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Ausstellungsempfehlungen für BerlinAbenteuerliches Sehen

Unkontrollierbare Landschaften, politische Text-Bild-Praxis und freihändige Zeichnungen mit Knut Wolfgang Maron, Cemile Sahin und Fritz Hortig.

Cemile Sahin, „It Would Have Taught Me Wisdom“, Exhibition view, Esther Schipper, Berlin, 2021 Foto: © Andrea Rossetti; Courtesy the artist and Esther Schipper, Berlin

E s ist wie in den Anfangszeiten der Fotografie als sie in ihre ungeheure Karriere als visuelles Bildmedium startete: Man schaut sich die Bilder in den Vitrinen mit dem Vergrößerungsglas an. Schon wie sich die Be­su­che­r*in­nen in der Alfred Ehrhardt Stiftung über die Vitrinen beugen deutet auf eine exquisite Angelegenheit hin. Die ausgestellten Bilder sind Polaroids, und obwohl das Unternehmen die Digitalisierung der Fotografie nicht überstanden hat, gibt es sogar einige aus diesem Jahr.

Die frühesten stammen natürlich aus den 1970er Jahren. Damals beging ein Fotograf, der wie Knut Wolfgang Maron an der Folkwangschule in Essen studiert hatte, immerhin bei Otto Steinert und Erich von Endt, ein Sakrileg, wenn er mit der Polaroidkamera arbeitete. Natürlich in Farbe. Wobei die Farbe nicht wirklich zu kontrollieren war.

Aber genau das reizte Knut Wolfgang Maron, wie es ihn überhaupt reizte gegen den Strom zu schwimmen. Man beschäftigte sich damals mit Street Photography und Stadtlandschaften, Landschaftsfotografie dagegen galt, wie Maron selbst sagt, „als schräge Avantgarde“. Früh beschäftigten ihn auch ökologische Fragen: „Mir lag daran, die Dialektik einer schönen Neuen Welt und der veränderten Umweltbedingungen, besonders nach Tschernobyl … in einem zeitgemäßen Medium auszudrücken.“

Das Resultat sind Aufnahmen von Gräsern, Bäumen und Sträuchern, Ausschnitte aus Wüstenlandschaften oder überflutetes Land, Dämme am Meer, aber auch Freizeitmenschen in der Natur oder das imaginäre Grab des Marquis de Sade. Auffallend ist die ungewöhnliche Farbigkeit der Aufnahmen, irritiert fragt man sich, sehe ich hier jetzt eine fahle Landschaft oder sehe ich nur ein fahles Bild? Abenteuerliches Sehen.

Traumata der Geschichte

Die Installation ist schlicht und scheint auf den ersten Blick ohne weiteres zu entschlüsseln. Ihr Thema: Krieg und Frieden. Für den Krieg spricht die behelmte und mit einem Speer bewaffnete weibliche Figur in tarnfarbenem Camouflage-Gewand. Für den Frieden sprechen die Männer, die von weiteren umringt, feierlich ihre Unterschrift leisten. Nun ist aber ein so dokumentierter Frieden häufig neuerlicher Anlass für Krieg. Genau die Sorte Friedensvertrag war der Vertrag von Sèvres 1920, den Cemile Sahin in ihrem Environment bearbeitet.

Über die Fototapete der Männerrunde an der Wand, hat die kurdischstämmige, 1990 in Wiesbaden geborene Künstlerin in aggressivem Orange die Worte „That I did not receive in time the French Minerva it would have taught me wisdom“ gedruckt. Mit ihrer Typo-Referenz auf Barbara Kruger macht Sahin die politische Intention ihrer Text-Bild-Praxis deutlich.

Der zitierte Satz stammt von Wilhem II., der deutsche Kaiser war einer der Verlierer des Ersten Weltkriegs genau wie das alliierte Osmanische Reich, das mit dem Vertrag von Sèvres unterging. Dass Minerva, die Schutzherrin der Künste und der strategischen Kriegsführung, mit am Tisch saß nutzte nichts, war die Göttin der Weisheit doch nur eine Porzellanfigur und funktionierte als Schreibgarnitur. Sahin hat sie fünfmal in Farbe auf eine Plexiglasscheibe gedruckt, vor die Tapete gestellt und in französische, britische, deutsche, italienische und türkischen Camouflage gekleidet. Alle diese Länder haben seit Sèvres Einfluss auf die Neugestaltung des Nahen Ostens ausgeübt.

Die bis heute nachwirkenden Folgen arbeitet Sahin derzeit in einer Reihe von Filmen heraus, die – entsprechend ihrer künstlerischen Praxis, sich ungeniert zwischen Bildender Kunst, Literatur und Film zu bewegen – ihre Installation erweitern werden. Und so ist das vermeintlich schlichte „It Would Have Taught Me Wisdom“ tatsächlich eine vielschichtige künstlerische Auseinandersetzung mit den Traumata der Geschichte.

„Venerdi, Sabato, Polemica“

„Macht Berlin“ heißt vieldeutig die Schau von Fritz Hortig in Berlin. Sieht sich der Wiener Künstler als eine Macht in Berlin? Oder fordert er uns alle auf Berlin und seine Angelegenheiten in unsere Hände zu nehmen: Macht Berlin! Oder sieht er in Berlin tatsächlich eine Macht? Schaut man sich die Papierarbeiten und Collagen des Autodidakten bei Henning Gronkowski an, deutet alles auf die ersten Möglichkeiten.

Es ist jedenfalls eine Wucht, wie er seine großen, freihändig rund geschnittenen Papierbögen mit Ölkreide in riesige Amulette zu verwandeln scheint. „Venerdi, Sabato, Polemica“ ist unter ein Gesicht mit zwei paar Augen, einem grünen Mund und einer roten Nase geschrieben, die gleich drei Ringe zieren. Die Sentenzen, die Hortig ins Bild holt, verballhornt er. „Honi soit qui malle bob“ steht auf einer Art Schießscheibe vor der eine Figur steht, die ich als Fußballfan identifizieren würde, mit Schal und Roma-T-shirt.

Die Arbeiten, mit ihrem Material aus Konsum, Werbung, Internet und Social Media aber auch Kunst- und Kulturgeschichte, vibrieren vor Energie, eingespannt in große quadratische Holzrahmen, festgehalten von dünnen Nylonschnüren, die Hortig durch die Leinwand fädelt, mit der er seine großen Papierarbeiten am Rand verstärkt.

Und irgendwie passt es, dass man, um „Macht Berlin“ zu sehen in das Haus Einlass findet, das man schon immer mal erkunden wollte. Henning Gronkowski, Schauspieler, Regisseur des Techno-Beat, Drogen und Exzess-Films „Yung“, öffnet tatsächlich das herrliche schmiedeeiserne Tor der Fasanenstr. 13, das den Zugang zu dem dahinterliegenden verführerischen Garten verwehrt. Mit Fritz Hortig debütiert er jetzt als Galerist, seine Räume hat er im höchst romantisch neben der S-Bahn aufragenden Künstlerhaus St. Lukas, von Bernhard Sehring 1889/90 als Wohn- und Atelierhaus erbaut.

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