„Eurotrash“ im Theater: Auch parodierter Schmerz tut weh
Wer ist cooler, Mutter oder Sohn? Jan Bosse hat Christian Krachts Roman „Eurotrash“ inszeniert. Mit dabei: Angela Winkler und Joachim Meyerhoff.
Was bitte ist echt auf dieser Bühne? Jedenfalls nicht die imposante Rückwand aus Sichtbeton, dem schweizerischsten aller Baumaterialien, denn an den Rändern wirft der Fotoprint Falten. Vermutlich auch nicht die Tabletten und Wodkaflaschen, die Joachim Meyerhoff ganz zu Anfang schwungvoll auf das flache Podest in der Bühnenmitte knallt.
Und sicher nicht der „private“ Joachim Meyerhoff, der sich kurz darauf in Christian, den Ich-Erzähler von „Eurotrash“, verwandelt, indem er sich den Fake-Bart abreißt, Jeans und Parka auf offener Bühne gegen einen hellblauen Anzug, Wildlederschuhe und eine blondgewellte Perücke tauscht.
Was ist echt, was ausgedacht – diese Frage begleitet auch die Lektüre von Christian Krachts jüngstem Roman, der sich als autobiografisch ausgibt und es in Teilen vermutlich auch ist. Denn einige Randdaten stimmen ja, etwa dass der in der Schweiz aufgewachsene Autor Mitte der 90er Jahre den Roman „Faserland“ veröffentlichte oder dass sein Vater als Verlagsmanager bei Axel Springer steinreich wurde oder dass er ein Internat in Kanada besuchte.
Eben dort, so Kracht in seiner Frankfurter Poetikvorlesung 2018, sei er als Schüler missbraucht worden: ein traumatisches Ereignis, von dem aus der Schriftsteller an dieser Stelle sein Werk erklärte und doch den Wahrheitsgehalt des Autobiografischen in Zweifel zog, denn die Wahrheit sei sinngemäß nur in der parodistischen Zuspitzung auszuhalten.
Kein Rich-Kid-Lamento
Für die Berliner Schaubühne, an der zuletzt die autofiktionalen Werke des Soziologen Didier Eribon und seines Schülers, des Schriftstellers Édouard Louis, zu Theater wurden, ist die Dramatisierung von „Eurotrash“ in der Regie von Jan Bosse ein interessantes Gegenstück.
Während die Franzosen die erfahrene Homophobie der Provinz mit den Demütigungen des Klassismus erklären, berichtet Kracht aus einer grotesk reichen Welt, in der Ich-Erzähler Christian seine psychisch kranke und wohlstandsverwahrloste Mutter in Zürich besucht – was Erinnerungen an den masochistischen Nazi-Opa und den inzwischen geschiedenen Karrierevater mit den „eisblauen“ Augen auslöst, der sich mit Anwesen von Cap Ferrat bis zum Genfer See eindeckte.
Mutter und Sohn mieten ein Taxi und fahren mit einer Plastiktüte voller Geldscheine gefühlt nach Afrika, tatsächlich aber nur durch die Schweiz. Kein Rich-Kid-Lamento, keine Psycho-Innenschau, die man dem „Eurotrash“ eh nicht abnehmen würde – sondern eine flirrende, absurde Geschichte voller Dialogwitz, die die Abgründe dahinter fast beiläufig aufblitzen lässt.
Diesen Ton greift Joachim Meyerhoff betont munter auf, wenn er sich anfangs nicht nur in seiner Rolle, sondern auch in Krachts Text einrichtet. Wie ein Gourmet schmeckt er einzelne Formulierungen – „Talfahrt einer Familie, kann man das so sagen? – Ja, kann man“ – oder Sätze als Schönsprechübungen nutzt, „‚Als ich in der Tür des Hotels stand und in der Tasche den Hotelschlüssel suchte‘, te te te, ttt – Titel Thesen Temperamente“, als schauspielerische Entsprechung zu Krachts Schreibsound.
Auftritt der Mutter: Angela Winkler im knallgelben Kleid mit schwarzen Tressen und weißem Kragen, Veilchen und aufgeschlagenes Kinn im fahlen Gesicht. Ernst setzt sie sich auf einen Stuhl und lässt von Anfang an keinen Zweifel an dem, was der Sohn erst später checkt: Sie ist cooler als er, auch wenn sie süchtig nach Alkohol, Pillen und seinen Geschichten ist.
Boot statt Taxi
Angela Winkler, Joachim Meyerhoff und Krachts Roman, dazu Regisseur Jan Bosse, der 2018 mit Meyerhoff und Thomas Melles gleichfalls autofiktionalem „Die Welt im Rücken“ am Burgtheater einen Punktsieg landete – was soll da schon schiefgehen? Es kommt ein Schiff! Aus dem Bühnenboden fährt es hinauf.
Boot statt Taxi: Eine nicht ganz, aber doch leicht aus der Luft gegriffene Idee, aus der Fabulierlust von Bühnenbildner Stéphane Laimé geboren. Und es hält die beiden beschäftigt, Meyerhoff hat sogar alle Hände voll zu tun, muss Masten und Segel aufkurbeln, den Kahn drehen und schmücken, die Mutter platzieren. Im Bootsinneren erfährt er, dass die Mutter als 11-Jährige vergewaltigt wurde, genau wie er, was sie wusste und doch nicht verhindern konnte, überwältigt von der Erinnerung an den eigenen Schmerz.
Doch diese Geschäftigkeit hat ihre Tücken. Sie findet keinen Flow, und da, wo er doch mal entsteht, unterbricht sie ihn wieder. Winkler und Meyerhoff gelingen tolle Dialog- und Slapstickszenen, etwa beim Wechseln ihres Stoma-Beutels, der an unerwarteten Stellen von Christians kackbraunem „Ökopulli“, in den bei näherer Betrachtung Hakenkreuze eingestrickt sind, hängen bleibt.
Wie auf der Titanic
Oder beim Forellenessen, wo Angela Winkler eins-a-getimt erst die Grissini auf den Boden pfeffert, dann fast an einer Kirsche erstickt und schließlich dem Sohn eine Gabel in den Handrücken rammt: „Siehst du? Du bist real!“ Oder auf dem Gletscher am Col du Pillon, wo Mutter Kracht auf dem Schiffsbug steht wie Kate Winslet auf der „Titanic“, über die Leere in ihrer Seele spricht – um plötzlich über ihren Sohn herzuziehen, der immer nur John le Carré las statt Flaubert, und überhaupt, warum schreibt er nicht wie Marcel Beyer, Daniel Kehlmann oder „Hulebeck“?
Zwischendurch jedoch zieht sich die Reise, vertändelt sich in Betriebsamkeit, als gälte es immer noch zu beweisen, dass auch das Theater Fake und Budenzauber kann. Bis das Boot wieder im Boden versinkt und das Taxi auf dem Parkplatz der Psychiatrie Winterthur hält. „Man müsste ein Buch über sie beide schreiben“, habe der Fahrer zum Abschied gesagt.
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