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Surfen am OlympiastrandTränen am Beachi

Leon Glatzer scheidet am ersten Tag der Surfpremiere am Strand von Tsurigasaki aus. Parallel präsentieren sich Japans Wellenreiter in Topform.

Äquilibristik auf dem Wellenkamm: der Surfer Leon Glatzer im Pazifik Foto: Francisco Seco/dpa

Am Ende mischen sich Wasser und Tränen auf Leon Glatzers Gesicht. Ein Deutscher unter den besten 20 Surfern der Welt, Teil des exklusiven Zirkels, der die Sportart bei ihrer Olympia­premiere in Tokio vertreten darf, das war ja an sich schon sensationell. Aber da er nun mal hier war, wollte der 24-Jährige auch brillieren. Er kämpfte verbissen um jede Welle, und doch reichte es am Sonntag am Tsurigasaki Surfing Beach nicht. Mit jeweils nur Zehntelpunkten Rückstand sowohl in der ersten als auch in der zweiten Runde des Wettbewerbs schied Glatzer aus.

„Das ist sehr traurig“, sagt er, „ich habe so viel gearbeitet, das ganze deutsche Team ist mit mir hier, alle meine Freunde und meine Familie, die haben mir so viel Energie gegeben.“ Auf Instagram habe er jede Menge neuer Fans, „ich bekomme so coole Nachrichten, ich wollte hier für mich und alle eine gute Leistung zeigen“.

Am Morgen des Debüttages blickte manch einer noch sehnsüchtig hinaus auf den Pazifik. Irgendwo da draußen stürmt ein Taifun vor sich hin, den Olympiamachern bereitet sein Weg in Richtung Tokio Sorgen. Doch die Surfer wünschten sich die Vorboten des Wirbelsturms herbei: Wellen. Schöne, hohe, kräftige Wellen, um der Welt im olympischen Rampenlicht ein bisschen Spektakel zu bieten.

Medaillen am Mittwoch

Zunächst musste jedoch ganz schön geruckelt werden auf den Brettern, um sie in Schwung zu bringen. Die Wellen gaben nicht so richtig viel her, vor allem recht großen Surfern wie dem 1,83 Meter großen Glatzer bereitete das Probleme. 20 Männer und 20 Frauen waren für die olympische Surfpremiere qualifiziert, maximal zwei Athleten pro Nation. Jeweils 16 gehen nun am Montag in die dritte Runde, Viertel- und Halbfinale findet am Dienstag statt, Mittwoch geht’s um die Medaillen.

Es war ein schöner Tag am Tsu­ri­ga­saki Surfing Beach. „Surfing Beachi“, sagen die japanischen Volunteers, die ausländischen Gästen den Weg weisen. Blauer Himmel mit dicken, weißen Schäfchenwolken, Sonne, dazu ein leichter Wind und feiner dunkler Sand zwischen den Zehen. Im Hintergrund grüne Buckel, das Boso-Hügelland der Präfektur Chiba. Der olympische Hotspot der Surfer liegt rund 60 Kilometer südöstlich der Hauptstadt, der Bus braucht aus Tokios Innenstadt anderthalb Stunden bis hierher.

Die Gegend zu erkunden, erlauben die strengen Coronaauflagen nicht. So fällt der Blick sehnsüchtig durch die Fensterscheiben des Busses auf beschauliche bunte Häuschen, einladend wirkende Cafés und bunte Surfgeschäfte. So nah an der Metropole Tokio, und doch der Gegenentwurf zum betonierten Hochhaus­dschungel. Der Wettkampfbereich am Strand ist abgesperrt, aber rechts und links tummeln sich die einheimischen Surfer im Wasser. Kleine, fröhlich tanzende Punkte, die erahnen lassen, was hier hätte los sein können ohne Pandemie.

Party war gestern

Surfen gehört wie Skateboarden, Klettern oder 3x3-Basketball zu den hippen Sportarten, die neu sind im olympischen Programm. Mit denen das IOC um Anhänger in der jungen Generation wirbt. Und wer glaubt, die coolen Surfprofis könnten es irgendwie doof finden, sich den gestrengen Statuten der Ringeorganisation zu unterwerfen, der täuscht sich. Unisono beteuern sie ihre Begeisterung.

Viele sagen, sie fühlten sich endlich als „echte Athleten“ wahrgenommen und akzeptiert, und nicht länger als partymachendes Strandvolk abgestempelt, das nebenbei ein bisschen auf seinen Brettern steht. Italo Ferreira, Topfavorit aus Brasilien und mit seinen 13,67 Punkten aus der ersten Runde Tagesbester, sagte: „Hier zu sein, ist ein Traum für mich. Wir schreiben Surfgeschichte und ich bin glücklich, ein Teil davon zu ein.“

Die Brasilianer haben zuletzt im Surfsport den Amerikanern ihre Vormachtstellung abgenommen. Der legendäre Kelly Slater, 49 Jahre alt, hat sich nicht für die Spiele qualifiziert. Kolohe Andino und John John Florence vertreten die USA in Tokio. In Runde eins meldeten aber nicht sie Ansprüche an, die Brasilianer zu ärgern, sondern die Japaner. Kanoa Igarashi drängte sich mit 12,77 Punkten zwischen Ferreira und seinen Landsmann Gabriel Medina (12,23). Und auch Hiroto Ohhara zog mit 11,40 Punkten problemlos direkt in die dritte Runde ein.

Olympia im eigenen Land ist eine gewichtige Motivation, den Leistungsstand nach oben zu schrauben. Die Japaner haben 2016 ähnlich wie die Deutschen ein bisschen an ihren Surfstrukturen geschraubt. Sie holten den Südafrikaner Wade Sharp als Nationaltrainer. Er hat vorher mit den Surfern aus Costa Rica gearbeitet und reihenweise Medaillen mit seinen Athleten eingesammelt, weshalb Martin Walz, der Sportpsychologe des deutschen Teams, Sharp als „Pep Guardiola des Surfens“ bezeichnet.

Der „Surfing Beachi“ der Japaner wird sich kaum zum Highlight der internationalen Surfszene entwickeln, auch wenn die Wellen am Nachmittag besser werden und noch immer alle hoffen, dass der Taifun am Montag so richtig Spektakel heranspült. Aber Kanoa Igarashi ist trotzdem sehr angetan davon, was Olympia geschafft hat: „Jeden Tag, wenn ich aufwache, kneife ich mich.

Aber es scheint alles real zu sein.“ Sein Vater hat als Kind an diesem Strand das Surfen gelernt. Mitte der 1990er Jahre zog er nach Kalifornien, weil er seiner Familie ein besseres Surfumfeld bieten wollte. Nun ist der Sohn zurück, um nach einer olympischen Medaille zu greifen, und sagt: „Hier gab es immer nur eine unbefestigte Straße, und plötzlich haben wir hier unser eigenes Olympisches Dorf für Surfer.“

Als Leon Glatzers Tränen getrocknet sind, kommt auch seine Begeisterung zurück. In der zweiten Runde lag er am Ende nur knapp hinter dem Australier Julian Wilson, zwischenzeitlich hatte er sich sogar vor ihn geschoben. „Er ist einer meiner Heroes“, sagt Glatzer, „mein ganzes Leben habe ich Videos von ihm gesehen, von ihm habe ich gelernt.“ Und nun hätte er den 32-Jährigen beinahe aus dem olympischen Wettbewerb geworfen.

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