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Awet Tesfaiesus schafft den Durchbruch

Die Hessin sitzt als erste Schwarze Frau im Bundestag und will sich dort für Vielfalt einsetzen. Ihre Kandidatur war eine Reaktion auf den rassistischen Anschlag in Hanau

Will der AfD Paroli bieten: Awet ­Tesfaiesus Foto: privat

Von Ralf Pauli

Als Arabella Kiesbauer in den Neunzigern als erste Schwarze Talkshow-Moderatorin regelmäßig im deutschen Fernsehen zu sehen war, war das für Awet Tesfaiesus ein Aha-Moment. „Es gibt weiße Räume, in die dringen wir nicht vor“, wurde ihr damals bewusst. In den Medien, der Wissenschaft, der Politik bleiben Weiße unter sich. Nun dringt die 47-Jährige in einen politischen Raum vor, der Schwarzen Frauen bisher verschlossen war: Seit Dienstag sitzt sie im Bundestag.

In seiner 72-jährigen Geschichte hatte das Parlament noch nie eine Schwarze Abgeordnete. Mit der Grünenpolitikerin Tesfaiesus ändert sich das nun – und darauf ist sie stolz. „Ich bin sehr glücklich darüber“, sagt Tesfaiesus der taz. „Es ist ein wichtiger Schritt für Schwarze Menschen in Deutschland.“

Zwar gibt es mit Karamba Diaby von der SPD bereits seit der Wahl 2013 einen Schwarzen Abgeordneten im Bundestag. „Aber auch bei uns People of Color kommen die Männer immer zuerst“, sagt Tesfa­iesus. Als Schwarze Frau sei sie in Deutschland doppelt diskriminiert. „Es ist ein Fortschritt für das Land, wenn mehrfach diskriminierte Personen im Bundestag sichtbar werden.“

Am neuen Bundestag sieht man, dass sich in der Politik beim Thema Vielfalt langsam etwas bewegt. Er ist weiblicher, jünger und mehr Abgeordnete haben eine Einwanderungsgeschichte – auch wenn der Anteil mit elf Prozent immer noch weit unter dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt. Erstmals sitzen im Bundestag auch zwei trans Politikerinnen und ein Abgeordneter, der als Kind in einem deutschen Asylheim lebte. Und die Zahl der Schwarzen Abgeordneten ist auf drei gestiegen. Neben Diaby und Tesfaiesus hat es auch der SPD-Politiker Armand Zorn geschafft – er gewann in Frankfurt am Main ein Direktmandat mit großem Vorsprung vor dem CDU-Kandidaten.

Bei Tesfaiesus war es hingegen knapp. Um ihren historischen Einzug in den Bundestag musste sie in der Wahlnacht zittern. Erst in den frühen Morgenstunden habe festgestanden, dass es für sie reicht, erzählt Tesfaiesus. Zu verdanken hat sie das Omid Nouripour: Hätte der nicht ein Direktmandat von der CDU erobert und somit seinen sicheren Listenplatz freigegeben – Tesfaiesus wäre auf Listenplatz neun leer ausgegangen. Mit 15,8 Prozent der Zweitstimmen stehen den hessischen Grünen nun acht Plätze im Bundestag zu. Auf einem sitzt jetzt Tesfaiesus und wird sich gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen – wie zuvor im Kasseler Stadtparlament.

Awet Tesfaiesus ist 1974 in Eritrea geboren und als Kind nach Deutschland gekommen. Seit 2009 ist die Juristin Mitglied bei den Grünen, seit 2016 Sprecherin für Integration und Gleichstellung der Grünen­fraktion in Kassel. Dass Tesfaiesus dafür ihre Arbeit als Anwältin für Asylrecht reduziert hat, hat mit dem Aufstieg der AfD zu tun. „Als sich 2016 abzeichnete, dass die AfD in das Stadtparlament einziehen würde, habe ich für mich gespürt: Jetzt muss auch ein Schwarzes Gesicht da rein“, erzählte Tesfaiesus in einem taz-Interview vor der Bundestagswahl.

Dass das Engagement in der Lokalpolitik nicht mehr ausreicht, wurde ihr nach dem rassistischen Anschlag von Hanau klar. Am 19. Februar 2020 wurden dort neun Menschen mit Migrationsgeschichte ermordet. Tesfaiesus entschied, ein Zeichen für Vielfalt und gegen Rassismus zu setzen – indem sie für den Bundestag kandidiert. Im Wahlkreis Werra-Meißner –Hersfeld-Rotenburg trat sie als grüne Direktkandidatin an, landete mit 6,2 Prozent der Stimmen jedoch weit abgeschlagen auf Platz vier – noch hinter dem Kandidaten der AfD.

„Es ist ein Fortschritt für das Land, wenn diskriminierte Per­sonen im Bundestag sichtbar werden“

In den kommenden vier Jahren bleibt Tesfaiesus genug Zeit, sich zu revanchieren. Indem sie sich gegen Diskriminierung und Rassismus einsetzt. Und indem sie der AfD im Bundestag Tag für Tag zeigt, dass Deutschland nicht so aussieht, wie es sich die Rechtspopulisten wünschen. Sie wolle sich aber nicht an der AfD abarbeiten, sagt Tesfaiesus. Die sei für ihr Anliegen nicht zu erreichen. Vielmehr wolle sie helfen, dass alle marginalisierten Menschen in diesem Land in die Gesellschaft eingebunden werden.

In welchen Ausschüssen und Arbeitskreisen sie dieses Ziel verfolgen wird, ist noch offen. Jetzt gehe es erst mal darum, die Fraktion kennen zu lernen, sagt Tesfaiesus. „Eine Rolle wird auch spielen, wie die Ausschüsse zugeschnitten sind.“ Wenn es nach ihr geht, sollte beispielsweise das Thema Diskriminierung nicht länger zu Integration gerechnet werden. „Die Themen gehören getrennt“, sagt Tesfaiesus. Es sei eine Form von Rassismus, wenn Menschen mit Einwandergeschichte auch heute noch mit Integration assoziiert würden.

„Bei mir ist der Integrationsprozess schon lange abgeschlossen, diskriminiert werde ich immer noch“, so Tesfaiesus. Als Beispiele nennt sie Polizeikontrollen oder die Wohnungssuche. Eine Bleibe in Berlin muss sich Tesfaiesus noch suchen. Falls sie erneut wegen ihrer Hautfarbe keine Wohnung bekommt, weiß sie zumindest, dass sie sich dieses Mal Gehör verschaffen kann.

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