piwik no script img

Doku über Rockband Velvet UndergroundVorposten einer neuen Zeit

The Velvet Underground haben das Prinzip Rock ’n’ Roll aufgebrochen. Der Filmemacher Todd Haynes' hat das in einer Dokumentation eingefangen.

Avantgarde überall: The Velvet Underground Foto: Apple TV+

Der dichte, durchdringende und düstere Sound von Velvet Underground, er ist in diesem Film von der ersten Sekunde an da. Der Bildschirm ist noch schwarz, ein Baudelaire-Zitat ploppt auf – „Music fathoms the sky“, Musik ergründet den Himmel –, da ertönt der erste langgezogene Bratschenklang von John Cale.

Ein Mäandern, eine Schleife, es klingt so wie im Song „Venus in Furs“, und einen kurzen Moment glaubt man, jetzt könnte auch gleich Lou Reed einsetzen und die berühmten Zeilen singen: „Shiny, shiny, shiny boots of leather …“ Doch dann hört man schräge Noise-Töne, es dröhnt, es knirscht, es knarzt – und Cut.

Diese Eingangssequenz deutet voraus auf das, was der Dokumentarfilm „The Velvet Underground“ sehr eindrücklich vermitteln wird: wie einmalig und wenig kategorisierbar diese New Yorker Band war. Regisseur des Films ist kein Geringerer als Todd Haynes. Haynes hat über Bob Dylan 2007 die filmische Biografie „I’m Not There“ – ohne Übertreibung einen der tollsten Musikfilme of all times – gedreht und da schon mit sämtlichen Genre-Konventionen gebrochen.

Ein paar Standards gibt es doch

Haynes beginnt mit der Formierung der Gruppe Mitte der Sechziger, blendet Interviews und Stimmen der noch lebenden Mitglieder John Cale (Gitarre, Bratsche) und Maureen „Moe“ Tucker (Schlagzeug) sowie Archivaufnahmen von Lou Reed (Gesang, Gitarre), Sterling Morrison (Gitarre, Bass) und Nico (Gesang) ein; so viel Standards gibt es dann doch.

Der Film

„The Velvet Underground“. Regie: Todd Haynes. USA 2021, 121 Min. Läuft auf Apple TV+ und in ausgewählten Kinos

Der Film verfolgt, wie Velvet Underground zur Hausband von Andy Warhols Factory wurden und dort aufwendig inszenierte Shows spielten. Warhol sorgte dann auch dafür, dass Nico Sängerin der Band wurde, und schuf nebenbei das wohl berühmteste Cover der Popgeschichte – heute kann man Warhol-Bananen-Shirts bei H&M kaufen.

Und doch ist auch „The Velvet Underground“ eher poetisches Gesamtkunstwerk als Bandbiografie. Haynes setzt häufig Splitscreens ein, zuweilen ist der Bildschirm gar zwölfgeteilt. Jonas Mekas, 2019 verstorbener Filmemacher und Velvet-Underground-Weggefährte, sagt in einer Interviewsequenz, zu jener Zeit hätten sich die Künste gewandelt und der poetische Aspekt habe im Kino eine viel größere Rolle gespielt – Godard und die Nouvelle Vague prägten natürlich auch die New Yorker Szene.

Porträt des damals noch schillernden New York

Diese Einflüsse greift Haynes hier auf. Er zeigt tolle, lange Schwarz-Weiß-Sequenzen, lange Close-up-Aufnahmen, die Andy Warhol damals von Reed & Co machte. Zugleich ist der Film ein Porträt des damals noch schillernden New York geworden, man sieht Schlangen vor Nachtklubs, flackernde Lichter, Kneipen, tanzende Leute. Gewühl, Nacktheit, Wildheit.

Die Bandgeschichte, auch das zeigt dieser Film, war eigentlich eine Geschichte fortgesetzter ungewöhnlicher Aufeinandertreffen. Da kam John Cale, klassisch ausgebildeter Musiker, der am liebsten Dirigent werden wollte, mit Lou Reed zusammen, der von klein auf Doo Wop und Rockabilly liebte und als Berufswunsch Rockstar angab.

Dazu saß mit Moe Tucker eine Frau am Schlagzeug, die einen sehr eigenen, unrocknrolligen Stil pflegt – auch nichts, was man sich bei den Rolling Stones hätte vorstellen können. Und dann stieß später auch noch diese mysteriöse Christa Päffgen aus Deutschland dazu (Nico), die den Gesang im Pop völlig neu interpretierte.

Sänger:innen, die anders intonierten

Das Prinzip Rock ’n’ Roll brach die Band auf, vor allem dank John Cale integrierte sie Techniken der Minimal Music (Drones, Noise) in ihren Sound, und mit Lou Reed und Nico hatten sie Sänger:innen, die anders intonierten als alle anderen. Dazu kamen Texte über Sadomaso, Suizid und Drogen, „viele Radiosender haben unser Zeug deshalb nicht gespielt“, sagt Moe Tucker.

The Velvet Underground vermittelt eindrücklich, wie einmalig und wenig ­kategorisierbar die Band war

David Bowie lobt in einer eingespielten Audiosequenz die texterischen Fähigkeiten Lou Reeds: „Die Art seines Schreibens … Bob Dylan hat eine neue Form von Intelligenz in die Pop-Lyrics gebracht, aber Lou Reed hat das in die Avantgarde transportiert, er hat sich auf Baude­laire und Rimbaud bezogen. Damals wurde diese Leistung überhaupt nicht als besonders erachtet.“ Velvet Underground waren wohl auf so vielen Ebenen Avantgarde, dass es fast nicht wundernimmt, dass ihre Bedeutung seinerzeit noch nicht erkannt wurde.

Die Band markiert überdies eine Zeitenwende. Die Träume und Spinnereien der Hippies waren vorbei, die Band trug Schwarz und hatte keine Lust auf hübsche Melodien und blumige Texte („Wir hassten diesen Love-and-Peace-Scheiß“, sagt die heute 77-jährige Moe Tucker im Film). Velvet Underground bilden die ersten Vorläufer von Punk und Goth. Haynes schneidet das gegeneinander: Während Nico das morbide „Sunday Morning“ singt, trällern The Mamas & The Papas nur ein Jahr davor noch ihr „Monday Monday“.

Nachdem Lou Reed und John Cale sich überwarfen und Letzterer Anfang der Siebziger die Band verließ, lebte die Band vor allem noch von Reeds unerschöpflichem Repertoire an Popsongs, wurde aber auch musikalisch etwas konventioneller. Haynes gelingt es, collage- und montageartig das Wesen dieser großen, großen Band einzufangen, deren Songs bis heute überdauern und deren Musik, um mal das Baudelaire-Zitat abzuwandeln, Himmel und Hölle ergründet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • ....deren Songs bis heute überdauern und deren Musik, um mal das Baudelaire-Zitat abzuwandeln, Himmel und Hölle ergründet...



    Ich nehme mal den Himmel.



    Velvet Underground - Pale Blue Eyes



    www.youtube.com/watch?v=KisHhIRihMY



    ....Überspringe ein ganzes Leben



    Stopfe es in eine Tasse



    Sie sagte, Geld wäre wie wir in der Zeit



    Es verweilt, kann aber nicht aufstehen



    Unten ist für dich oben



    Ich verweile bei deinen blassblauen Augen



    Ich verweile bei deinen blassblauen Augen.....



    Guter, interessanter Beitrag. Gedanklich weit, weit zurück geführt.



    The Drumming Of Maureen 'Moe' Tucker



    www.youtube.com/watch?v=26Y-qPglJQ0

    • @Ringelnatz1:

      Sehr schön!

      Und ich, passend zum Tag:

      www.youtube.com/watch?v=0cWzxJvgWc8

      "Sunday morning, brings the dawn in



      It's just a restless feeling by my side



      Early dawning, Sunday morning



      It's just the wasted years so close behind

      Watch out, the world's behind you



      There's always someone around you who will call



      It's nothing at all"

      In den 90-er-Jahren war ich auf einem Konzert von Moe Tucker.

      Der Saal war eher klein, sodass man die Flügeltür zu einem Nebenraum öffnen musste, damit das riesige Schlagzeug reinpasste.

