: Ein Vergnügen mit braunen Seiten
In Bremen wird die Erfolgsgeschichte des Varietétheaters „Astoria“ gefeiert, als habe es keinen Nationalsozialismus gegeben. Ein Historiker hat die Vergangenheit jetzt reskonstruiert
Von Klaus Wolschner
Vor 77 Jahren, am 6. Oktober 1944, wurde der Bremer Vergnügungsbetrieb „Astoria“ in der Katharinenstraße bei einem britischen Bombenangriff bis auf die Grundmauern zerstört. Ein Stück Bremer Kulturgeschichte lag in Trümmern.
„Wie ein Phönix aus der Asche“ sei das Astoria 1950 dann wieder da gewesen, bejubelte der Weser Kurier im Jahre 2015 die Erfolgsgeschichte des Astoria. Was der Weser-Kurier, wie die offiziöse Bremer Geschichtsschreibung, verschweigt: Voraussetzung des Neuanfangs 1950 war die wundersame Wandlung des Betreibers Emil Fritz von einem NSDAP-Mitglied und Nazi-Bespaßer zu einem angeblichen „Widerstandskämpfer“.
Die braune Seite der Astoria-Erfolgsgeschichte hat jetzt der Bremer Historiker Arndt Frommann aus den Akten des Staatsarchivs rekonstruiert. Auch in den Wikipedia-Einträgen zu Emil Fritz und zum „Astoria“ gab es übrigens keinen Nationalsozialismus – bis zum Erscheinen der Arbeit von Arndt Frommann.
Astoria-Betreiber Fritz war der Sohn eines Hutmachers. Von 1903 an betrieb er in Bremen eine Hafenkneipe – das „Café Fritz“, 1908 eröffnete er in der Katharinenpassage in der Nähe zum Bremer Marktplatz ein Restaurant mit Varieté-Konzession unter dem Namen „Astoria“. In dem Varieté traten alle Showgrößen auf, die Rang und Namen hatten – bis am 6. Oktober 1944 ein britischer Luftangriff das Astoria vollständig zerstörte.
Schon im Jahr 1932 konnte sich die Nazi-Partei über eine großzügige Spende von Fritz freuen. Öffentlich sichtbar wurde diese Anbiederung im August 1933 – Fritz ließ sein Café Atlantic mit einem meterhohen Hitlerportrait schmücken, das nachts angestrahlt wurde. Die Bremer Nachrichten zeigten die Nazi-Bejubelung in ihrer Ausgabe vom folgenden Tag mit einem großformatigen Foto.
1937 wurde Fritz offiziell Parteimitglied. Sein Betrieb wurde als „nationalsozialistischer Musterbetrieb“ ausgezeichnet. Den Entnazifizierunsgstellen lagen Zeugenaussagen vor, nach denen Fritz „vom Beginn des Dritten Reiches an bis zum Schluss freundschaftliche Beziehungen zu führenden NS-Personen gehabt“ habe: „Mit den meisten dieser Nazis stand er auf dem Duzfuße und lud sie oft zur Jagd ein.“
Es hatte Skatabende des Astoria-Betreibers mit NS-Oberbürgermeister Heinrich Böhmcker gegeben, es gibt ein Foto, das den NS-Bürgermeister bei der privaten Hochzeitsfeier im Oktober 1941 zur Rechten der Braut von Emil Fritz als Ehrengast zeigt. Und als die Bremer Bevölkerung von den Bombenangriffen terrorisiert wurde, verbrachte Böhmcker unbeschwerte Abende im Jagdhaus des Astoria-Chefs in Sottrum, rechtzeitig beim ersten Alarm in Sicherheit gebracht.
Und so konnte Fritz nach dem „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ von 1946 als ehemaliges NSDAP-Mitglied den Betrieb nicht wieder aufnehmen – es sei denn, er würde nachweisen, dass er „nach dem Maß seiner Kräfte aktiv Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistet und dadurch Nachteile erlitten hatte.“
Fritz legte 1946 Revision gegen seine Einstufung als „belastet“ ein und fabulierte einige Geschichten, nach denen er „norddeutscher Verbindungsmann“ einer „illegalen Abwehrbewegung“ gewesen sei, die von 1933 bis 1945 zahlreiche jüdische Artisten vor dem Zugriff der Gestapo gerettet und ihnen zum illegalen Grenzübertritten verholfen hätten. Als Zeugen dafür waren fünf Männer benannt, die allerdings nicht befragt werden konnten, weil sie im KZ ermordet worden waren. Einmal habe er den NSDAP-Bürgermeister, ein anderes Mal acht SS-Leute aus seinem Beitrieb herausgeworfen, erzählte Fritz.
Wie eine zweite Wirklichkeit liest sich, was Fritz den Entnazifizierern über seine NS-Zeit erzählte: „Als gläubiger Katholik und auch aus innerer politischer Feindschaft (hatte ich) keinerlei Bindungen zur Partei.“ Spenden an die Partei? Das seien „kleine Beträge“ gewesen, „an die ich mich nicht erinnere.“ Ausschmückung seines Betriebes mit dem Hitler-Portrait? „Ich habe damit überhaupt nichts zu tun gehabt.“
Und gleichzeitig schrieb Fritz im Mai 1946 einen rührseligen Brief an Bürgermeister Wilhelm Kaisen: „Trotz meines Alters, der Zerstörung meiner Betriebe und der schweren Schicksalsschläge, die mich betroffen haben, habe ich den Mut, meine Betriebe erneut aufzubauen, um den allgemeinen Wünschen der Bevölkerung, die täglich an mich herangetragen werden, nachzukommen (…) und um Bremen als neuem Einfuhrhafen Deutschlands und als Konkurrenz zu Hamburg auch auf dem Gebiete des Vergnügungslebens wieder an erste Stelle zu bringen.“
Die Konkurrenz zu Hamburg, das war ein Argument, das im Senat offenbar verfing, schreibt der Historiker Frommann. In den Akten des Senats verschwand eine Grundschuld von 600.000 Reichsmark auf einem Fritz-Trümmergrundstück, so dass der Senat das unbelastete Grundstück zu einem Preis, der 25 Prozent über dem offiziell vom Bausenator festgestellten Verkehrswert lag, von Fritz erwerben konnte. Damit spendierte der Senat de facto dem Geschäftsmann die Mittel für den Neuanfang.
Das Motiv, das hinter der Entlastung von Fritz stand, war klar: Er versprach „Bremen als neuem Einfuhrhafen Deutschlands und als Konkurrenz zu Hamburg auch auf dem Gebiete des Vergnügungslebens wieder an erste Stelle zu bringen.“
Der Entnazifizierungsausschuss hatte 1946 das Märchen vom Widerstand offenbar nicht geglaubt, aber die damals übliche Begründung formuliert, nach der es im Grunde zu viel verlangt wäre, von irgend jemandem Widerstand zu erwarten: „Wenn allenthalben zur Mitwirkung am Wiederaufbau aufgerufen wird, (wäre es) inkonsequent und unbillig, einem Manne die Unterstützung zu versagen, der noch im Alter von 68 Jahren den Willen und den Mut aufbringt, nochmals von vorne anzufangen und seine total zerstörten Betriebe, die dem Ausspann und der Erholung der Menschen gedient haben und hoffentlich wieder dienen können, neu erstehen zu lassen.“ Der Entnazifizierungsausschuss hielt es „nicht für vertretbar, einen Mann nur deshalb als beschäftigungsunwürdig zu bezeichnen, weil die Willkürherrschaft der vergangenen Zeit auf keinem Gebiet einen Widerstand duldete.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen