piwik no script img

Die WahrheitWählen wie bei Muttern

Was Merkel für die Politik, ist „use Mudder“ für die Familie: Die ideale Haushaltsvorständin. Nur bei der Briefwahl tut sie sich schwer.

L angsam wird es Zeit für eine Wahlentscheidung. Mein Freundeskreis diskutiert täglich. Die Wahl ist dieses Jahr so geheim, dass noch nicht einmal ich selber von mir weiß, was ich will. Meine gesamte Familie macht dieses Jahr geschlossen Briefwahl, aber „unser Mutter“ sagt uns nicht, wen sie gewählt hat. Jetzt wissen wir drei, unser Vater und wir zwei Söhne, nicht, was wir machen sollen, denn nur „use Mudder“ weiß doch, was gut für uns ist!

„Holt dien Gelle tosammen!“, lautet beispielsweise eines ihrer Credos. Immer schön das Geld zusammenhalten. Meine Mutter hätte sehr gut Finanzministerin werden können. Oder Kanzlerin. Als Merkel Kanzlerin wurde, hatte sie die zwar nicht gewählt, aber sechzehn Jahre „Mutti“ an der Spitze war für uns auch nichts anderes als die Verhältnisse zu Hause. Unsere Mutter war Milchmädchen, Merkel ist Physikerin, beide können also gut rechnen. Ideal für eine Haushaltsvorständin.

Meine Mutter rief mich schließlich genervt an, als bei ihr die Briefwahlunterlagen ankamen: „So ein langer Wisch in so einen kleinen Umschlag!“ Ob sie den unten nicht einfach abschneiden könne, sie bekäme den Stimmzettel mit den 27 Parteien sonst kaum in den Stimmzettelumschlag. Oder sie müsse erst mit dem gefalteten Stimmzettel zur Heißmangel fahren und ihn plattbügeln lassen, damit er dann endlich hineinpasse.

Sie hatte den Wahlzettel vorliegen und las mir Parteinamen vor, die wir beide nie gehört hatten. Wir staunten außerdem, dass es die DKP und die MLPD immer noch gibt, und wir lachten über den Binnenreim der „V-Partei hoch 3“. Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer.

Ich suchte mir Hilfe beim „Wahl-O-Maten“. Und bin seither erschüttert: Auf Platz eins bei mir ist ausgerechnet ebendiese V-Partei hoch drei. Dabei bin ich Vegetarier nur an maximal vier Tagen in der Woche.

Es folgten drei Parteien, die ich nicht kenne, dann auf fünf Die Partei, anschließend die Piraten, die Linke und die Grünen. Auf Platz elf erschien die MLPD und erst auf Platz 15 stand die SPD. Darüber könnte die SPD ja mal nachdenken, sonst müsste ich es machen. Auf 35 fand sich die CDU/CSU, aber bereits auf 33 die NPD. Ist mir die NPD näher als die CDU? Gott sei Dank liegt die CDU/CSU noch vier Plätze vor der FDP, und die AfD liegt noch gottseidanker auf dem letzten Platz.

Meine Mutter hat ein Faible für Martin Sonneborn, den Chef von Die Partei. „Schade, der sitzt ja im Europaparlament. Sonst hätte ich die vielleicht gewählt“, sagte sie. „Der zieht sich auch immer sehr ordentlich an. Nimm dir doch mal ein Beispiel, Bernd. Den hab ich noch nie in einer Lederjacke gesehen!“

Vielleicht sollten unser Mudder und ich über eine eigene Partei nachdenken – die Mütter und Söhne Partei (MuS). Wir Söhne übernähmen die anstrengenden Reisen, die Mütter alle Entscheidungen von Tragweite. Das habe ich bei vielen Politikern, aber besonders bei Donald Trump schon immer gedacht: „Hat der keine Mutter?“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Bernd Gieseking
Der Kabarettist und Autor Bernd Gieseking steht seit über zwanzig Jahren auf der Bühne. Er schreibt Kolumnen für die »Wahrheit«-Seite der »taz«, Kinderhörspiele für den WDR Hörfunk sowie Bücher – und die am liebsten über Finnland: »Finne Dich Selbst!« und »Das kuriose Finnland-Buch«, alle erschienen im Fischer Verlag. Wenn er nicht schreibt, dann tourt er mit seinen Kabarettprogrammen »Gefühlte Dreißig«, »Finne Dich Selbst!« sowie - jeweils in den Wintermonaten - mit seinem alljährlichen satirischen Jahresrückblick »Ab dafür!« durch die Republik.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Schönes Lachen!



    ... „So ein langer Wisch in so einen kleinen Umschlag!“ Ob sie den unten nicht einfach abschneiden könne,...



    ..Heißmangel..



    Das Wort habe ich lange nicht mehr gehört. Als Kind bin ich immer gerne mit Oma +kleines Wägelchen zur Mangel gezogen. Sehr interessant!



    Genau so!



    Alte Kaltmangel (Wäschemangel/Wäscherolle)



    www.youtube.com/watch?v=i7npAJx_6XU

  • Mit Herzenswärme geschrieben. Gut so. So zu schreiben, stelle ich mir schwierig vor. Herzenswärme als solche versteht es nämlich sehr genau, sich von der Sentimentalität abzugrenzen. Weil sie mit der, wenn überhaupt, nicht viel zu tun hat oder zu tun haben will. Mit dem geschriebenen Wort so umzugehen, dass das bemerkbar bleibt, ist nicht einfach. Dem Autor hier gelingt es, sogar scheinbar mühelos. Der Artikel: Eine sympathische Sympathieerklärung an "die Mütter": "Junge, da nimm dir mal ein Vorbild.... Mit deiner Lederjacke immer...."

    • @Moon:

      Die Intonation habe ich auch schon von Oma's und Müttern(älter) gehört.



      ...„Der zieht sich auch immer sehr ordentlich an....

      • @Ringelnatz1:

        So ist es!