Niedersachsen plant Subventionen: Schweinemäster sollen bleiben
Immer mehr Schweinemäster hören auf. Niedersachsens Agrarministerin will sie mit einer „Zukunftsprämie“ zum Weitermachen bewegen.
Osnabrück taz | Ausstieg – wer in Niedersachsen Sauen hält oder Schweine mästet, für den gehört dieses Wort zum Alltag. Eine Umfrage der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) mit Sitz im niedersächsischen Damme ergab Mitte 2021: Rund 60 Prozent der Sauenhalter und rund 40 Prozent der Schweinemäster will in den nächsten zehn Jahren aufgeben, jeder sechste befragte Betrieb schon innerhalb der nächsten zwei. Gerade kleinere Betriebe sehen sich unter Druck. Der deutsche Bestand an Schweinen, so die Prognose des ISN, reduziert sich in den nächsten Jahren um bis zu 30 Prozent. Ein Strukturbruch.
„Es brennt lichterloh in der Schweinehaltung“, sagt ISN-Vorsitzender Heinrich Dierkes. „Dass so viele von uns aufhören, ist besonders auch eine Folge der fehlenden Perspektive und des fehlenden Rückhalts von Seiten der Politik.“ In der vergangenen Legislaturperiode sei viel darüber diskutiert worden, wie die Schweinehaltung umgestaltet werden solle: „Doch die verschiedenen Parteien und Ministerien haben sich, wo es nur ging, gegenseitig Sand ins Getriebe gestreut. Geblieben sind viele Baustellen.“
In Niedersachsen ist im Vergleich zu allen anderen Bundesländern der Schweinebestand am höchsten. Hier tritt dieser Umbruch besonders deutlich zutage. Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) gibt deshalb eine Durchhalteparole aus. Forderungen nach einer Ausstiegsprämie für Schweinehalter, erhoben nicht zuletzt vom Landvolk Niedersachsen, dem Landesbauernverband mit Sitz in Hannover, lehnt sie ab. Sie „dürfte finanziell nicht abzubilden sein“, teilt ihr Ministerium auf taz-Anfrage mit, und beinhalte „vermutlich viele Mitnahmeeffekte“. Eine regionale Ausstiegsprämie erziele zudem „keine nachhaltigen Effekte auf europäische bzw. internationale Märkte, wie wir sie beim Fleisch vorfinden“.
Otte-Kinast propagiert stattdessen eine „Zukunftsprämie“. Es solle kein Geld für Betriebe geben, die mit der Tierhaltung aufhören wollen. Sondern für Betriebe, die weitermachen.
„Es brennt lichterloh in der Schweinehaltung“
Zukunftsträchtig klingt das nicht. Der „Bericht zur Markt- und Versorgungslage Fleisch 2020“ der Bonner Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung rechnet vor: Die Menge des produzierten Schweinefleischs geht zurück, auch die des verzehrten. Generell lag der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch 2020 „so niedrig wie noch nie“. Die Zahl an viehhaltenden Betrieben sinkt, der Gesamtbestand an Tieren auch.
Otte-Kinast aber setzt aufs Weitermachen. „Tierhaltung ist notwendig, solange die Menschen den Wunsch haben, tierische Erzeugnisse zu verzehren“, sagt ihr Ministerium der taz. Dieser Wunsch sei auch in Deutschland „sehr ausgeprägt“. Tierhaltung habe hier „nach wie vor eine Zukunft“.
Wer wie viel „Zukunftsprämie“ bekomme, nach welchen Kriterien? Dazu bleibt die Sprecherin des Ministeriums vage: Die „Unterstützung“ der Schweine haltenden Betriebe „kann und muss von vielen Seiten kommen“, sagt sie. Das zielt vor allem auf Berlin, unter Verweis auf das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, die sogenannte Borchert-Kommission. Niedersachsen habe „sich bereits mehrfach gegenüber dem Bund für eine zügige Umsetzung dieser Empfehlungen ausgesprochen“.
Jan Peifer, erster Vorsitzender des Deutschen Tierschutzbüros in Berlin, kritisiert Otte-Kinasts Unterstützungsmodell massiv. „Das hat mit Zukunft nichts zu tun“ sagt er. „Das ist ein verzweifelter Versuch, ein altes System am Leben zu erhalten, eine alte Struktur.“ Peifer versteht nicht, warum Otte-Kinast, für ihn sonst eine „Ministerin der Landwirte“, an etwas festhält, an dem selbst viele Landwirte nicht mehr festhalten wollen. „Zukunft für die Landwirtschaft! Klingt natürlich super. Aber da werden wieder mal nur schön klingende Formulierungen produziert.“ Ernsthafte Maßnahmen seien nicht zu erwarten. „Und wenn Otte-Kinast dann irgendwann sieht, dass es nicht funktioniert, wie schon so oft, wird eben wieder was Neues gefunden, das gut als Schlagzeile taugt.“
Wahre Zukunft sieht für Peifer anders aus: „Wir müssen unsere Tierbestände drastisch reduzieren. Ideal wäre ohnehin eine rein pflanzliche Ernährung.“ Das wäre gut für die Klimabilanz. Das wäre gut für den Tierschutz. „Aber das Tierwohl steht bei Otte-Kinast ja nicht besonders weit oben auf der Agenda.“
Leser*innenkommentare
Berlin
Wenn es immer nur danach ginge, was "keine nachhaltigen Effekte auf europäische bzw. internationale Märkte" hat, dann würde sich nie etwas verändern. Jemand muss den Anfang machen.
Es ist ja nicht so, dass übermäßiger Genuss von Fleisch gesund wäre, aus Massentierhaltung erst recht nicht.
Von daher sehe ich hier ganz klar die Politik dafür in der Verantwortung, die Massentierhaltung einzuschränken und nicht zu fördern.
Angebot und Nachfrage würden dann womöglich den Preis regeln. Und viele würden feststellen, dass das Wasser beim Anbraten nicht mehr aus der Pfanne spritzt und weniger Salz zur Zubereitung nötig ist. Dass ist jedenfalls meine Erfahrung.
Hinzu kommt, dass ich nun nicht mehr 5x, sondern nur noch 2-3x in der Woche Fleisch esse, womit der erhöhte Preis von Biofleisch locker aufgefangen wird.
83985 (Profil gelöscht)
Gast
Dass immer mehr Mäster aufgeben ist an sich kein Problem. Die Versorgung mit Gelbwurst ist nicht gefährdet! Problem ist eher, dass möglicherweise die falschen aufgeben, nämlich die kleinen, die dem Konkurrenzdruck der "Schweinebarone" nicht gewachsen sind. Wer z.B. als bäuerlicher Mischbetrieb leidlich artgerecht hält, aber den Aufwand einer Bio-Zertifizierung nicht leisten kann, hat verloren. Das ist schlecht für die Tiere, den Bauern und die Verbraucher. Wenn hier nun partout subventioniert werden soll, dann doch bitte "lenkend" in Richtung Bio/Tierwohl. Nebenbei werden ein paar Schweine weniger den Böden und dem Grundwasser Niedersachsens gut tun.
Holger Steinebach
Es sollte eine Prämie fürs Zusperren der Großbetriebe geben. Wir esse alle zuviel Fleisch, das aus Qualhaltung stammt.
Lübeckerin
"Wahre Zukunft sieht für Peifer anders aus: „Wir müssen unsere Tierbestände drastisch reduzieren. Ideal wäre ohnehin eine rein pflanzliche Ernährung.“ "
Hier wird vergessen, dass es alleine platztechnisch gar nicht möglich ist, die gesamte Menschheit vegan zu ernähren. Soviel Anbaufläche für pflanzliche Produkte gibt es nicht. Dies sollte bei der ganzen Diskussion auch mit bedacht werden.
Never Again
@Lübeckerin häh, Sau nicht! Es ist doch längst klar, dass beim Übergang von pflanzlichen zu tierischen Nährstoffen Calorien auf der Strecke bleiben, weil die Nahrungsaufnahme von Tieren natürlich nicht 100 % effektiv ist. Pflanzliche Nahrung ist deswegen immer ertragreicher als fleischliche, sofern die Böden den Anbau erlauben. Und wir leben hier nicht in der Steppe.
Außerdem ist das das schwächste Argument in einem Land, dass immer noch Millionen Tonnen Essen jedes Jahr wegwirft.
skyline2
@Lübeckerin Sorry, das ist genau andersherum. Fleischproduktion verbraucht wesentlich mehr landwirtschaftliche Fläche als alle anderen Formen der Lebensmittelerzeugung, Milchwirtschaft und Eier eingeschlossen.
Zum Nachlesen: www.wwf.de/fileadm...ischkonsum_web.pdf
Oder “Fleisch frisst Land” – und das zum nicht unwesentlichen Teil im Ausland für die Futtermittelproduktion. Im Falle Deutschlands vor allem in Südamerika.
83985 (Profil gelöscht)
Gast
@Lübeckerin Das halte ich für eine unwahre Aussage, um es vorsichtig auszudrücken. Wenn die Fläche, die aktuell für Tierfutter verwendet wird, zur Produktion von Nahrungspflanzen für den Menschen verwendet würde, hätte wir genug für alle und nebenher ein riesiges Umwelt- und Klimaproblem (Trinkwasserverbrauch, Methanausstoß, Nitratbelastung) weniger.
Holger Steinebach
@Lübeckerin Unfug.
Würde man das Soja, das für Tiermast verwendet wird, direkt essen, kann man locker die zehnfache Anzahl Menschen verköstigen.
Etwa 10kg Futter und 15000l Wasser werden für die Prodiktion von 1 kg Rind benötigt.
albert-schweitzer-...l/1-kg-rindfleisch
Heiner Petersen
@Lübeckerin Jetzt noch bitte die Quellen für diese platztechnische Aussage angeben....