Fotograf Günter Zint übers Alter: „Meine Fotos sind mein Grabstein“
Günter Zint ist Chronist von St. Pauli und hat auch als 80-Jähriger noch viel vor. Ein Gespräch über Alten-WGs, Handy-Fotos und Lebensverdienste.
Günter Zint holt mich in Stade vom Bahnhof ab. Kaum bin ich eingestiegen, plaudert er schon: über das Dorf, in dem er jetzt lebt; über seinen Nachbarn Stefan Aust, der in der Gegend Pferde züchtet und der neulich so abfällig über Greta Thunberg hergezogen habe. Dann sagt er: „Wenn ich dir einen Rat geben kann, wie man etwas erreicht: Immer die Leute duzen! Auf Augenhöhe! Wenn sie sich als anstrengend oder unangenehm erweisen, kann man sie immer noch siezen.“
taz: Du bist jüngst 80 Jahre alt geworden. Ist das nur eine Zahl oder ist es mehr?
Günter Zint: Das ist viel mehr! Vielleicht ist es Zufall, aber seit diesem Jahr habe ich Probleme mit der Gesundheit. An der rechten Hand sind drei Finger steif, ich kann keine schwere Kamera mehr tragen. Aber wollen wir jetzt anfangen, uns über Krankheiten zu unterhalten?
Wie ist es denn im Kopf – mit 80?
Das ist ja das Tragische, dass es im Kopf meistens noch gut geht. Ich kenne einige gute Freunde und Kollegen, die körperlich schlimmer dran sind als ich. Ich selbst bin gerade dabei, zwei Bücher und einen Film gleichzeitig zu machen, bei zwei anderen Filmprojekten bin ich als Berater dabei – das ist alles Gnade der frühen Geburt, um mit einem unserem Ex-Kanzler zu reden.
Was ist die Gnade?
Na, so früh geboren zu sein. Ich muss zugeben: Ich lebe von den Sechziger-Jahren; Fotos, die ich heute mache, kann ich so gut wie gar nicht verkaufen. Was bei mir mit Abstand am besten läuft, sind Aufnahmen von Jimi Hendrix, dann kommen mit ziemlichem Abstand die Beatles, dann die Doors und noch mal mit Abstand zum Schluss Zappa, mit Z, wo er auch hingehört. Ich hatte eben die Möglichkeit, diese Leute zu treffen, bevor sie berühmt wurden.
Wie bist Du überhaupt in die Musikszene gekommen?
80, wuchs in Fulda auf, volontierte als Fotoreporter bei der Deutschen Presseagentur, floh vor dem Wehrdienst nach Stockholm, war danach für den Spiegel unterwegs. Er gründete die Agentur Panfoto, 1968 die St.-Pauli-Nachrichten. Später folgte sein Sankt-Pauli-Museum, das er in der Pandemie schließen musste. Im November zeigt der Stader Schwedenspeicher die Ausstellung „Das SANKT PAULI MUSEUM im Exil“.
Meine damalige Frau, mit der ich wieder zusammen bin, hat zusammen mit Spencer Davis in Berlin Germanistik studiert. Der hat mir damals gesagt: „Du bist doch oft in Hamburg, geh mal in die Große Freiheit, da sind Kumpels von mir, die machen da Musik.“ Und das war im Star Club, und so bin ich in die Szene hineingeraten, 1963, 1964.
Du hast Dich neulich bei Facebook beschwert, dass Du immer nur als der Beatles-Fotograf gesehen wirst.
Ja, das nervt …
…und dass Du dich eigentlich als politischen Fotografen verstehst …
Die Beatles waren nur eine ganz kurze Phase. Später bin ich aus der Musikfotografie völlig raus, denn die großen Plattenfirmen haben mir das Arbeiten vorgegeben: Layout war die Plattenhülle, dazu passend sollten sich die Leute positionieren mit Klamotten von der Firma so-und-so, von links kam die Windmaschine, und ich sollte nur noch auf den Auslöser drücken. Aber das ist nicht mein Ding, ich klaue lieber meine Bilder am Wegesrand. Meine Bedeutung auf dem Sektor der Anti-AKW-Bewegung ist nicht ohne. Ich sage mit meiner großen Bescheidenheit: Dass Brokdorf Ende des Jahres abgeschaltet wird, ist mein Verdienst.
Aha …
Okay – mein Fotobuch „Gegen den Atomstaat“ mit 300 Bildern habe ich eine Million Mal verkauft. Das geht heute nicht mehr. Ich habe mein Buch „Zintstoff 2“ mit 5.000 Stück aufgelegt und bin froh, wenn die Auflage nächstes Jahr verkauft ist.
Als Du jung warst, hattest Du da eine Idee, wie es sein könnte, 80 Jahre alt zu sein?
Natürlich. Ich habe ja immer viel mit alten Leuten zu tun gehabt. Ich habe schon früh mit meiner langjährigen Geschäftsführerin verabredet: „Wenn wir mal alt sind, machen wir eine Alten-WG.“ Und so leben wir jetzt hier draußen auf dem Land auf einem Grundstück mit vier Häusern und drei Wohnwägen. Das war vorausschauend. Dass ich mal alt werde, habe ich befürchtet.
Also hast du keine Angst vor dem Alter gehabt?
Ich habe mit Günter Wallraff in den Sechzigern zusammengewohnt. Immer, wenn er in Hamburg gearbeitet hat, damals bei der Konkret, hat er bei uns in der Apo-Press-Kommune auf St. Pauli gewohnt, wo auch Ulrike Meinhof wohnte und eine Menge anderer Leute, wie der heutige Berufszyniker Henryk M. Broder. Jedenfalls haben wir uns mal über das Altwerden unterhalten, und da haben wir gesagt: „Wir werden uns jetzt hier gegenseitig versprechen, dass wir uns umbringen, bevor wir 70 werden.“
Oha!
