Türkische Lederbranche: Schutzlos schuften für Schuhe
Die Jobs in der türkischen Lederindustrie sind schlecht bezahlt und desolat. Das zeigt eine Studie der Nichtregierungsorganisation Südwind.
Die deutsche Nichtregierungsorganisation (NGO) „Südwind“ hat jetzt in Zusammenarbeit mit türkischen Partnern eine Studie über die Bedingungen der „LederarbeiterInnen“ in dem Land vorgelegt. Die Türkei hat traditionell einen starken Textilsektor, von dem der Lederbereich ein Spezialsegment ist. Angefangen von der Herstellung des Rohleders über die Verarbeitung zu Jacken und Handtaschen bis hin zu Schuhen sind in der Türkei alle Bereiche der Lederverarbeitung vertreten. Die ökonomische Bedeutung der Lederbearbeitung in der Türkei nimmt zu. Mittlerweile ist das Land der fünftgrößte Produzent von Lederschuhen weltweit.
Die Arbeit in der Lederindustrie wird von der ILO, der internationalen Arbeitsorganisation, als 3- D-Arbeit definiert. Was sich so modern anhört, bedeutet nach englischem Akronym „Danger, Dirty and Difficult“, also gefährlich, schmutzig und schwierig. Die NGO Südwind hat, verteilt über das ganze Land, 35 ArbeiterInnen ausführlich befragen lassen. Darunter waren Frauen und Männer, obgleich die Lederindustrie von Männern dominiert ist, sowie Türken und Migranten und Eltern, deren Kinder in der Lederindustrie arbeiten müssen.
Insgesamt sind die Jobs miserabel bezahlt, kaum jemand bekommt mehr als den Mindestlohn von 2.300 Lira, das sind knapp 230 Euro. Nur einer der Befragten hatte einen regulären Vertrag, alle anderen arbeiteten ohne formelle Vereinbarung und damit ohne jede Absicherung. Nach Informationen der Lederarbeitergewerkschaft Deriteks können sich die Bezieher des Mindestlohns aber noch glücklich schätzen. Der größte Teil bekommt weniger, denn dieser Teil der Menschen, die in den zumeist kleinen Klitschen, in denen oft maximal zehn Leute arbeiten, sind Migranten, die zum Überleben jeden Job annehmen müssen.
Kaum Arbeitsschutz
Doch nicht nur der Lohn ist schlecht. Auch die Arbeitsbedingungen sind miserabel. In der Lederbearbeitung wird gesundheitsgefährdende Chemie verwendet, doch Arbeitsschutz ist weitgehend unbekannt. Für uns, sagte eine der befragten Frauen, ist es völlig normal, dass es am Arbeitsplatz stinkt, laut ist und die Arbeit an den Maschinen auch gefährlich sein kann. Schutzmaßnahmen gibt es aber in der Regel nicht.
Wer sich fragt, wo die mittlerweile knapp vier Millionen syrischer Flüchtlinge in der Türkei eigentlich ihren Lebensunterhalt verdienen, bekommt durch die Studie eine Antwort. Im traditionellen Lederbearbeitungsbezirk Geditepe in Istanbul sind nach Angaben des Gewerkschaftssprechers mittlerweile 80 Prozent der Beschäftigten Flüchtlinge, meistens aus Syrien, aber auch aus Afghanistan oder dem Irak. Alle diese Leute arbeiten informell, für einen Hungerlohn von oft nicht einmal 100 Euro im Monat. Der Lohn wird wöchentlich bar bezahlt, manchmal gibt es aber auch gar nichts.
Mit den Syrern, die seit 2015 als Kriegsflüchtlinge ins Land strömen, hat sich die Lederproduktion nach Gewerkschaftsangaben um 50 Prozent erhöht. Die meisten Arbeitsplätze für die Flüchtlinge finden sich in den Kleinmanufakturen, die als Subunternehmer für größere Firmen arbeiten. Türkische ArbeiterInnen wurden aus dem Geschäft verdrängt, weil sie wenigstens den Mindestlohn fordern würden, die Migranten machen es aus der Not auch weit billiger, klagt die Gewerkschaft.
Dies ist ein Grund, warum sich in der Türkei das Klima gegenüber den Flüchtlingen drastisch zum Schlechteren verändert hat. Die Wirtschaftskrise und zusätzlich die Pandemie haben zu einer hohen Arbeitslosigkeit gerade unter den unqualifiziert Beschäftigten geführt. Da sind die Flüchtlinge eine echte Konkurrenz. Daran ändert auch die Unterstützung, die die EU der Türkei für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Flüchtlinge zahlt, wenig. Es ist bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen