heute in bremen: „Das Lehrerzimmer ist weiß“
Virginie Kamche
56, ist Gründerin des Afrika-Netzwerks Bremen e.V. und dort Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung.
Interview Liz Mathy
taz: Frau Kamche, Thema der Talkrunde ist die Lebensrealität von Kindern aus zugewanderten Familien in einer postmigrantischen Gesellschaft. Womit sind sie konfrontiert?
Virginie Kamche: Das Grundproblem ist die Betroffenheit von Rassismus und Diskriminierung. Obwohl die jungen Menschen meist hier geboren sind und deutsch sprechen, haben sie immer noch die gleichen Probleme wie ihre zugewanderten Eltern. Und genau da liegt das Problem.
Lässt sich in der Erfahrung dieser jungen Menschen eine Genderebene beschreiben?
Ich kenne hierzu keine Statistik, aber in der Schule zum Beispiel werden nach meinem Gefühl die Jungen mit Zuwanderungsgeschichte besonders häufig als Störer sanktioniert. Die Mädchen spüren ebenfalls, ungerecht und schlechter bewertet zu werden, jedoch oft ohne konkrete Anknüpfungspunkte und Beweise hierfür zu haben. Hinter diesen Diskriminierungen steht struktureller Rassismus. Man sagt, das Klassenzimmer ist bunt, aber das Lehrerzimmer ist weiß. Das muss sich verändern! Gerade in Bremen werden bereits einige Bemühungen unternommen, um dem entgegenzuwirken aber es ist ein Prozess, der noch lange dauern wird.
Was muss sich noch verändern?
Talk:„Kinder von Zugewanderten – Identitätsfindung zwischen Anpassung und Widerstand?!“: 19 Uhr, Zentralbibliothek Wall-Saal
Der Umgang miteinander! Die Heranwachsenden müssen das Gefühl bekommen, so respektiert und wertgeschätzt zu werden, wie sie sind. Zudem braucht es mehr Politiker:innen und andere Fachleute mit Migrationshintergrund bzw. Migrationsvordergrund. Denn es mangelt den jungen Menschen eigentlich in allen Bereichen an Vorbildern. Sie müssen sehen, dass sie nicht am Rande, sondern in der Mitte der Gesellschaft stehen. Eine Schlüsselfunktion haben außerdem Bildungseinrichtungen. Diese müssen Rassismus viel mehr thematisieren. Eine schlecht frequentierte „AG Rassismus“ ist da auf keinen Fall genug. Was es braucht, ist zum Beispiel eine intensive Beschäftigung mit dem (deutschen) Kolonialismus, die aktuell nicht stattfindet.
Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Veranstaltungen wie die Talkrunde heute Abend?
Sie schaffen Öffentlichkeit und sensibilisieren und das ist die Voraussetzung dafür, dass wir etwas verändern können. Menschen haben sich ihre Hautfarbe nicht ausgesucht. Es braucht Begegnungsräume, in denen wir voneinander lernen und uns kennenlernen können!
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