: Von gewollter Notlage und heiklem Sondervermögen
Wie die Regierungen in Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ihre Coronakosten finanzieren – und was man dabei von Hessen lernen kann, wo gerade der Staatsgerichtshof urteilte
Von Jan Zier
In Bremen haben sie gleich beschlossen, dass die Coronakrise auf jeden Fall bis zur nächsten Landtagswahl anhalten wird. Also bis 2024. Das war vorausschauend. Und das ist – so paradox es zunächst klingen mag – auch die Voraussetzung dafür, dass der rot-grün-rote Senat überhaupt einen Haushalt aufstellen konnte. Denn andernfalls müsste sich die Landesregierung an das Neuverschuldungsverbot halten, das Grundgesetz und Landesverfassung prinzipiell verordnen.
Es gibt aber eine Ausnahme: die „außergewöhnliche Notsituation“. Die Schuldenbremse pausiert also wegen der Pandemie, und im Falle Bremens auch noch 2023, denn bis dahin gilt der neue Doppelhaushalt des Landes. Zu dem gehört auch der „Bremen-Fonds“, ein Extra-Budget von 1,2 Milliarden Euro, über den Senat und Finanzausschuss des Parlaments verfügen können. Bisher wurden damit nur klar coronabasierte Kosten bezahlt, in den nächsten beiden Jahren sollen von dem Geld aber auch Schulen und Kitas saniert werden. „Das ist vernünftig“, sagte der Bremer Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel der taz.
Ab 2024 wird dann aber wohl die Schuldenbremse wieder gelten und alte Kredite müssen wieder getilgt werden. Die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben beziffert der grüne Bremer Finanzsenator allein für 2024 auf 171 Millionen Euro, und im Jahr darauf mit 142 Millionen.
Covid-19-Sondervermögen
Müssen dann die neuen Schulden einfach alle wieder zurückbezahlt werden, so bald wie möglich? „Das ist eine Möglichkeit, die ich scharf kritisiere“, sagt Hickel. „Da tickt eine sozial-ökologische Bombe.“ Wenn man davon ausgeht, dass bis zum Ende der Coronakrise bundesweit 400 Milliarden Schulden auflaufen werden, dann müssten bei 20 Jahren Tilgung jedes Jahr 20 Milliarden abgebaut werden – durch deutliche Steuererhöhungen oder drastische Kürzungen von Staatsausgaben. „Die Folge wäre eine auch gesamtwirtschaftliche Katastrophe“, sagt Hickel. Noch-Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hofft deshalb, dass starkes Wirtschaftswachstum das Problem lösen wird. „Das halte ich ökonomisch für naiv und ökologisch gefährlich“, sagt Hickel. Er fordert einen gemeinsamen Corona-Solidarfonds für Bund, Länder und Gemeinden.
Niedersachsen geht bei der Finanzierung der Coronakrise einen anderen Weg als Bremen: Schon mit dem Doppelhaushalt 2022/2023 will die schwarz-rote Landesregierung „den Weg zurück zu ausgeglichenen Finanzen ebnen“, wie es heißt. Ab 2024 will das Land also ohne neue Schulden auskommen. Doch laut der letzten Steuerschätzung nimmt das Land in den kommenden drei Jahren rund 4,9 Milliarden Euro weniger ein als vor der Coronakrise veranschlagt. Deshalb gibt es in Niedersachsen ein Covid-19-Sondervermögen – einen schuldenfinanzierten Schattenhaushalt. Solche Sondervermögen ermöglichen, zweckgebundene Kredite jenseits des Haushalts aufzunehmen. Das Parlament ist daran dann aber nicht mehr beteiligt.
Das ist rechtlich heikel: In Hessen hat der Staatsgerichtshof das Corona-Sondervermögen des Landes gerade als „verfassungswidrig“ eingestuft: Es verstoße gegen das Budgetrecht des Landtages, urteilten die Richter*innen. Eine Krise dürfe kein Freibrief für jedwede Verschuldung sein. In Hessen wurde das Sondervermögen auf zwölf Milliarden Euro bis zum Jahr 2023 festgelegt – nun muss eine Neuregelung her. Die Opposition in Hessen, die die Klage angestrengt hatte, plädiert für Nachtragshaushalte zur Finanzierung der Coronakosten.
Corona-Notkredit
In Schleswig-Holstein plant die Jamaika-Koalition mit Geld aus einem milliardenschweren Corona-Notkredit, neuen Schulden und Rücklagen aus einem Investitionsprogramm. Um das Haushaltsdefizit von etwa 965 Millionen Euro zu finanzieren, werden rund 67 Millionen Euro an Schulden aufgenommen, aus dem vom Landtag bewilligten Corona-Notkredit sollen 694 Millionen in Anspruch genommen werden. CDU und FDP in Schleswig-Holstein kämpfen für die Beibehaltung der Schuldenbremse, die Grünen würden sie gern aufweichen.
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