Welcher Weißwein wirkt wie?: Feuchtfröhlich und kontemplativ
Der Winzer Wolf-Dietrich Salwey dokumentierte, wie einzelne Rebsorten den Verlauf eines Abends beeinflussen. Vor allem Grauburgunder hat es in sich.
Die Wirkung von Wein wird gerne so umschrieben: Entspannung und Wohlbefinden stellen sich ein, gleichzeitig können sich anregende Diskussionen entwickeln. Ein müder Abend kann durch eine besondere Flasche an Schwung und Spannung gewinnen, manche Weine machen aber auch wonnig-träge.
Einer der Winzer, die sich intensiv mit der Wirkkraft und den Effekten von bestimmten Weinen auseinandersetzten, war Wolf-Dietrich Salwey, der 2011 bei einem Autounfall verstarb. Salwey galt als unkonventioneller Charakter, regelmäßig lud er Kollegen, Freunde und Bekannte nach Oberrotweil am Kaiserstuhl ein, um in klar festgelegten Rahmenbedingungen den Einfluss von einzelnen Rebsorten auf seine Runde zu erkunden. Meistens saßen neben dem Gastgeber noch der Freiburger Architekt und Stadtplaner Horst Linde und ein Angestellter des Freiburger Amtes für Katastrophenschutz zusammen, der von allen nur Katastrophen-Dieter gerufen wurde.
„Mein Vater wurde von seiner Neugier angetrieben“, sagt Konrad Salwey, der das Weingut seit dessen Tod führt. Wolf-Dietrich Salwey beobachtete das Geschehen am Tisch genau: Welche Themen werden dort angeschnitten, wie wird gesprochen und diskutiert? An einem Abend wurde nur Riesling ausgeschenkt, an anderen ausschließlich Grauburgunder, Silvaner, Spätburgunder oder auch nur Gewürztraminer.
„Das war ziemlich heftig“, erinnert sich Konrad Salwey. Der in Baden und im Elsass verbreitete Gewürztraminer fällt meist körperreich und barock aus und geizt nicht mit seinem speziellen Bukett mit Rosenblättern, Litschi, Orangeat und Muskatblüten, das manche für so lästig halten wie ein aufdringliches Parfum.
Gewürztraminer gilt auch als Wein der Geistlichkeit und steht im Ruf, die Spiritualität fördern zu können. Aber wie reagierte die Runde um Professor Linde und Katastrophen-Dieter darauf? Der Gewürztraminer habe, sagt Konrad Salwey, durchaus die Kontemplation der Weintrinker unterstützt und zu tiefgehenden Gedanken und Gesprächen angeregt.
Bordeaux zum Wegdämmern
Wenn Wolf-Dietrich Salwey Spätburgunder ausschenkte, konnte er eine unaufgeregte kultivierte Aura feststellen. „Da werden alle ruhiger.“ Salwey veranstaltete auch Bordeaux-Abende, da ging die Entspanntheit nahtlos in eine ungezwungene Dämmerstimmung über, es sei auch vorgekommen, dass „irgendwann alle am Tisch eingeschlafen sind“. Dahingegen führte der Genuss von reichlich Riesling zu pointierten Treffen mit steilen Thesen und spitzen Kommentaren, die sich in die Länge zogen – „Mit Riesling bleibt man lange wach“.
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Die erstaunlichsten Wirkungstreffer aber erzielte der Grauburgunder, der am warmen Kaiserstuhl viel Körper und Alkohol zeigen kann und von dem man eher einen komatösen Effekt erwarten würde. Doch wirkt er sehr anregend, Salwey notierte, dass die Diskussionen lebhaft und hitzig wurden und auch den Rahmen sachlicher Argumente verließen.
Grauburgunder, sagt Konrad Salwey, bringt das Blut in Wallung: „Das ist kein Wein für Menschen mit Herzproblemen.“ Grauburgunder spiegelt das badische Naturell wohl am besten, vermutlich sprachen die renitenten badischen Bauern und Weinbauern bei den Aufständen gegen den Adel 1848 ordentlich dem aufwühlenden und aufwiegelnden Grauburgunder zu: Sie galten als besonders aufmüpfig und rebellisch.
