Die Wochenvorschau für Berlin: Halt dich an deiner Liebe fest
Rio Reiser ist seit 25 Jahren tot, der Flughafen Tegel darf nur kurz wiederauferstehen – es lebe also die Neue Nationalgalerie!
Von einer Leidenschaft für die repräsentative Demokratie ist in der Popmusik eher nicht zu sprechen. Zumindest ist sie kein Gegenstand in den Liedern, oder hat schon mal jemand die unser aller Leben doch recht prägenden Begriffe wie Erst- oder Zweitstimme irgendwo in einem Song gehört? Von so auch lyrisch herausfordernden Zählmaßnahmen wie das D’Hondt-Verfahren ganz zu schweigen, die die repräsentative Demokratie erst möglich machen. Mit D’Hondt wurde in Deutschland nämlich, wie man sicherlich weiß, bis 1985 die Sitzverteilung im Bundestag errechnet. Es wurde durch das Hare-Niemeyer-Verfahren ersetzt, das wiederum 2008 vom Sainte-Laguë-Verfahren abgelöst wurde.
Und das wäre doch mal ein schönes Lied, das den rechten Reim auf Sainte-Laguë fände.
Dass aber das Verfahren zur Anwendung kommen kann, dafür muss erst wieder gewählt werden. Und damit geht es diese Woche wirklich los, weil am Montag mit dem Druck und der Versendung der 2,8 Millionen Wahlbenachrichtigungen für die Wahlberechtigten der Wahlen zum Deutschen Bundestag, zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen sowie für den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ begonnen wird.
Aber Demokratie ist halt immer auch irgendwie kompromisslerisch. Das kann dauern, bis man zu Entscheidungen kommt, flott geht anders. Nie hat man es mit einer so nonchalant hingeschnodderten Entscheidungskompetenz – „die Socken und die Autos dürften nicht mehr stinken/ Ich würd' jeden Morgen erst mal ein Glas Schampus trinken“ – zu tun, mit der Rio Reiser regieren täte, wenn er eben „König von Deutschland“ wär'.
Er ist tot
Und an den König huldigenden Respektserweisungen gegenüber dem Ton-Steine-Scherben-Sänger, der einer der wenigen wirklichen Rockstars war, die sich Deutschland bis dato gegönnt hat, fehlt es ja nicht. Was Rio Reiser von dem allen halten würde, weiß man nicht. Er ist ja tot.
Anfang August hatte der Senat jedenfalls beschlossen, seine Grabstätte auf dem Alten Sankt-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg für zunächst 20 Jahre als Ehrengrabstätte des Landes Berlin anzuerkennen. Und auch die Umbenennung des Heinrichplatzes an der Oranienstraße in Rio-Reiser-Platz, die nach Anwohner-Widersprüchen vorerst verschoben werden musste, soll nun voraussichtlich bis Anfang 2022 stattfinden können. Die entsprechenden Schilder, wurde dieser Tage aus dem zuständigen Bezirksamt gemeldet, gebe es schon.
Am Freitag ist es 25 Jahre her, dass Rio Reiser gestorben ist. Am Sonntag um 14 Uhr findet auf dem Alten Sankt-Matthäus Kirchhof eine Gedenkveranstaltung statt.
Und noch ein Wiedersehen
Ein Abschied: Noch einmal den Flughafen Tegel in Betrieb erleben, das darf man ab Freitag. Wobei da natürlich keine Flieger mehr landen oder abheben werden, so ein Lärm muss auch gar nicht sein. Aber immerhin ist die TXL-Beschallungsanlage angeknipst beim Klangkunstfestival Sonamabiente Berlin TXL, bei dem bis 5. September Beiträge von unter anderem Blixa Bargeld und Laurie Anderson entdeckt werden dürfen.
Ein Wiedersehen: Sechs Jahre waren die Türen wegen der umfassenden Sanierung zu. Jetzt ist sie wieder mit Kunst bespielt: die Neue Nationalgalerie wiedereröffnet am Sonntag mit drei Ausstellungen. Und Rio, ewig mit Rat: „Wenn der Novemberwind deine Hoffnung verweht/ Und du bist so müde, weil du nicht mehr weißt, wie's weitergeht/ Wenn dein kaltes Bett dich nicht schlafen lässt…“
Dann muss es so sein: „Halt dich an deiner Liebe fest/ Halt dich an deiner Liebe fest.“
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