: Verlorene Liebe
Nach der arroganten WM-Kampagne wollte der DFB nahbarer werden. Aber daraus wurde nichts. Teile der Basis in München lässt das Uefa-Spektakel der Männer-EM längst kalt
Aus München Andreas Rüttenauer
Der Regenbogen ist dann doch noch zur Arena in München gekommen. Stolz verkündete der FC Bayern München am Samstag, dass sein Stadion zum Christopher Street Day in den Farben der LGBTQI-Community leuchten werde. In der Pressemitteilung des Klubs dazu wird Klub-Präsident Herbert Hainer zitiert: „Der FC Bayern möchte einmal mehr ein Zeichen aussenden, dass er für Weltoffenheit und Vielfalt steht.“ Ein anderes Zeichen tragen Trainer und Spieler auf ihren Ärmeln. Julian Nagelsmann sitzt in einer roten Trainingsjacke da, als er erste Fragen zu seinem neuen Arbeitgeber beantwortet. Das Sponsoren-Logo von Qatar Airways ist nicht zu übersehen.
Es sind diese Widersprüche, die ein Bayernfan wie Alexander Fischer auszuhalten hat. Er engagiert sich im Club Nr. 12. Der hatte sich einst gegründet, um große Choreografien im Stadion zu koordinieren. Über die Jahre ist er zu einer Art Dachorganisation für Fanklubs des FC Bayern geworden. Und aus der Showtruppe von einst ist eine Ansammlung kritischer Fans geworden. „Man kann schon sagen, dass wir uns politisiert haben“, sagt Fischer. Statt offiziös wirkende Choreografien zu organisieren, geht es immer häufiger darum, Transparente ins Stadion einzuschleusen, mit denen Kritik am Klub und an den Verbänden geübt wird. Was Fischer antreibt, ist der Einsatz für einen „werteorientierten Fußball“, wie er das nennt.
Für die Europameisterschaft hat er sich nicht sonderlich interessiert. Wenn das Wetter schlecht war und er zu Hause saß, dann habe er auch mal ein EM-Spiel verfolgt. Sonst habe ihn das Uefa-Spektakel kaltgelassen. Es sei ja auch kaum auszuhalten gewesen, was da geschehen sei. Der Zusammenbruch von Christian Eriksen, dessen Leiden die Uefa-Kameras unbedingt haben einfangen wollen, die Fortsetzung des Spiels und die Behauptung, es seien Dänemarks Kicker selbst gewesen, die es so gewollt hätten, und dann die ganze Regenbogensache. Es sei zum Schämen, meint er und verweist auf den Vertreter des DFB bei der Uefa. Von Rainer Koch, dem Interimspräsidenten des deutschen Verbands, habe man nichts Substanzielles dazu gehört. Auch Ulla Hoppen fällt nichts Gutes ein, als das Gespräch auf Rainer Koch kommt. Funktionäre wie er, von denen niemand weiß, wofür sie außer sich selbst eigentlich stehen, haben ihr die Lust auf den Fußball verhagelt. „Ich mag gar nicht mehr hinschauen“, sagt sie. „Ich habe keine Lust mehr.“ Ja, auf Sechzig freue sie sich schon, mal wieder im Stadion den Schal hochhalten, das fehle ihr nach den Pandemiemonaten. Aber ihre grundsätzliche Fußballbegeisterung, die hat sie verloren über all dem, was gerne als „moderner Fußball“ bezeichnet wird.
Alexander Fischer, Bayernfan
Ulla Hoppen war jahrelang das Gesicht der „Löwenfans gegen rechts“. Wenn sich die Nazis, die immer wieder die Nähe zum TSV 1860 suchen, in den Kurven breit machen wollten, war sie da und hat Flagge gezeigt. Oft und oftmals vergeblich hat sie den Klub bearbeitet, sich doch endlich gegen rechts zu positionieren. Im ewigen Kampf gegen den Einfluss des jordanischen Investors Hasan Ismaik hat sie die Mitglieder hinter einen Antrag geschart, der das Ende der Zusammenarbeit mit dem Jordanier besiegeln sollte. Und die ewigen Auseinandersetzungen mit den Ultras der „Cosa Nostra“, die sich mit Nachdruck geweigert haben, Politik in die Kurve zu tragen, haben sie nicht zermürben können. Aber diese fortschreitende Kommerzialisierung, dieses Immer-mehr, das hat sie von ihrem Sport entfremdet. Mit der Uefa-EM kann sie nichts anfangen. Mit der Uefa sowieso nicht und der DFB sei eh unter aller Kanone. Dessen Nationalmannschaft hat auch treue Fans. Ihr „FanClub Nationalmannschaft powered by Coca Cola“ ist so eine Art Kundenbindungsportal, bei dem Treuepunkte vergeben werden. Mit echter Fanbetreuung hat das nichts zu tun. Die leisten bei den großen Turnieren die Fanbotschaften. Sie werden von der Koordinierungsstelle Fanprojekte (Kos) organisiert. Die meisten Fans wissen das Angebot zu schätzen. Die Fanbotschaft gibt zu jedem Spiel eine Art Programmheft mit Reiseführer für die jeweilige Stadt heraus. Auch in München, zu den Gruppenspielen der Deutschen, haben die Fanprojektmitarbeiter einen Stand aufgebaut.
Der Verband hatte seinen Fans Nahbarkeit versprochen, nachdem die WM-Kampagne 2018 mit all ihrer Arroganz krachend gescheitert war. Aus den Versprechungen ist nicht viel geworden. Mehr als ein paar Sitzungen und ein öffentliches Training hat es nicht gegeben. Um die Fans könne man sich gar nicht kümmern, meint Gerd Wagner. Der Verband sei mit sich selbst beschäftigt. „Was will man auch machen, wenn man jeden Tag befürchten muss, dass die Steuerfahndung vor der Tür steht“, sagt er. Ein intensiveres Verhältnis zu den Fans sei jedenfalls nicht zustande gekommen. Ein Trikot mit dem Adler dürfen die Kunden des DFB kaufen, viel mehr bekommen sie nicht. Bayernfan Fischer ist Anhänger eines Klubs, der wie kein zweiter für die Kommerzialisierung steht. Er beobachtet die Reise des Fußballs in die Welt des Investmentbankings, wie sie sich rund um die gescheiterte Gründung einer Super League in Europa angedeutet hat. Er sieht diese Entwicklung mit Skepsis. Passt das? Warum nicht. Der FC Bayern sei ihm so wichtig, dass er sich für das Gute im Klub engagiere. Gerade beim Thema Katar hat der Club Nr. 12 immer wieder sein Engagement gezeigt, hat Veranstaltungen organisiert mit Bauarbeitern, die von den Zuständen an den WM-Baustellen berichtet haben. Immer wieder gibt es im Stadion Transparente, in denen der FC Bayern an seine Werteverprechungen erinnert wird. „Den Bayernfan aus Japan werden wir sicher nicht damit erreichen“, sagt er. „Auch nicht denjenigen, der dann FC-Bayern-Fan wird, wenn Cristiano Ronaldo zu den Roten wechseln würde.“ Und doch ist er sich sicher, dass das Engagement der Fans dem Fußball als Ganzes gut täte. „Es ist eine Sättigung erreicht“, sagt er. Als die Bayern das letzte Mal unter Normalbedingungen in Berlin bei Hertha gespielt haben, sei das Spiel nicht ausverkauft gewesen, erinnert er sich. Er meint: „Wenn der Fußball so weitermacht, dann tötet er sich selbst.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen