Boom des Secondhand-Handels: Die Mode von morgen ist von gestern
Textilriesen steigen groß in den Secondhand-Markt ein. Für gemeinnützige Altkleidersammler:innen könnte das zu einem enormen Problem werden.
Auch die anderen Großen der Branche sind aktiv: H&M und Zalando nehmen getragene Kleidung zurück und geben Kund:innen einen Gutschein. Die Moderiesen nehmen Altkleidung nicht nur an, sie verkaufen sie auch auf eigenen Plattformen: Im Mai hat H&M 70 Prozent der Aktienanteile des Secondhand-Onlineshops Sellpy für gut 20 Millionen Euro erworben. Zalando bietet unter dem Namen „Pre-Owned“ gebrauchte Stücke in seinem Onlineshop an.
Altkleiderhändler:innen sehen das mit Skepsis. Ein Motiv der Unternehmen sei, sich ein nachhaltiges Image zu verschaffen, sagt Thomas Ahlmann von FairWertung, dem Zusammenschluss für gemeinnützige Altkleidersammler:innen. Auch spielten finanzielle Interessen eine große Rolle, so Ahlmann. „Secondhand wird in den kommenden Jahren ein Riesengeschäft sein. Deswegen steigen alle massiv ein.“
Laut einer Studie der amerikanischen Boston Consulting Group aus dem Jahr 2020 hat der globale Altkleidermarkt ein Volumen von 30 bis 40 Milliarden US-Dollar. Die Unternehmensberater vermuten, dass dieser Markt in den nächsten Jahren um 15 bis 20 Prozent wachsen wird. Damit ist Secondhand einer der am schnellsten wachsenden Geschäftszweige in der Modeindustrie.
Der Hauptgrund zum Kauf gebrauchter Kleidung: Nachhaltigkeit
Eine Gefahr für das eigene Geschäft mit Neuware sehen die Modefirmen nicht. Das Interesse an Secondhandmode in Europa sei hoch und steige kontinuierlich, sagt ein Sprecher von Zalando. Durch die Implementierung von Secondhand im Zalando Onlinestore seien über 180.000 Artikel hinzugekommen. Auch H&M möchte das Geschäft ausbauen: „Wir werden die Entwicklung von Kreislaufgeschäftsmodellen fortsetzen, bei denen Produkte mehr genutzt und der Ressourcenverbrauch reduziert wird, während gleichzeitig neue Einnahmequellen geschaffen werden“, sagt ein Sprecher.
Genaue Zahlen zur Größe des Secondhandmarktes in Deutschland gibt es bisher noch nicht. Die Gebrauchtwaren-Plattform Momox hat in einer repräsentativen Umfrage ermittelt, dass mehr als die Hälfte der Deutschen schon einmal Secondhand gekauft hat. Fast zwei Drittel der Kund:innen erwerben gebrauchte Kleidung vor allem im Internet.
„Der Onlinehandel löst einige strukturelle Probleme des Secondhand-Marktes: Es handelt sich bei gebrauchter Kleidung immer um Einzelstücke. Online-Angebote bieten eine viel größere Auswahl, als es Läden können“, so Ahlmann von FairWertung. Der Hauptgrund zum Kauf von gebrauchter Kleidung: die Umwelt. Momox zufolge geben 86 Prozent der Befragten an, Secondhandware aus Nachhaltigkeitsaspekten zu kaufen.
Ein Drittel der gespendeten Ware wird downgecyclet
Den Trend zu Secondhandware begrüßt Ahlmann vom Verband FairWertung grundsätzlich. Vor allem Plattformen, auf denen die Menschen ihre Kleidung privat untereinander weitergeben können, ließen Textilien länger im Nutzungskreislauf und seien damit zu begrüßen. Wiederverwendung und Recycling allein reichen aber nicht, betont Ahlmann. Eine ökologische Kehrtwende könne nur stattfinden, wenn weniger produziert werde. Eine Hochrechnung aus dem Jahr 2019 geht von 230 Millionen Kleidungsstücken pro Jahr in Deutschland aus, die nicht verkauft werden.
Probleme bereitet der Secondhand-Boom gemeinnützigen Organisationen. Sie leben von direkten Kleiderspenden oder kaufen gebrauchte Kleidung von professionellen Sammler:innen. Laut FairWertung sind nur 3 bis 5 Prozent der gebrauchten und gespendeten Kleidung sogenannte Cremeware. Das sind Stücke, die noch gut erhalten sind und einen guten Preis erzielen.
Etwa ein Drittel der gespendeten Ware wird zu Putzlappen verarbeitet. Das ist teuer und hat sich bisher aus den Erlösen der Cremeware finanziert. Die wird aber immer mehr von den kaufkräftigen Plattformen aufgekauft.
Das Geld könnte bald knapp werden
Für die Organisationen von FairWertung bleibt deshalb immer weniger verkaufbare Kleidung übrig. Wenn Kund:innen von Händler:innen oder Plattformen für ihre abgelegten Kleidungsstücke noch ein paar Euro bekommen, spenden sie sie nicht mehr. Das habe einige Organisationen schon an den Rand der Wirtschaftlichkeit gebracht, berichtet Ahlmann.
Aus den Erlösen der alten Kleider werden von Organisationen wie Oxfam oder Caritasverbände auch andere soziale Projekte finanziert, etwa Jugendfreizeiten, Sanitätsdienste und Entwicklungshilfeprojekte. Setze der Trend sich wie bisher fort, könnte das Geld dafür bald knapp werden.
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