Regisseur Hanyes über seinen Dylan-Film: "Er war schön und feminin"
Todd Haynes hat mit "I'm not there" einen großartigen Film über "His Bobness" gemacht. Der Regisseur über rätselhafte Westernhelden, Musik als Alleskleber und Freiheit.
taz: Herr Haynes, welcher Wunsch war zuerst da - der, einen Film über Bob Dylan zu drehen, oder der, das Genre des Biopics zu revolutionieren?
Todd Haynes: Ich hatte nie das Bedürfnis, jemandem, der so unkonventionell wie Bob Dylan ist, mit einer konventionellen Dramaturgie zu begegnen. Es war dann wie ein Offenbarung, als ich ihn mir als sechs unterschiedliche Figuren vorstellte. In dem Augenblick wollte ich den Film unbedingt machen.
Anstatt ein Biopic über Bob Dylan zu drehen, hat sich Todd Haynes Arthur Rimbauds Satz "Ich ist ein Anderer" zu Herzen genommen. Der Musiker wird von sechs Schauspielern mal distanziert, mal mit naturalistischer Verve gespielt (unter ihnen, ziemlich klasse, Cate Blanchett). Er trägt sechs verschiedene Namen (unter ihnen Arthur Rimbaud), nur nicht den eigenen. Der Film erprobt mit jeder Dylan-Figur einen neuen Stil, ohne dass das Puzzle ein kohärentes Ganzes ergäbe. "Im not there" kopiert die konventionelle Musikdokumentation genauso wie Fellinis "8 1/2", zitiert den Film "Dont Look Back" von D. A. Pennebaker, der die Tour Dylans durch Großbritannien im Jahr 1965 dokumentiert, und springt von dort in ein wunderliches Westernsetting, in dem Richard Gere den Outlaw Billy the Kid in Dylan hineinfließen lässt. Leitmotivisch variiert "Im not there" folgende Fragen: Wie viel Renegatentum ist im Musikbusiness möglich? Wo schlägt es in Ausverkauf und Selbstverrat um? Oder ist diese Dichotomie - Protest versus Anpassung, Minderheit versus Mainstream, akustische Gitarre versus elektrische Verstärkung - nicht von Anfang an falsch, ein unbrauchbares Denkwerkzeug?
Und eine dieser sechs Figuren mit Cate Blanchett zu besetzen - wann kam Ihnen diese Idee?
Das war später. Die Idee, eine Frau zu besetzen, war aber von Anfang an da, genauso wie die, die Figur Woodys mit einem schwarzen Jungen zu besetzen.
In D. A. Pennebakers Konzertfilm "Dont Look Back" wirkt Dylan auf mich sehr feminin, wenn er auf der Bühne steht. Liegt das daran, dass ich Ihren Film vorher gesehen habe, oder daran, dass Dylan etwas sehr Feminines hat?
Ich glaube, er war feminin - 1966, ein Jahr nach "Dont Look Back", noch mehr als 1965. Pennebakers Film behandelt ja die Zeit unmittelbar bevor Dylan beginnt, E-Gitarre zu spielen. Er ist damals sehr schön. Im folgenden Jahr ist er dünner, setzt sich körperlich mehr unter Druck, ist wie elektrisiert. Das bringt seine Androgynität zur Geltung. Er ist nicht mehr einfach nur hübsch, er ist androgyn, ein bisschen fremd.
Inwieweit beziehen Sie sich auf Pennebakers Film?
Eigentlich kaum. Jedenfalls nicht in dem Teil mit Cate Blanchett. "Dont Look Back" ist ein wunderschöner Dokumentarfilm, einer meiner liebsten Musikfilme, und er ist ganz und gar dem Cinéma vérité verpflichtet. Mein Ziel war es, für jeden der sechs Stränge in "Im not there" einen spezifischen kinematografischen Stil zu entwickeln, der mit der Musik jener Zeit korrespondierte. Dylans Musik hatte 1966 aber nichts mit Cinéma vérité zu tun - sie war surreal, barock, komplex, humorvoll. Fellinis "8 1/2" wurde deshalb mein Bezugspunkt für die Schwarz-Weiß-Episoden, in denen Cate Blanchett Dylan spielt. Natürlich gibt es all die Szenen in Hotelzimmern und Konferenzräumen, die einen zunächst an "Dont Look Back" denken lassen. Aber jenseits davon ist alles sehr komponiert, choreografiert und überhaupt nicht realistisch.