Das Alter wollten wir nicht genießen! Es ist auch schon wieder ein paar Jahre her, da rief mich Wallraff an und sagte: „So Günter, wir müssen uns jetzt umbringen, ich werde nächsten Monat 70.“ Ich sagte: „Jetzt hast Du die Arschkarte gezogen, Du musst Dich allein umbringen, denn ich bin schon 72.“ Er hat sich dann nicht umgebracht, und ich habe ihm zum Geburtstag eine Karte geschickt: „Lieber Günter, du bist ja wortbrüchig geworden, aber ich bin sehr froh darüber.“
Wie geht es Dir mit dem Wandel in der Fotografie?
Es geht mir besser, als ich es geahnt hatte. Diese Handys habe ich anfangs gehasst. Mittlerweile fotografiere ich mit einem Huawei P40, das Ding ist so genial, so unglaublich: Ich fotografiere nachts auf der Reeperbahn, ohne Blitz; ich fotografiere im Elbschlosskeller und keiner merkt was davon. Das hätte ich gerne gehabt, als ich mit Wallraff gearbeitet habe.
Weil das Fotografieren so unauffällig ist?
Unauffällig – und vor allem bist du mit so einem Ding ein depperter Tourist. Wenn du nämlich als Berufsfotograf erkannt wirst, nehmen die Leute alle Haltung an und mimen was, was es nicht gibt. Mir ist es immer sehr genehm, wenn man mich nicht als Profi erkennt und dafür ist das Handy natürlich ideal.
Und die Nächte in der Dunkelkammer?
Die fehlen mir manchmal. Obwohl: Ich muss diese Woche einen ganzen Tag in die Dunkelkammer, habe schon Chemie angerührt, weil es Sammler gibt, die wollen keine Kunststoffausdrucke, die wollen Abzüge auf Barytpapier, auf Silber-Galantine, und ich habe da noch einen Zentner ORWO-Papiere liegen. Ins Labor zu gehen, war früher ein Privileg: Niemand störte mich, ich habe da mein Radio gehabt und die Tür war von innen zu.
Du hast einen Instagram-Account, da ist ein einziges Foto gepostet, aber es gibt 670 Leute, die dir folgen …
Das macht meine Tochter. Ich bin auch nur bei Facebook, weil meine Tochter das eingerichtet hat. Eigentlich hasse ich das alles. Nur meine Tochter, die eine Firma in Berlin hat, hat gesagt: „Auch wenn Du das für Dich nicht willst, für das Museum ist das wichtig.“
Apropos Tochter: Helfen Kinder beim Altwerden?
Aber ja! Ich habe fünf Kinder und vier Enkel, und dieses Jahr werden noch zwei Enkel dazukommen. Wenn ich die nicht hätte, würde wirklich was fehlen.
Du bist dabei, Deinen Bilderschatz und den Bestand des Sankt-Pauli-Museums einer Stiftung zu übergeben. Alles?
Alles! Alles gehört dann der Stiftung. Nur einige private Sachen, die nicht in die Öffentlichkeit sollen, sortiere ich aus. Der Stiftungsvater ist Andreas Heller. Dessen Architekturbüro macht nichts anderes, als in ganz Deutschland und Europa Kongresszentren und Museen zu bauen. Der liebt mein Museum und hat mir gesagt: „Dein Museum wird nicht sterben“, als ich wegen Corona schließen und die Räume aufgeben musste.
War es leicht, es abzugeben?
Ich habe zu meinen Kindern gesagt: „Wenn ich mal tot bin, wehe, ihr macht eine Beerdigung mit schwarzen Klamotten!“ Ich will anonym bestattet werden so wie der Fotograf Germin, der hier in der Nähe gelebt hat. Meinetwegen in einem Friedwald, wenn sie das gut finden – aber: Meine Fotos sind mein Grabstein!
Woher hast Du Deine Energie?
Keine Ahnung. Früher stand in allen meinen Zeugnissen: „Günter stört häufig den Unterricht“. Oder: „Günter ist vorlaut“.
War da was dran?
Ich war der Klassenclown. Darunter habe ich nicht gelitten, im Gegenteil: Ich habe jeden Blödsinn mitgemacht und mich gefreut, wenn alle über mich gelacht haben. Ich erinnere mich noch: Doktor Berge, mein Klassenlehrer, der hat uns mal die Aufgabe gegeben, uns vorzustellen, was wir in der Zukunft machen werden. Ich habe natürlich gesagt: „Oh, ich will die Welt sehen, will mit der Kamera um die Welt reisen.“ Da sagte er zu mir: „Steig mal auf den Stuhl“ – und ich, der für jeden Blödsinn zu haben war, steige auf den Stuhl. Dann sagte er: „Steig mal auf den Tisch.“ Also steige ich auf den Tisch. Da sagte er zu meinen Mitschülern: „So, jetzt guckt ihn euch alle gut an, den Großwildjäger mit der Kamera! Der bald eine Riesenkarriere macht.“ So hat er sich über mich lustig gemacht.
Und trotzdem ist es so gekommen.
Ich war 1967 als Reporter im Sechs-Tage-Krieg, da war er noch im Schuldienst. Ich habe ihm geschrieben: „Lieber Doktor Berge, ich bin zwar nicht Großwildjäger mit der Kamera für Tiere geworden, sondern eher für Menschen; bin gerade für das Magazin Der Spiegel in Israel und grüße Sie.“
Hat er geantwortet?
Keine Antwort, keine Reaktion. Ich hoffe, er hat sich wenigstens ein bisschen geschämt.
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