18 kam sie in die Klosterfamilie ins deutsche Hegne. Zurück ließ sie ihre Eltern und sechs Geschwister in ihrer Heimat Indien. Viele Klöster in Europa hätten jüngere Frauen für ihre Klöster gesucht, erzählt sie. Für ihre Familie sei sie am Anfang ein verlorenes Kind gewesen. „Ins Kloster gehen, bedeutete damals ein Abschied für immer.“ Erst sieben Jahre später kam ihre Familie zu Besuch. Sie reist fast jedes drittes Jahr nach Indien.

Kloster Hegne Foto: Patrick Pfeiffer

Die Frauen: Aber woher kommt die Idee, als Mädchen ins Kloster zu gehen? In den letzten drei Schulklassen besuchte Schwester Tresa John eine Klosterschule. Dort bewunderte sie ihre Lehrerinnen in ihrer Tracht und wollte es ihnen gleich tun. Das Klischee geht ja so: Oft sind es Frauen, die keine Karriere machen konnten oder keinen Mann gefunden haben oder psychisch instabil sind, die ins Kloster gehen. Ist das so? Schwester Susanne sagt: „Es ist tatsächlich so, dass sich oft junge Frauen mit psychischen Problemen vom Klosterleben angezogen fühlen, weil das Kloster ein Ort für sie ist, wo sie geborgen und aufgehoben sind und Liebe haben.“ Aber heute stimme das nicht mehr so sehr. Es kämen ja ohnehin immer weniger junge Frauen nach.

Gott will uns ganz: „Gott will nicht viel oder wenig oder einen Teil von uns. Gott will uns ganz, alles von uns“, dieser Satz, den Spirituelle Schwester Susanne damals gesagt haben, hat sie betroffen gemacht und begleitet sie immer noch. Macht dieser Gedanke nicht irgendwie gefangen? Ist das nicht genau der Satz, der Angst macht und Menschen von der Religion fernhält? Die beiden Schwestern am Tisch bleiben eine Weile still.

Gottesfurcht: „Gottesfurcht hat mit dem Gottesbild zu tun“, sagt Schwester Susanne. „Ist das der Gott, der mich in Besitz nehmen will oder ist es der Gott, der Freiheit lässt?“ Ihr Gottesbild habe sich über die Jahre gewandelt. „Gott hält mich nicht fest, sondern begleitet mich auf meinen Wegen.“ Und sie ergänzt: „Ich muss nicht anders sein, als ich bin. Und zu diesem Gott will ich gehören.“

Der andere Gott: Ist es derselbe Gott, an den Schwester Tresa John glaubt? „Ihr Gott ist auch mein Gott“, sagt sie. „Wir sind alle Gotteskinder. Doch wie wir selbst zu unserem Vater stehen, macht den Unterschied.“

Wein auf dem Tisch: Schwester Tresa John hat 30 Jahre als Erzieherin in unterschiedlichen Kindergärten gearbeitet. Heute ist sie für den Speisesaal zuständig. Sie kümmert sich darum, dass ihre Mitschwestern gut versorgt sind. Ab und zu gibt es auch Alkohol. „Ich stelle zwei Liter Wein für 40 Schwestern bereit“, sagt sie. „Also nicht so viel.“

Im Kloster Hegne in Kostanz Foto: Patrick Pfeiffer

Alltag und Gebet: Der Alltag ist geregelt. Um sechs Uhr klingeln ihre Wecker, damit sie zum ersten gemeinsamen Gottesdienst um sieben Uhr gehen können. Und wenn nicht? Sie lachen. Sie schlafen beide aus, wenn sie am Tag zuvor viel gearbeitet haben. „Aber nicht mal jeden Monat passiert so was“, meint Schwester Susanne. Drei Mal am Tag beten die Schwestern gemeinsam und dazwischen beschäftigt sich Schwester Susanne mit der Bürokratie. Wie kriegt sie einen freien Kopf und lässt ihr Papier auf dem Schreibtisch in Ruhe, um mit Gott zu reden? „Wenn mein Gebet nicht in meiner Arbeit vorkommt und meine Arbeit nicht in meinem Gebet, dann stimmt mein Leben nicht“, sagt sie. „Mein Gebet ist mehr Haltung als Tun.“

Raus aus dem Kloster: Das Leben besteht aber nicht nur aus Beten. Das Kloster hat Geld. „Es gibt Klöster, die arm sind, Hegne aber nicht“, sagt Schwester Tresa John. Vor 55 Jahren seien es über 1.000 Schwestern gewesen, die ihr Vermögen dem Kloster übergaben „Und wir haben alle gearbeitet“, sagt sie. Sie bekommt auch Taschengeld, wenn sie Eis essen oder ins Kino gehen möchte. Doch immer in Nonnentracht.