Konrad Salwey hat sich – ganz im väterlichen Forschergeist – auch seine Gedanken zum Wesen der Rebsorte gemacht. Grauburgunder strafe den Winzer, der ihn vernachlässige, sagt er aus eigener Erfahrung: „Er verzeiht nicht gerne, ist nachtragend.“ Aus der Perspektive der Temperamentenlehre wäre Grauburgunder ein sanguinischer Typus mit cholerischen Neigungen. Gewürztraminer dagegen entspräche dem phlegmatischen Typ mit leichtem Hang zur Grübelei und Melancholie.
Einen Riesling als Korrektiv
Bei den Salwey’schen Experimentierrunden kam in der Regel nur eine Rebsorte zum Einsatz, um deren Auswirkungen gründlich erkunden zu können. Aber wenn Wolf-Dietrich Salwey merkte, dass es zu hitzig zuging am Tisch, die Gefahr der Eskalation drohte, dann lenkte er ein und schenkte als Korrektiv einen Wein mit entgegengesetzter Durchschlagskraft aus. Wenn dagegen keine Stimmung aufkommen wollte und die Gesellschaft sich zu reserviert gab, dann verabreichte er Riesling oder Grauburgunder, „um sie anzuregen“.
Als ein Maler ein Praktikum im Weingut absolvierte, erkannte Salwey schnell die Chance, seine Studien zu vertiefen: Er versorgte den Künstler bei der Arbeit an der Staffelei mit unterschiedlichen Weinen und analysierte die entstandenen Werke. Beim getragenen Gewürztraminer entstand eine beschauliche Landschaft mit Feldkreuz, beim Grauburgunder eine Skizze mit dem „abenteuerlichen Kopf“ eines Raubvogels. Salwey fühlte sich in seinen Wahrnehmungen bestätigt.
Den vielschichtigen Charakter von Spätburgunder loten die beiden Winzer Uwe Lange und Marco Pfliehinger aus, die im Kraichgau das Weingut Forgeurac betreiben. Die beiden schätzen besonders die Pinot Noirs von der Côte de Nuits, die sie regelmäßig besuchen. Ein guter Pinot Noir habe „etwas unglaublich Freies, aber auch Formales“, sagt Lange. Pinot Noir spreche alle Sinne an, man sei euphorisch und doch kontrolliert dabei. Man höre keinen Punk und tanze auf dem Tisch, „aber der Kopf arbeitet und liefert krasse Ideen“.
Introvertierter Chardonnay
Riesling, der oft als weißes Pendant zum Spätburgunder bezeichnet wird, polarisiere viel stärker: „Er wühlt auf, Riesling kann inspirieren, aber das kann auch ganz schnell in Aggressivität umschlagen“, hat Marco Pfliehinger beobachtet. Chardonnay, gerade aus der Bourgogne, sei dagegen ausgewogener im Naturell und gehe mehr in die Tiefe: „Seine Wirkung geht mehr nach innen als nach außen.“
Auch Uwe Lange saß einige Abende mit Wolf-Dietrich Salwey zusammen. „Das war ein Freak, ein cooler Typ, der den Dingen auf unorthodoxem Weg auf den Grund ging.“ Salwey untersuchte, wie Weine als Stimmungskatalysator funktionieren, er setzte sie bewusst als Medium ein, um einen Abend zu gestalten.
„Wir gehen heute oberflächlicher mit Wein um und beschäftigen uns mit wenigen Rebsorten, die jeder unfallfrei aussprechen kann“, findet Konrad Salwey. Als sein Vater starb, endeten auch die ungewöhnlichen Abende am Kaiserstuhl. Professor Horst Linde hielten die Experimente bei Gesundheit und Laune, er ist 104 Jahre alt geworden. Über den Verbleib von Katastrophen-Dieter ist dagegen nichts bekannt.
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