Sie sagen, dass zu jeder Dylan-Figur ein charakteristischer Stil gehört. Können Sie das ausführen?
Zum Beispiel die Geschichte rund um Robbie, mit Heath Ledger und Charlotte Gainsbourg: Die bezieht sich auf Godard-Filme aus den frühen Sechzigern. Diese Filme sind so schön wie Dylans Liebeslieder, aber es schwingt in beiden eine gewisse Doppelmoral mit, nämlich dort, wo es um die Darstellung von Frauen geht. Ich wollte das kritisieren, zumal sich Robbie ja irgendwann sehr sexistisch aufführt.
Und was ist mit Billy, diesem rätselhaften Westernhelden, den Richard Gere spielt?
Da dienten Filme als Bezugspunkt, die ich Hippie-Western nennen möchte. Filme aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern, die den Western mit den Augen der Gegenkultur sahen und neu erfanden, also "Butch Cassidy and the Sundance Kid", "McCabe & Mrs. Miller" und schließlich "Pat Garrett & Billy the Kid". All diese Filme hatten von der Gegenkultur inspirierte Helden beziehungsweise Antihelden, und in allen besorgte ein populärer Sänger den Soundtrack - Burt Bacharach bei "Butch Cassidy", Leonard Cohen bei "McCabe" und natürlich Bob Dylan bei "Pat Garrett".
In der Billy-Episode, aber auch dort, wo Ben Whishaw als Arthur Rimbaud auftaucht, verarbeiten Sie Dylans Vorstellungswelt, seine Visionen, seine Fantasien, und zwar gleichberechtigt zu dem, was Dylan wirklich erlebt hat.
Mich interessieren die Schnittstellen zwischen dem wirklichen Leben und der schöpferischen Arbeit. Klar gibt es Sequenzen im Film, die dem, was wir unter wirklichem Leben verstehen, ähneln. Die Billy-Geschichte beruht sogar auf der ganz konkreten Tatsache, dass sich Dylan 1967 von seinem Ruhm zurückzog, um sich in Woodstock in einer ländlichen Existenz einzurichten. Dort gründete er eine Familie, und im Keller seines Hauses nahm er diese geheimnisvollen Lieder auf, die dem Geist früher amerikanischer Roots-Musik verpflichten sind, außerdem einer Art von biblischem Minimalismus und dem Country von Nashville. Er lehnte die moderne Welt zu diesem Zeitpunkt total ab. Die große Ironie daran ist, dass gleich nebenan, auf der anderen Seite des Hügels, das Woodstock-Festival stattfand, in dem die Gegenkultur weiterlebte und dessen abwesender Führer er war.
Einmal sieht man Richard Gere zu Pferde, die Hügel von Woodstock, die schöne Landschaft, nach dem Schnitt dann Explosionen. Das ist Material aus Vietnam, nicht wahr?
Ja.
Der Montage kommt ja bei all den Handlungssträngen und dem Wechsel von Imaginärem und Wirklichem eine große Rolle zu. Nun sind Sie nicht der Schnittmeister, sondern Jay Rabinowitz. Können Sie Ihre Überlegungen zur Montage trotzdem erläutern?
Ich glaube, ich bin der Schnittmeister, oder zumindest einer der Schnittmeister. Als Heath Ledger das Skript las, sagte er: "Das Skript ist schon geschnitten." Und er hatte recht. Die einzelnen Stränge sind auf der Drehbuchseite noch mal viel zerstückelter als im Film, man kanns kaum lesen. Und so etwas wie die Gegenüberstellung der Woodstock-Hügel mit Vietnam - das war schon im Drehbuch so.
