: This is not Bayreuth
Wagner, Wrestling und Hardrock an der Zapfsäule: In Lichtenberg machen sich glanz&krawall und andere über Heldenmythen beim Festival „Berlin is not Am Ring“ her
Von Katja Kollmann
Lichtenberg, Herzbergstraße 40–43: Überreste einer Tankstelle, viele in die Jahre gekommene Garagentore und ein verlassenes Pförtnerhäuschen. In der Mitte ein zweistöckiges Haus mit einem holzvertäfelten Saal und einer Bar. Einst befand sich hier die Fahrbereitschaft der SED-Nomenklatura. Heute ist es die Adresse einer Lackiererei, einer Reifenwerkstatt, eines Aufnahmestudios und von Künstler:Innen- Ateliers.
Vor Kurzem sind hier illustre Gestalten eingefallen, die sich als „glanz&krawall“ definieren. Sie haben sich in den Kopf gesetzt, hier – und nur hier – mit Wagners „Ring der Nibelungen“ abzurechnen. Das Portfolio an konstruktivem Wagner-Bashing wurde bei früheren Veranstaltungen bereits gut gefüllt: mit einem klug trashigen Tannhäuser-Sängerwettstreit – inmitten eines überwucherten Reichsbahngeländes und mit einer Isolde, die singend zwischen Strandbad-Handtüchern hin und her hechelt und von Ortrud einen Crashkurs in Sachen Emanzipation erhält. Berlin is – also – not Bayreuth (wie Teil 1 hieß), is not Bregenz (Teil 2) – und „Berlin is – now – not Am Ring“.
„Wir sind durch. Das letzte Mal Wagner!“, sagt Marielle Sterra. Sie sitzt auf einem Klappstuhl hinter der Bühne. Es nieselt. Woher der Strom kommt fürs „Opern Air“, steht noch in den Sternen. Aber über der Bühnentechnik schwebt schon mal ein kreisch-pinker Regenschutz. Und die Wiese steht im Saft. „glanz&krawall“ ist diesmal eine Band. Die Nibelungen als Rockkonzert, Wotan als Oberrocker – die Rheintöchter erfahren eine leichte Persönlichkeitsveränderung.
Denn Wagner „zerhacken“ und was Eigenes draus machen, das ist die Devise. Und neue Freunde zum Mitmachen einladen. 2019 war Vanessa Stern mit von der Partie, letztes Jahr tripletrips und jetzt Theater Thikwa und Cora Frost. Frau Frost und das inklusive Kreuzberger Theater spielen unter dem Dach der ehemaligen Tankstelle. Ihr Plan ist folgender: Siegfried endlich und für immer vom Heldenmythos zu befreien. Die unsichtbaren Orden müssen runter! Hauptzutat beim Dekonstruieren: elektronische Musik.
„Berlin is not Am Ring“ beginnt heute und dauert drei volle Tage. Keiner wird dem anderen ähneln. Wiederholungen sind nicht wirklich eingeplant. Denn die BesucherInnen sollen am besten jeden Tag kommen. Teuer wird das nicht. Nicht für die, die wenig haben. Ab 7 Euro ist man und frau und divers mit dabei. Die Preise sind gestaffelt – abhängig vom Einkommen. „glanz&krawall“ positioniert sich und das Festival: „Wir möchten der Segregation im Live-Bereich entgegenwirken. Wer viel hat, zahlt bitte viel, wer wenig hat, zahlt wenig. Beide sehen das Gleiche. Das ist ein Versuch und wir sind auf eure Ehrlichkeit und Solidarität angewiesen.“
So bezieht sich das Festivalmotto „Berlin is not Am Ring“ eben nicht nur auf Wagners Ring, sondern explizit auch auf „Rock am Ring“ und ähnliche Festivals, deren Karten durch ein intransparentes Ticketingsystem enorm verteuert werden. Dieses Festival sieht sich als Gegenpol zu diesen Strukturen. Dafür wird es gefördert.
Dennis Depta und Marielle Sterra, künstlerische Leiter von „glanz&krawall“, sind poetisch veranlagt, denn sie begreifen das Gelände der ehemaligen Fahrbereitschaft als einen „Mini-Utopie-Ort“. Hier ist noch Raum für Experimente.
Rappen mit Richard
Einen nicht uninteressanten Clash der Kulturen wird es in der Wrestling-Arena geben, die vor Ort aufgebaut wird. Waschechte Lokalgrößen dieses Kraftsports steigen als Wotan oder Siegfried in die Arena, geben sich nichts, aber alles für den Ring. Stimmungsvoll begleitet werden sie von der Hardrock-Metal-Band Weinhardt. Fazit: Überall ist Musik. Gespielt wird fast immer gleichzeitig. Das klingt echt sportlich. Und dann rappt auch noch Black Cracker, Rapper und Lyriker, an der Tankstelle den Richard. Denn der New Yorker, der schon mit Coco Rosie, aber auch an der Deutschen Oper gearbeitet hat, geht ins Gericht mit den überkommenen Erwartungen an Wagners Musik. „Wir zählen uns nicht zum Theater“, sagt Sterra. „glanz&krawall“ geht es um die große Umarmung aller Künste, um das Miteinander von E und U. Das hat bei Wagner Volume 1 und 2 erhellend und charmant funktioniert. Es macht neugierig auf Volume 3. Hoffentlich nieselt es nicht, denn unter vier Stunden kommt man nicht raus – und das ist nur das Hauptprogramm! Verblüffend, spricht aber wieder mal für diese Stadt, dass aus einem streng abgeschotteten Ort ein ungezähmter und lässig bespielbarer Freiraum wird. Lasst ihn leben!
Berlin is not am Ring, Vol. 3: Der Ring des Nibelungen. 20.–22. August
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