      Dahinter saß dann die kleine Frau und bearbeitete das Instrument mit Hingabe und Kraft.

      God bless Moe Tucker, god bless Velvet Underground, god bless Nico!

      Wenn Sie mal schwelgen und trauern möchten, dann fahren Sie zum Jagen 135 im Grunewald.

      de.wikipedia.org/w...of_Grunewald-Forst

      • @Jim Hawkins:

        Heute ist ja Samstag. Kannste mal sehen, einen Song von Nico und ich weiß nicht mehr, welcher Tag ist.

        • @Jim Hawkins:

          Danke!



          Den Schwelg und Trauertipp werde ich abarbeiten.



          Ich mußte lachen, lese.. fahren sie zum Jagen..



          Ja wie nun, soll ich jetzt im Westen auch noch jagen..! Wo nehme ich die Flinnte her?



          ;-)



          Auch die Jugend kann sich mitunter sehen lassen:



          Miley Cyrus - Sweet Jane



          www.youtube.com/watch?v=eIwiODeHHwc

          Habe die Ehre

          • @Ringelnatz1:

            Sehr schön.

            Nicht den Rotwein vergessen, oder den Joint oder das Heroin ("Heroin, it's my wife and it's my life").

            Das Grab erinnert ein wenig an das von Jim Morrison auf dem Père Lachaise, nur ohne Cops und ohne Freaks.

            Miley Cyrus ist ja regelrecht züchtig angezogen in dem Video.

            Das war nicht immer so:

            www.youtube.com/watch?v=My2FRPA3Gf8

            • @Jim Hawkins:

              Der Psychologe würde sagen, das PING des Moment's ist entscheidend.(



              Synapse zuckt)



              Beton, Abbruchbirne,Hämmer, Geruch von Plattenbeton und natürlich(Jane..) unsere Kranführerinn!,.Ich (wir) werden sie nie! vergessen!!.



              Nachts 2:00, ein Lächeln vom Kran und die elastische Truppe stand stramm, mit einem, nun, blöden Gesichtsausdruck.



              1978 Betonwerk Gehrenseestraße -GDR-(Ost- Berlin, vom Klassenfeind gebaut) aufgeschlagen, daher Verbindung mit Miley!



              Antwort- Ping muß nicht aber ...



              ;-)

              • @Ringelnatz1:

                Bei Beton fällt mir natürlich Zement ein.

                de.wikipedia.org/w...Theaterst%C3%BCck)

                Und diese Inszenierung habe ich sogar gesehen (ist ein making of):

                "ZEMENT ist eine Inszenierung von Heiner Müllers Theaterstück Zement. Gespielt wurde in der alten Presshalle des Kabelwerks Oberspree in Berlin Schöneweide. Es spielen Schauspieler des Berliner Ensembles und des 1994 geschlossenen Schiller-Theaters in Berlin."

                vimeo.com/159209938

                • @Jim Hawkins:

                  Juti!



                  Hey du, hey du,



                  Hör mir ma, hör mir ma zu.



                  Ick will dir mal wat erzähln von mir.



                  Det hab ick noch nie jemacht, außer bei dir.



                  Vielleicht bringt et dir wat, ick kenn dir ja nich...



                  Etwas über theatralisiert aber ich muß es noch mal bringen.



                  Passt immah!



                  Linie 1 Du bist schön auch wenn Du weinst



                  www.youtube.com/watch?v=Iq-AXHf4570



                  ...wenn ick det nich mehr kann also mit allen reden, denn isset vorbei....

                  • @Ringelnatz1:

                    Kuckst Du:

                    www.youtube.com/watch?v=exUFzd-VR1w

                    • @Jim Hawkins:

                      Und wie!!



                      Unser gemeinsames, kleines Forum.



                      Wenn sich nich noch eener rinndrängelt.



                      ;-)

                      • @Ringelnatz1:

                        Lowie dürfte, aber ich glaube, der ist mehr in Sachen Jazz unterwegs.

                        • @Jim Hawkins:

                          Ach was! © Loriot

                          Mann - 😎 - muß auch jönne könne.