Kurze Hose: „Ich möchte als Schwester in Ordenstracht leben, nicht in Zivil“, sagt Schwester Tresa John. Mitschwester Susanne sieht es anders. Sie legt immer wieder ihr Habit ab, um in kurzen Hosen im Klostergarten zu arbeiten. Auch bei ihren Fahrradtouren ist sie mit kurzen Hosen und im T-Shirt unterwegs – und die Haare sind offen.

Überraschung: „Es gibt immer einen Überraschungsmoment, wenn Menschen erfahren, dass sie eine Nonne ist“, sagt Schwester Tresa John. Schwester Susanne überrascht auch ihre Mitschwestern im Kloster. „Am Anfang hat mich das gestört“, sagt Schwester Tresa John. Inzwischen habe sie sich daran gewöhnt – „Obwohl ich es immer noch nicht in Ordnung finde.“

taz am wochenende

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Sie würde sich wünschen, dass Schwester Susanne wenigstens lange Hosen anzieht.

Authentisch leben: Warum provoziert Schwester Susanne ihre Mitschwester? Oder hat sie andere Lebensgefühle, wenn sie in zivil ist? „Es ist einfach praktisch“, erklärt sie. „Und ich fühle mich immer als die gleiche Person vor Gott, egal was ich anhabe.“ Sie verstoße auch nicht gegen die Klosterregeln. „Wir haben als Ordensgemeinschaft entschieden, in Ausnahmen in zivil gehen zu können“, sagt Schwester Susanne. „Wann die Ausnahmen sind, haben wir nicht festgelegt. Deswegen sage ich, wenn Kritik an mir kommt, wir hätten aber doch so entschieden. Ich darf das.“

Friktionen: Zusammenleben kann schön sein, aber auch nerven. „Das gibt es wirklich, dass ich sage, Mensch, sie geht mir auf die Nerven“, sagt Schwester Tresa John. Was macht man dann? „Wir sind keine Heiligen und ich kann nicht jeden Tag mit jeder gut auskommen. Es gibt Schwestern, denen ich einfach aus dem Weg gehe“, sagt Schwester Susanne. „Versöhnt leben klappt nicht immer.“ Doch da sie sich freiwillig entschieden haben, in dieser Gemeinschaft zu leben, bleibe nur „zu lernen, versöhnt zu leben“. Da sind sich beide einig.

Politik und Kloster: „Hegne hat immer schwarz gewählt“, hört man im Kloster. „Ich fühle mich nicht verpflichtet, CDU zu wählen“, sagt Schwester Susanne. Ihre Mitschwester Tresa John will „neutral bleiben.“ Sie hat kein Wahlrecht, weil sie Inderin bleiben wollte und deshalb keinen deutschen Pass hat. Doch mit Olaf Scholz sei sie zufrieden, „weil er gesiegt hat“. Auch für Schwester Susanne ist Scholz der beste Kandidat, die anderen seien keine Kanzlerpersönlichkeiten gewesen.

Klima und Kloster: „Doch als Franziskanerinnen sind wir der Partei der Grünen gegenüber nicht abgeneigt“, sagt Schwester Susanne. Stichpunkt: Klimawandel. Sie betreiben ihre Landwirtschaft nachhaltig und seien mit Solarenergie versorgt.

Modernisierung: Auch das Kloster braucht Modernisierung und Verjüngung, sie werden immer weniger. „Wir können aber Leute nicht hierher locken“, sagt Schwester Tresa John. Schwester Susanne findet: „Wenn wir eine Vision haben, dann könnten wir es machen.“ Sie wirkt besorgt. „Zuerst ist da die Vision, dann kommen die Menschen dazu, dann das Management“, erklärt sie und fügt hinzu: „Genauso stirbt eine Institution wieder, wenn die Vision stirbt.“ Jede hier im Kloster stehe an ihrem Ort und mache ihre Arbeit gut, aber es gäbe zu wenig Berührungspunkte. Vor allem die jüngeren Schwestern hätten es schwer miteinander. Deshalb wünscht sich Schwester Susanne: „Wir müssen näher zusammenkommen.“

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