piwik no script img

Statistik zu SchwangerschaftsabbrüchenMehr späte Abtreibungen

Eine neue Statistik zeigt, dass zuletzt weniger Frauen eine Schwangerschaft abbrachen. Nur bei den Abbrüchen nach der 12. Woche stieg die Zahl.

Unstrittenes Thema: Demonstration gegen rechte Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen in München 2020 Foto: Sachelle Babbar/imago

Bremen taz | Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist auch im zweiten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken. Das hatte Ende September das Statistische Bundesamt mitgeteilt – ohne eine Erklärung liefern zu können. Die Daten ließen „keine eindeutige Ursache für diesen Rückgang erkennen“. Selbst im Pandemiejahr 2020 habe es nur 0,9 Prozent weniger Schwangerschaftsabbrüche gegeben als im Vorjahr. Im ersten Quartal dieses Jahres hingegen waren es 7 Prozent und im zweiten sogar 8,5 Prozent weniger.

Diese Werte liegen deutlich über den üblichen Schwankungen. Ab dem Jahr 2005 war die Gesamtzahl der Abbrüche kontinuierlich zurück gegangen, bis sie 2017 erstmals wieder angestiegen war und seitdem auf höherem Niveau zurück geht. Der Rückgang liegt darin begründet, dass die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter abnimmt. Anteilig ist die Zahl der Abtreibungen gleich geblieben.

Erlärungsversuche wie eine größere Vorsicht oder weniger sexueller Kontakte aufgrund der Pandemiesituation sind schwierig, weil der Rückgang in einigen Bundesländern stärker ausfällt als in anderen und Menschen mit Wohnsitz in Hamburg und im Saarland sogar mehr Abtreibungen hatten.

Eins der Bundesländer mit dem stärksten Rückgang ist neben Brandenburg und Sachsen-Anhalt Bayern: Minus 15 Prozent. Bayern gehört zu den Bundesländern, in denen die Wege zu einer Arztpraxis oder einer Klinik, die Abtreibungen vornimmt, besonders weit sind.

Erklärungen hat bisher niemand

Die bayrische Landesregierung beharrt zwar darauf, dass „das Angebot an Einrichtungen für die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ ausreichend sei, wie die Pressestelle des Gesundheitsministeriums zum wiederholten Mal der taz mitteilte. In derselben Mail heißt es aber auch: „In den letzten Jahren war ein Rückgang bei diesen zugelassenen Einrichtungen zu verzeichnen, was sich auch auf die Gesamtzahl der vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche in Bayern ausgewirkt haben kann.“

Auffällig an der Quartalsstatistik ist, dass die Anzahl von Schwangerschaftsabbrüchen nach den ersten zwölf Wochen um knapp 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt gelten Schwangerschaftsabbrüche als Straftat, die nicht verfolgt wird, wenn sich die Schwangere hat beraten lassen und danach eine dreitägige Bedenkfrist eingehalten hat.

Nach der zwölften Woche muss ein Arzt oder Ärztin bescheinigen, dass ein Austragen der Schwangerschaft nicht zumutbar ist. Diese Indikation wird fast ausschließlich aufgrund einer vermuteten Behinderung des Fötus gestellt, weswegen nach taz-Recherchen mindestens jede dritte bis vierte Frau für einen dieser späten Abbrüche nach Holland reist.

Auch eine der wenigen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen in Deutschland, die sich mit der Statistik im Detail beschäftigen, hat keine Erklärung für die Unregelmäßigkeiten. „Das wäre Kaffeesatzleserei, dazu kann man vielleicht etwas sagen, wenn die Daten für das ganze Jahr vorliegen“, sagt Daphne Hann, die Koordinatorin der vom Bundesgesundheitsministerium mit 4,3 Millionen Euro geförderten Studie zu „Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung“ (Elsa).

Diese einmalige Studie hat laut Ausschreibung auch den Auftrag, eine „deutschlandweite vollständige Erhebung“ von Orten zu liefern, an denen Frauen Schwangerschaften abbrechen können. Das Problem: Das Statistische Bundesamt, das diese Daten liefern könnte, gibt sie nicht heraus, weil sie einer besonderen Geheimhaltung unterliegen. „Dabei wäre eine Ausnahme zu wissenschaftlichen Zwecken möglich“, sagt Hahn. Und dass das Bundesamt einen Weg vorgeschlagen habe, den es dann doch für illegal erklärte. „Wir warten ab, ob sich mit einer neuen Regierung etwas ändert“, so Hahn.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare