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Vorstoß der Grünen-SpitzenkandidatinBreite Kritik an Jarasch-Projekt

Jenseits der Grünen dominiert Ablehnung für einen Mietenschutzschirm. Die Linkspartei kritisiert vor allem Jaraschs Auslegung des Volksentscheids.

Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch steht mit ihrem Mietenschutzschirm weitgehend allein da Foto: dpa

Berlin taz | Für die einen zu wenig, für die anderen zu viel: Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch steht mit ihrem am Mittwoch vorgestellten „Mietenschutzschirm“ weithin allein da. Lob kommt bloß von der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ – aber nur, weil Jarasch ankündigte, beim Enteignungsvolksentscheid am 26. September „Ja“ anzukreuzen. Der Wohnungsverband BBU sieht zwar ein Gesprächsangebot vor. „Aber es ist schade, dass dieses Angebot mit einer Drohung verbunden ist“, sagte BBU-Sprecher David Eberhart der taz.

Jarasch hatte am Mittwoch Wohnungseigentümer aufgefordert, sich als Vermieter dem Gemeinwohl zu verpflichten und dafür eine Reihe von Bedingungen zu erfüllen, etwa fünf Jahre auf Mieterhöhungen zu verzichten. Ziel ist, dass so 50 Prozent aller Mietwohnungen entweder in Landeshand sind oder als gemeinwohlorientiert gelten. Klappt das nicht, will Jarasch als Regierungschefin zu Enteignungen greifen, für die Grünen eine „ultima ratio“, ein letztes Mittel.

Wenn ihr Mietenschutzschirm steht, gibt es laut Jarasch keine Enteignungen, auch wenn der Volksentscheid erfolgreich ist. Nach dem Verständnis der Grünen-Spitzenkandidatin ergebe sich daraus keine Pflicht zu einem Gesetz, sondern bloß der Appell: „Handle und ergreife die geeigneten Maßnahmen!“

Dem aber widersprach für die Enteignungsinitiative Rouzbeh Taheri. „Wenn wir Erfolg haben, wird es ein Vergesellschaftungsgesetz geben“, sagte er der taz. Im Grundgesetz Artikel 15, auf den sich der Abstimmungstext für den 26. September bezieht, stehe nämlich nur eine Maßnahme: Vergesellschaftung.

So sieht das auch Michael Efler vom Koalitionspartner Linkspartei, lange Vorsitzender des Vereins Mehr Demokratie. „Die Grünen offenbaren gerade ein merkwürdiges Verständnis von direkter Demokratie“, twitterte er. Nicht für einen „unverbindlichen Mietenschutzschirm“ hätten beim Volksbegehren Hunderttausende Menschen unterschrieben, „sondern für Vergesellschaftung“.

SPD: Grüne müssen sich positionieren

Die SPD als dritter Koalitionspartner sieht Halbherzigkeit. Es reiche nicht, wenn Jarasch sich nun persönlich auf eine Ja-Stimme festlegte – „sie müsste dann auch sagen, wie die Grünen insgesamt dazu stehen“, sagte SPD-Bauexpertin Iris Spranger der taz. Für sie passt es nicht zusammen, beim Volksentscheid mit Ja zu stimmen und zugleich mit dem Mietenschutzschirm – aus Sprangers Sicht wie die SPD – alle Akteure der Wohnungswirtschaft an einen Tisch holen zu wollen.

Jarasch hatte am Mittwoch gesagt, man überlasse es den Parteimitgliedern, sich zu entscheiden. So soll es auch nach ihrer persönlichen Festlegung bleiben. Linkspartei und SPD hingegen haben sich längst positioniert: Die eine für, die andere gegen Enteignung.

CDU und FDP hatten sich noch weit klarer als die SPD gegen Enteignungen ausgesprochen und bekräftigten das nun. CDU-Generalsekretär Stefan Evers bezeichnete die Grünen als „sozialistische Partei mit Biosiegel“. Christian Gräff, Bauexperte der CDU-Fraktion, warf ihnen vor, für das Wohnungsproblem mitverantwortlich zu sein. „Wenn Frau Jarasch meint, knapp zwei Monate vor der Wahl Mieter mit einem Schutzschirm auch vor den Folgen ihrer falschen Wohnungspolitik schützen zu müssen, erscheint das absurd“, sagte er. Der FDP-Abgeordnete Stefan Förster meinte, mit einem „Mietenschutzschirm“ werde man das Ziel von jährlich über 20.000 neuen Wohnungen nicht erreichen – er fordert stattdessen eine „mietensenkende Neubau-Offensive“.

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3 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Solange die grüne Verkehrssenatorin ihre Tagträume den Berlinern zumutet, ist für mich die Grüne Partei tabu!

  • Zu den Grünen / Jarasch:



    Wieso legt sie sich auf eine Quote von 50% fest? Wieso sollen Enteignungen überhaupt notwendig sein?

    Zu dwenteignen / Taheri:



    Ein Gesetz ist keine zwingende Folge eines Volksentscheids. Das ist nicht so kompliziert und sollte er eigentlich langsam verstanden haben.

    Zu den Linken / Eifler:



    seit wann wird direkte Demokratie gelebt? Ich erinnere mich gut an den Flughafen Tegel, der immer wieder breit getreten wird, und bei dem die Linke sich gegen den Volkswillen stellt. Im übrigen gibt es neben dieser "direkten Demokratie" auch Verfassungsgesetze und überstaatliches Recht, welche beachtet werden sollten, was in Berlin nicht immer der Fall ist.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Man muss den Miethaien den Teppich unter den Füßen wegreißen, ohne wenn und aber!



    Wo soll das sonst hinführen?



    Es gab sogar schon mal die Idee, die Luftqualität als Steuerkriterium zu verwenden. FDP? Heute würde man das dann wohl "das gute Luftgesetz" nennen.

    Andere absurde Vorschläge sind vorstellbar, wenn wir uns nicht wehren.



    Als einzelner Mieter gegen einen milliardenschweren Wohnkonzern anzutreten, ist völlig aussichtslos. Die haben Heerscharen von windigen Anwälten beschäftigt. Für die existieren keine Menschen, nur Sachen, die man benutzen kann.



    Ich mache gerade Bekanntschaft mit diesen feinen Damen/Herren. Widerlich!