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Machtübernahme in AfghanistanRetten, was zu retten ist

Gastkommentar von Mortaza Rahimi

Es war ein Fehler, den Taliban Afghanistan zu überlassen. Jetzt muss der Westen wenigstens Druck ausüben, um Minderheitenrechte zu sichern.

Arbeit in einer Eisfabrik – die Taliban sind zurück und für die Frauen verschärft sich die Situation Foto: Jalil Rezayee/epa-efe

D ie bittere Wahrheit, dass Afghanistan an die Taliban gefallen ist, hat mir als afghanischem Journalisten, der nach Todesdrohungen nach Deutschland geflohen ist, die letzten Tage zur Hölle gemacht.

Nach zwanzig Jahren Einsatz mit hohen finanziellen und menschlichen Kosten sind die USA und ihre Verbündeten in Afghanistan gegen eine unkontrollierbare Terrorgruppe gescheitert. Alle ­Hoffnungen, ein freies und demokratisches Afghanistan aufzubauen, wurden innerhalb weniger Stunden zunichtegemacht.

Warum und wie Afghanistan so schnell gefallen ist, ist eine Frage, die beantwortet werden muss. Klar ist, dass die Vereinigten Staaten von Beginn ihrer Präsenz in Afghanistan an Fehler gemacht haben, die zur aktuellen Situation geführt haben. Der Höhepunkt dieser Fehler waren Verhandlungen mit den Taliban und unzählige Zugeständnisse an diese Terrorgruppe. So erhielten die Taliban die Möglichkeit, eine politische und diplomatische Position in der Region einzunehmen, was zu ihrer erheblichen Unterstützung aus China, Russland und dem Iran führte.

Gleichzeitig hat die afghanische Regierung in der Region ihr Gesicht verloren. Unter dem Vorsitz von Ashraf Ghani hatte sie aufgrund ihrer Schwäche, fehlender politischer Legitimität und grassierender Korruption keine große Unterstützung in der Bevölkerung. Dies kann einer der Gründe sein, warum die afghanische Armee den Taliban nicht Widerstand leistete.

Mortaza Rahimi

Jahrgang 1991, musste seine Heimat Afghanistan Ende 2011 wegen Todesdrohungen der Taliban verlassen und lebt heute in Berlin. Er ist Journalist, Student und Aktivist.Er arbeitet als persischer Redakteur für das mehrsprachige Magazin kulturTür http://www.kulturtuer.net.

Es war ein großer Fehler, Afghanistan in einer solchen Situation zu verlassen. Die Lage im Land ist jetzt, nach Milliarden von Dollar an westlicher Finanzierung und Tausenden von Menschen­opfern, im Wesentlichen wie in den 1990er Jahren. Nur mit dem Unterschied, dass die Taliban damals noch eine unbekannte Gruppe waren. Heute wissen wir, dass sie eine Terrorgruppe sind, verantwortlich für die Tötung Tausender Afghanen und ausländischer Soldaten in den letzten zwanzig Jahren, und dass sie Kriegsverbrechen begehen. Von einer solchen Gruppe zu erwarten, dass sie sich selbst ändert, ist ziemlich naiv.

Die Rückkehr ausländischer Truppen nach Afghanistan ist jetzt leider unwahrscheinlicher denn je. Das Einzige, was die UNO, die USA, die EU und vor allem die Bundesregierung jetzt noch tun können, um ein paar Freiheiten und Errungenschaften am Hindukusch zu retten, ist, alle verfügbaren Druckmittel einzusetzen. Dazu gehört politischer und diplomatischer Druck, das Ende von Finanzhilfen und neue Sanktionen. Um die Taliban dazu zu bringen, sich zumindest an die Arbeits- und Bildungsrechte von Frauen zu halten und die Rechte von Minderheiten nicht zu verletzen.

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6 Kommentare

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  • Es gibt nur einen sinnvollen Schluss aus dem 20 Jahre langen Krieg: Man muss endlich aufhören, andere Länder zu unserem Gesellschaftssystem zu "missionieren". Funktioniert ja schon nicht wirklich bei unseren Nachbarn wie Polen oder Ungarn. Wie soll das dann nach einer militärischen Invasion in Afghanistan klappen?

  • Die Marionettenpräsis Karzai und Ghani konnten zu keiner Zeit die Afghanen überzeugen und betrieben ihre Korruptionswirtschaft. Darin liegt wohl der Hauptgrund der Rückkehr der Taliban. Dass nach Meinung des Autors Russland, China und Iran die Taliban unterstützen, bezweifele ich.

  • "Heute wissen wir, dass sie eine Terrorgruppe sind, verantwortlich für die Tötung Tausender Afghanen und ausländischer Soldaten in den letzten zwanzig Jahren, und dass sie Kriegsverbrechen begehen. Von einer solchen Gruppe zu erwarten, dass sie sich selbst ändert, ist ziemlich naiv."



    Man sollte bei dem Zitat noch mal extra erwähnen das hier die Taliban beschrieben werden.Denn solche Aussagen kann man auch über andere Kämpfer machen,bspw. die Streitkräfte der USA. Es macht schon einen Unterschied ob ein Land erobert oder ob es anschließend regiert wird. Natürlich werden die Taliban von ihrer Ideologie nicht abrücken und mit "strenger Hand" regieren. Von den im Land gebliebenen bekannten Talibangegnern werden wohl so einige getötet oder anderweitig bestraft werden.Da braucht man sich keine Illusionen machen. Aber die Taliban beginnen doch auch schon damit eine funktionierende Verwaltung aufzubauen.Im Iran ist nach der erfolgreichen Revolution ja auch nicht alle Ordnung zusammen gebrochen.



    Wirklich naiv ist zu glauben das "politischer und diplomatischer Druck, das Ende von Finanzhilfen und neue Sanktionen" irgendwelchen Einfluß haben könnten.Die Taliban stehen doch längst in Verhandlungen mit anderen Ländern wie China und brauchen den "Westen" nicht.Schlimmstenfalls können sie immer noch die angekündigte Einstellung des Mohnanbaus zurück nehmen und mit dem Exportartikel Nr.1(Heroin) Geld ran schaffen.



    Nebenbei: Wie steht es eigentlich mit den Arbeits- und Bildungsrechten von Frauen und den Rechten von Minderheiten in Saudi-Arabien?

  • Die Polizei und das Militär haben den Job offensichtlich nur ausgeführt, um ein gesichertes Einkommen zu haben. Ihn tatsächlich ausführen kam ihnen gar nicht in den Sinn, da sind sie lieber gerannt. Klar, wir hätten noch weitere 20 Jahre da bleiben können, aber das hätte nichts geändert. Dann hätten wir nur weitere Milliarden verpulvert, im wahrsten Sinne...

  • Wohlfeil. Da wurde jahrelang gegen den Auslandseinsatz der Bundeswehr Stimmung gemacht. Und nun das Erwachen.

  • 20 Jahre wurde der Rückzug gefordert nun muss mit eden Konsequenzen gelebt werden!