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Wie geht normal?

Die von Vorwürfen und Skandalen gebeutelten Theater starten in die Spielzeit 2021/2022 im Zeichen von 3G. Also, Maske auf und Impfpass parat – der Herbst kann kommen!

Elfriede Jelineks Stück „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ (Regie: Frank Castorf) feiert in Wien Premiere Foto: Matthias Horn

Von René Hamann

All die Skandale! Die Skandale um Intendanten und Vorwürfe des Sexismus, des Rassismus und der Ungleichbehandlungen. Und dann kam, gewissermaßen obendrauf, noch Corona. Jetzt ist die Frage, inwieweit sich das Theater von alldem erholen konnte. Wie geht Normalbetrieb? Und geht Normalbetrieb überhaupt?

Oder wird auch die nächste Winterspielzeit eine sein, die im Zeichen von 3G steht, Sie wissen schon: getestet, geimpft, genesen? Hat das Theater seine Strukturen überprüft, zeigt es Einsicht, kann es in sich gehen und das alles wieder nach außen stülpen mit guten Programmen, guten Stücken in prächtigen Inszenierungen?

„In Wien haben Skandale bekanntlich Tradition, aber ob ein Stück der Elfriede Jelinek noch imstande sein kann, die Bürger protestierend aus den Sitzen zu reißen, wird man sehen müssen. Apropos sehen: Pre­miere feiert ihr neues Stück „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ am 4. September im Burgtheater, und Regie führt kein Geringerer als Berlins Skandalnudel Frank Castorf. Könnte also ein richtiges Ereignis werden. Und mindestens eine überlange Wortoper. Oder wie das Theater selbst anreißt: „Keine Rede von Vertrauensverlust und wachsender Entfremdung zwischen ‚unten‘ und ‚oben‘. Intensiv, giftig und körperlich ist das Verhältnis zwischen den Göttern und den Erdlingen“; mit anderen Worten: Es geht um Machtfragen und Verschwörungen, und da bleibt vieles vielleicht nicht nur Theorie.

Wandern wir auf der Karte etwas aufwärts. München hat den Verlust von Intendant Matthias Lilienthal zu beklagen; der „berät“ jetzt die dortigen Philharmoniker, jedenfalls so lange, bis sich Besseres bietet. Die Kammerspiele eröffnen derweil mit „Effingers“, nach dem Roman von Gabriele Tergit, inszeniert von Jan Bosse, während das Residenz am 19. 9. mit „Unsere Zeit“ von Simon Stone nach Motiven von Ödön von Horváth aufmacht. Sehr klassisch.

Von Berlin nach Wien

Berlin: „1.000 Serpentinen Angst“, Gorki Theater, 28./29. 8. & 25./26. 9. & Schaubühne: a) „Kein Weltuntergang“, 4. bis 10. 9., b) „Ödipus“, 19. bis 26. 9., c) „Wer hat meinen Vater umgebracht“, ab 7. 10., d) „Eurotrash“, ab 16. 11., e) „Reden über Sex“, ab 28. 11. „Die Dreigroschenoper“, Berliner Ensemble, 3./4. 9. & „Mercedes“, Deutsches Theater, 10. bis 25. 9.

Bochum: „Das neue Leben“, Schauspielhaus, 10. 9. & „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“, Kammerspiele, 22./23. 9.

Düsseldorf: „Orpheus steigt herab“, Schauspielhaus, 9./10. 9. & 15./25. 9.

Hamburg: „Der Idiot“, Thalia, 4. bis 22 .9. & „Richard the Kid & the King“, Deutsches Schauspielhaus, 3./4. 9. & 19. 9.

Köln: Schauspiel Köln, a) „Nathan der Weise“, 10./12. 9. & 25./26. 9. & b) „Utopolis Köln“ (in der Stadt), 15. bis 30. 9.

München: „Effingers“, Kammerspiele, 18./19. 9. & 2./3. 10. & „Unsere Zeit“, Residenztheater, 19. 9. bis 28. 10.

Wien: „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“, Burgtheater, 4./5. 9. & 11./12. 9.