                          &



                          Nico & 🍌 läuft regelmäßig - wa.



                          &! Velvet - dann ist - zunächst sprachlich nich wiid: Blue Velvet



                          m.youtube.com/watch?v=9Cr_apcZkpY - 🥳 -



                          “ Blue Velvet ist ein Lied von Tony Bennett und Percy Faith mit seinem Orchester, das 1963 in der Version von Bobby Vinton zum Nummer-eins-Hit wurde.“ wiki



                          & Däh! => Der Film das abbe👂im Gras!



                          de.wikipedia.org/w...Blue_Velvet_(Film)



                          Blue Velvet -



                          Film von David Lynch (1986)



                          de.wikipedia.org/w...Blue_Velvet_(Film)



                          & Nico



                          “ Zwischen Nico und Lou Reed gab es eine kurze Liebesbeziehung; allerdings wollte sich Reed mit seiner Gruppe nicht auf die Rolle der Begleitband reduzieren lassen, so dass Nico nur vier Songs (Femme Fatale, All Tomorrow’s Parties, Sunday Morning und I’ll Be Your Mirror) auf der Platte singen durfte und ansonsten das Tamburin zu schlagen und bei Auftritten gut auszusehen hatte. Eine Zurücksetzung, die Nico missfiel, da sie nachhaltig auf ihrer Gesangskarriere beharrte. So zerbrach die Beziehung bald. Lou Reed wurde die treibende Kraft der Band und drängte das inoffizielle Mitglied Nico aus dem Bandkontext. Nicos neuer Förderer wurde Reeds Bandkollege John Cale.“



                          de.wikipedia.org/w...co_(S%C3%A4ngerin)



                          & a lot more of all this shit - 🥳 -

                          • @Lowandorder:

                            Na immerhin habe ich ihn mit meinem Jazz-Köder aus dem Busch gelockt.

                            Was würde ich dafür geben, eine kurze Liebesbeziehung mit Nico gehabt zu haben.

                            Hier noch ein Goodie:

                            jungle.world/artik...IFmao-eIXFHfoDvwKs

                            • @Jim Hawkins:

                              Mannoo,



                              unser Alleinstellungsmerkmal, weg isset.(Für immer)



                              Für Lawi



                              Blätter fielen wie stiebende Glut,



                              In den Farben Rot und Gold, entbrannten sie uns



                              Entbrannt wie ein Mondstrahl in unseren Augen.



                              Jetzt bin ich wegen etwas schuldig...



                              Ich hoffe das passiert dir nie



                              Weil es nichts gibt



                              Dass trauriger ist als dich in der Liebe zu verlieren...



                              ;-);-)



                              Robert Plant & Alison Krauss - Killing The Blues



                              www.youtube.com/watch?v=1HAPGl-KPi0



                              Robert Plant & Alison Krauss - "Polly Come Home"



                              www.youtube.com/watch?v=AZXN0KHpvUg



                              Ach, traurig ist schön.

                            • @Jim Hawkins:

                              Danke für den link - fitte Kappen.

                              Zu groupies 🏴‍☠️ - da ich solche aus vormaliger Zeit live & via den Augen der Begehrten erleben durfte: “die Drahthaarziege“ oder “der blonde Schatten von Jean Marais“ - höhö - aber spannende Geschichten - das ja.



                              & Nico



                              Der “Papst des Undergrounds“ - Nico vor Ort gekannt - merkt zu ihr - zur Scheibe - nicht unflott an: “Der Hammer besteht darin - in diese Filigranschrägen & ihre darob Musik - eine unkünstlerische Stimme zu implementieren!“



                              Kann frauman nehmen.

                              kurz - Jorge Amados Truckerspruch in “Tokaja Grande“ - der große Hinterhalt sei nicht unerwähnt: “Mann kann nicht mit allen Frauen der Welt schlafen. Aber man muß es jedenfalls versuchen!“



                              &



                              “I fucked you in New York!“ Marianne Faithfull zu Mick Jagger - soll‘s bewenden lassen.



                              & entre nous =>



                              (ps bin kein Jazzer - btw!;) ~ just in time player instant music - so in etwa & 🎺🔜