Der SSW zieht in den Bundestag ein: Frischer Wind aus Slesvig-Flensborg
Der SSW sitzt zum ersten Mal seit 1949 im Bundestag. Er sieht sich als Vertretung aller Minderheiten – nicht nur der dänischen und der friesischen.
Mit einer langen Wahlnacht hatte Lars Harms, Fraktionschef des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) im Kieler Landtag, gerechnet: die Sektkorken würden frühestens gegen 22 Uhr knallen, sagte er voraus. Dann sei vermutlich klar, ob die „Mission Bundestag“ ein Erfolg gewesen sei.
Aber dann ging es viel schneller: Bereits in den frühen Hochrechnungen tauchte ein blauer Strich als Sitz für den SSW auf. Eineinhalb Stunden nach Schließung der Wahllokale trat der Spitzenkandidat Stefan Seidler vor die Kameras und verkündete, sein Einzug sei zu 90 Prozent sicher: „Der Bär ist noch nicht ganz erlegt, aber er liegt schon am Boden.“
Der Bär blieb am Boden: Der SSW sammelte laut dem bisherigen Endergebnis landesweit 55.330 Stimmen, das entspricht 3,2 Prozent. Das reicht der politischen Vertretung der dänischen und friesischen Minderheit für ein Mandat im Bundestag, schließlich ist sie – genau wie die Partei der deutschen Minderheit in Dänemark – von der Fünf-Prozent-Klausel befreit.
Allein rund 16.400 Stimmen, mehr als neun Prozent, holte die Partei im Wahlkreis 1. Dort, wo zahlreiche Angehörige der beiden Minderheiten leben und neben Hoch- und Plattdeutsch auch Dänisch und Friesisch gesprochen wird, ist das Kerngebiet des SSW. Stark war die Partei auch in Nordfriesland mit 9.500 Stimmen (6,6 Prozent) und im südlich gelegenen Kreis Rendsburg-Eckernförde, wo knapp 7.300 Einwohner*innen (4,5 Prozent) ihre Zweitstimme dem SSW gaben.
Am Nord-Ostsee-Kanal, der durch den Kreis verläuft, endet der Bereich, in dem die Minderheiten prägend sind. Entsprechend nimmt die Bedeutung des SSW gen Süden ab. Im Hamburger Speckgürtel, um Segeberg und Stormarn, wählten nur noch 1,6 Prozent die Partei.
Alles in allem aber reichte es für einen Sitz im Bundestag – zum ersten Mal seit 1949, als die damals frisch gegründete Partei zum einzigen Mal ins Parlament einziehen konnte.
1961 war der SSW zuletzt für den Bundestag angetreten. Doch im festgefügten Drei-Parteien-System gab es für die Minderheit aus dem Norden keine Chance. Heute aber, da eine Vielzahl von Parteien und Gruppierungen um Plätze kämpft, braucht es weniger Stimmen für einen Sitz. Im vergangenen Jahr rief der SSW daher die „Mission Bundestag“ aus.
Zwei Dinge will der frisch gewählte Kandidat Stefan Seidler erreichen: Zum Ersten wolle er eine „Allianz für den Norden“ bilden, die sich für Schleswig-Holstein einsetzt: „Mein Vorbild ist die Jyske Mafia, die bis Ende der 1990er-Jahre im dänischen Folketing für massive Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Entwicklung in Jylland gesorgt hat“, so Seidler. Ziel sei es, regionale Strukturen zu stärken und globale Probleme lokal anzupacken. Zum zweiten will Seidler eine Stimme für alle Minderheiten sein, also auch Sorb*innen sowie Sinti*ze und Rom*ni.
Politische Erfahrung bringt der 41-Jährige, der selbst Angehöriger der Dänischen Minderheit ist, mit: Zurzeit ist der verheiratete Vater zweier Töchter Dänemark-Koordinator der Landesregierung, zuvor war er politischer Berater in Dänemark und hat EU-Programme begleitet.
Robert Habeck gewinnt als Direktkandidat
Eine Frage während der vergangenen Monate lautete, ob der SSW den Grünen Stimmen wegfischen könnte. Für die hatte der Wahlkreis 1 eine symbolische Bedeutung: Hier lebt der Bundesvorsitzende Robert Habeck, der als Direktkandidat antrat – und gewann. Auf ihn entfielen 28 Prozent der Erststimmen, zehn Prozentpunkte mehr, als seine Partei erhielt.
Stärkste Kraft bei den Zweistimmen wurde die SPD, wie auch im Rest des Landes (siehe Spalte). Die CDU, die jahrzehntelang den Wahlkreis an der Grenze sicher gewann, verlor knapp 14 Prozent, noch zwei Punkte mehr als im Landesschnitt.
Die vom SSW erhoffte „Allianz für den Norden“, die die Aufmerksamkeit der Bundespolitik auf Schleswig-Holstein lenkt, könnte sich durch die handelnden Personen einer möglichen zukünftigen Bundesregierung fast zwangsläufig ergeben. Denn wenn in den kommenden Wochen über Koalitionen gesprochen wird, sind mit Robert Habeck für die Grünen und Wolfgang Kubicki für die FDP zwei beteiligt, die bereits miteinander verhandelt haben. Im Jahr 2017 hieß das Ergebnis Jamaika auf Landesebene – und nach dem Scheitern der Verhandlungen auf Bundesebene: große Koalition.
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