In Köln muss wahrscheinlich noch sehr viel Wasser den Rhein runterfließen, bis sich die Bühnen der Stadt von Filz, Korruption und Baugenehmigungsverfahren um das alte und neue Opernhaus – und nicht zuletzt vom Weggang des einzigen Lichtblicks der vergangenen Jahrzehnte, nämlich der Intendantin Karin Beier, erholt haben werden. Gegeben wird am Theater Schauspiel Köln nichtsdestotrotz „Nathan der Weise“, und zwar am 10. September. Immerhin: Am 15. 9. bespielen Rimini Protokoll die Bühnen der Stadt Köln, und zwar mit dem Stück „Utopolis Köln“. Könnte den Kölnern gefallen. Die haben es gern, wenn man in ihrer Stadt so oft wie möglich ihre Stadt nennt.

Wie es rheinabwärts in Düsseldorf weitergeht für das Ensemble, das sich hinter den Schauspieler Ron Iyamu gestellt hat, der rassistische Vorfälle am Düsseldorfer Schauspielhaus öffentlich gemacht hat, und das im Anschluss eine eigene Bühne forderte, entzieht sich leider noch unserer Kenntnis. Das Schauspielhaus sieht sicher schwieriger Aufarbeitung entgegen. „Diversity-Berater“ sollen Einzug gehalten haben, heißt es. Ob es hilft, mit „Orpheus steigt herab“ von Tennessee Williams zu eröffnen? Man wird sehen. Und zwar am 9. September.

Und war nicht Bochum auch einmal eine Theaterbastion? Was passiert denn da? Es wird spannend: „Wir sind neun Jahre alt und treffen die Liebe unseres Lebens. Wir treffen sie nicht wirklich, es ist nur ein Blick. Aber wir sind wie geblendet. Mit 18 sehen wir sie wieder: ein Gruß (kein Kuss) von ihr, weit weg. Und eigentlich war es das auch schon. Kein Wort, kein Kontakt. Doch unser ganzes Leben werden wir dieser Liebe widmen.“ Wer kommt auf diese Idee? „Das neue Leben“ ist ein Stück zwischen Dante, Meat Loaf und, man halte sich fest: Britney Spears. Christopher Rüping führt Regie durch einen turbulenten Abend. Leinen los am 10. 9. Apropos Leinen los: Wer David Foster Wallaces lustige Kreuzfahrt-Reportage „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ in der Bühnen­version verpasst hat, kann auf die Kammerspiele Bochum setzen: Dort gibt es das noch mal am 22. und am 23. September.

Und wo wir schon mal am Meer sind: In der Thalia Hamburg stehen die Zeichen auf Durchzug, also auf „Der Idiot“ von Dostojewski, Premiere am 4. 9., also noch so eine olle Kamelle, die ursprünglich einmal ein Roman war, und im Hamburger Schauspielhaus gibt es Shakespeare, „Richard the Kid & the King“ unter der Regie von Karin Henkel, immerhin eine Neuauffrischung, und das tags zuvor (3. 9.).

Es ist nur ein Blick. Aber wir sind wie geblendet. Kein Wort, kein Kontakt

Was aber gibt es auf den Bühnen Berlins, der wichtigsten Theaterstadt Deutschlands? Isso. Das Maxim Gorki eröffnete am Freitag traditionell feministisch mit „1.000 Serpentinen Angst“ nach Olivia Wenzel, Regie Anta Helena Recke – eigentlich war der Start schon eine Woche vorher geplant, doch das Ensemble leidet unter einem Coronafall. Wie es damit umgeht, dass Intendantin Shermin Langhoff einige Zacken aus ihrer politisch korrekten Krone verloren haben dürfte, könnte durchaus interessant sein. Das Programm sieht erstmal nach left-wing business as usual aus.

Die Schaubühne hingegen hat vielleicht das interessanteste Programm: Nach der Eröffnung mit Chris Bushs „Kein Weltuntergang“, die am 4. September stattfindet, kommt zweimal Thomas Ostermeier persönlich zum Zuge, erst mit „Ödipus“ (ohne „König“), dann mit Édouard Louis’ „Wer hat meinen Vater umgebracht“, bevor noch mal Jan Bosse „Eurotrash“ von Christian Kracht dramatisiert, und Maja Zade „Reden über Sex“ macht.

Die Volksbühne macht aus ihrem Comeback – Pollesch ante portas! – noch ein Geheimnis; das Berliner Ensemble gibt, nicht besonders einfallsreich, „Die Dreigroschenoper“, und, last but not least hat das Deutsche Theater „Mercedes“ von Thomas Brasch im Programm (10. September). Wir finden: Maske auf, Impfpass parat, der Herbst kann kommen!

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