Wie ist es denn, wenn Sie von einem Handlungsstrang zum nächsten schneiden?
Manche Übergänge folgen einer kausalen Logik, etwa wenn Mrs. Arvin zu Woody sagt: "Sing über deine eigene Zeit, mein Kind", und wir von dort auf Jack schneiden, der ja die Stimme der Protestbewegung der 60er-Jahre war - ein Ursache-Wirkung-Übergang. Dann wieder gibt es Parallelsetzungen, vor allem bei Billy und Robbie gegen Ende des Filmes. Wenn Robbie nach Hause, zu Claire zurückkehrt, dann verläuft das parallel dazu, wie Billy den Hügel herunterreitet und damit seine Isolation aufgibt. Es gibt eine Leerstelle - Teile von Billys Vergangenheit werden nicht explizit, sondern über die Geschichte von Robbie und Claire erzählt.
In einem Interview mit dem "Playboy" hat Dylan 1966 gesagt: "Es ist so ermüdend, dass so viele Leute meinen, sie verstehen dich, wenn du dich selbst nicht verstehst." Ihr Film will Dylan nicht verstehen. Gibt es trotzdem so etwas wie eine übergeordnete Struktur, etwas, was all die Facetten zusammenhält, ohne eine Festschreibung zu unternehmen?
Was den Film zusammenhält, ist die Musik. Aber das ist nur eine einfache Antwort, schließlich kann Musik alles Mögliche zusammenhalten. Es gibt da etwas, das Gewicht des Lebens, das allmählich auf dem Film zu lasten beginnt. Die erste Hälfte ist ein freies, überschwängliches Experimentieren. Klar, es gibt die ernsten, politischen Bewegungen und die gewichtigen moralische Fragestellungen, aber so schnell wie sie auftauchen, so schnell sind sie vergessen. Ab einem gewissen Punkt dann fällt auf das Spielerische ein Schatten - ungefähr dann, wenn die Ehe von Robbie und Claire in die Krise gerät. Die Energie und die Experimente zeitigen düstere Nebeneffekte, die auf die Figuren, aber auch insgesamt auf die Gegenkultur zurückwirken.
Als ich das "Playboy"-Interview las und Pennebakers Film sah, hatte ich den Eindruck, dass es ein riesiges Begehren gibt, Dylan zu labeln. Ihr vorangegangener Film, "Far from Heaven", befasste sich mit Leuten, die daran zugrunde gehen, dass sie sich labeln lassen. Ist das zentral für Sie, dieses Bedürfnis, sich freizumachen von Labeln und Zuschreibungen?
Ja. Wenn es in meinen Filmen ein übergeordnetes Thema gibt, dann dies: das Infragestellen von Identität. Identität ist eine restriktive Kategorie. Unsere ganze Kultur, unser ganzes soziales System erzählen uns, dass Identität stabil zu sein habe, dass wir uns selbst definieren müssen, denn nur so können wir von der Gesellschaft erkannt werden, und nur so können wir nützlich sein. Aber es fühlt sich nicht richtig an, und außerdem gibt es eine Menge Dinge, die diese Stabilität bedrohen. Leute glauben, sie hätten versagt, sobald sie aus einer Zuschreibung ausbrechen. Bob Dylan ist ein großartiges Gegenbeispiel: Er lässt sich einfach nicht festlegen. Darin liegt eine Vision von Freiheit. Freiheit bedeutet, dass man nicht man selbst sein, sich nicht definieren, nicht konsistent sein muss. Wir können das nicht alle ständig so handhaben, aber wenn jemand wie Dylan, auf den sich so viele Augen richten, es kann, dann gibt das Hoffnung.
INTERVIEW: CRISTINA NORD
"Im not there". Regie: Todd Haynes. Mit Cate Blanchett, Richard Gere u. a. USA 2007, 135 Min., in Berlin schon im Kino, bundesweiter Start: 28. 2.