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Georg Pazderski und der gemäßigte KursVom Landeschef zum Hinterbänkler

Am Fraktionschef der AfD Berlin lässt sich ablesen, wie das gemäßigte Lager an Boden verliert. Pazderskis Widerstand gegen den Flügel scheiterte.

In der zweiten Reihe heißt bei der AfD zwischen Querdenkern: Georg Pazderski beim Parteitag im Juni Foto: dpa/Christoph Soeder

Berlin taz | Hinter den Kulissen hat Georg Pazderski sich vielleicht bereits verabschiedet. In einem Chat schrieb er, wohl leicht resigniert: „Ich stelle nahezu täglich fest, wie sich diese Partei immer weiter von ihren Idealen entfernt. Ich habe nicht 41 Jahre diesem Land gedient, um jetzt mit Neonazis, die es in ihrem Leben zu nichts oder wenig gebracht haben, Seit’ an Seit’ zu marschieren.“ Den Auszug haben zwei AfD-Aussteiger in dem Buch „Im Bann der AfD“ veröffentlicht. Die Autoren haben dafür zusammen mit einem Stern-Redakteur Chats ab März 2020 unter anderem aus der Telegram-Gruppe „Aktion Bundesvorstand“ mit rund 100 Mitgliedern ausgewertet.

Pazderski hat das – im Vergleich zur extrem rechten Parteiströmung „Flügel“ – als gemäßigt geltende Lager um den Bundesvorstand von Jörg Meuthen auch über diese Gruppe maßgeblich mitorganisiert. Die Chats und das Buch zeigen neben der tiefen Spaltung der AfD, dass viele Mit­strei­te­r*in­nen den Kampf gegen den Flügel schon verloren glauben – nicht wenige liebäugeln mit dem Parteiaustritt.

Pazderski, der 2019 noch Vorsitzender des Bundespartei werden wollte, scheiterte damals am Widerstand des Flügels. Den Machtkampf um die Spitzenpositionen in der Berliner AfD für die im September anstehende Superwahl hat der 69-jährige pensionierte Bundeswehr-Oberst auch verloren: Erst wollte er erneut auf Platz 1 ins Abgeordnetenhaus, wurde dann aber in einem bissig geführten Machtkampf in der Fraktion demontiert. Schließlich zog er seine Kandidatur zugunsten seiner innerparteilichen Widersacherin Kristin Brinker zurück. Diese hatte ihm schon Anfang des Jahres mit Hilfe der Stimmen des Flügels das Wasser abgegraben im Kampf um den Landesvorsitz.

Die politische Zukunft des ehemaligen AfD-Chefs steht damit auf der Kippe: Zwar hat Pazderski ein Bundestagsmandat errungen – allerdings nur das auf dem wackeligen vierten Platz der Landesliste. Er steht damit hinter Beatrix von Storch, Gottfried Curio und Götz Frömming. Aktuell sitzt die AfD Berlin zwar mit vier Abgeordneten im Bundestag, allerdings erzielt die neoliberal-rassistische Partei derzeit in den Umfragen etwas niedrigere Werte als bei der Bundestagswahl 2017 (9 bis 11 statt 12,7 Prozent). Es ist also fraglich, ob Pazderski tatsächlich in den Bundestag einzieht.

„Ins zweite Glied zurückstellen lassen“

Während seiner Antrittsrede im Juni fing Pazderski an einer Stelle bezeichnenderweise sogar an zu stoibern. Nach ein bisschen Gehaspel versuchte er seine zunehmende Bedeutungslosigkeit umzudeuten: Man brauche Köpfe, die sich bewährt hätten und zeigten, „dass sie sich auch ins zweite Glied zurückstellen lassen, wenn es notwendig ist“, sagte Pazderski. Gewählt wurde er trotzdem – wohl auch dank seiner angeblich gemäßigten Rhetorik, die sich tatsächlich nur unwesentlich von der des Flügel unterscheiden lässt (inklusive Opfermythos, „Deutschland muss gerettet werden“, „politisch korrekte Zombies“ und, besonders aktuell: „Klimawahn“).

Aber auch aus AfD-Perspektive ist Pazderskis politische Bilanz verheerend: Die Abgeordnetenhausfraktion wäre in der vergangenen Legislatur unter seiner Führung beinahe zerbrochen. Mit­ar­bei­te­r*in­nen beklagten ein vergiftetes Klima und den autoritären Führungsstil des pensionierten Bundeswehr-Obersts. Es war die Rede von Mobbing, Burn-out und schlampigen Finanzen. Der Landesverband wurde nach mehreren gescheiterten Parteitagen nur noch von Notvorständen gelenkt. Im Juli des letzten Jahres gab es sogar einen offenen Brandbrief gegen Pazderski von der jetzigen Spitzenkandidatin und seiner Gegenspielerin Brinker, unterschrieben auch von den Flügel-Leuten der Fraktion.

Und so ist Pazderskis Abgang auch ein Sieg des Flügels der AfD Berlin. Höcke-Fanboy Thorsten Weiß wird wohl wieder in das Abgeordnetenhaus einziehen, ebenso Jeanette Auricht, Rolf Wiedenhaupt, Carsten Ubbelohde und Gunnar Lindemann. Brinker, die eigentlich als wirtschaftsliberal geltende finanzpolitische Sprecherin und jetzige Spitzenkandidaten, versucht derzeit gemäß der AfD-Wahlkampagne „Berlin. Aber normal“ das bürgerliche Aushängeschild zu sein für die sich radikalisierende Partei. Sie versprach allerdings vor ihrer hauchdünnen Wahl zur Vorsitzenden – unter dem Gejohle der Flügel-Leute – alle einzubinden.

Interview in geschichtsrevisionistischer Zeitschrift

Für diese Partei die Bürgerliche zu geben, fällt Brinker nicht immer leicht: Der Tagesspiegel berichtete gerade, dass sie der revisionistischen Zeitschrift Deutsche Geschichte vor rund einem Jahr ein Interview gegeben hat. Herausgeber der Zeitschrift ist der wegen Holocaustleugnung und Volksverhetzung verurteilte Gert Sudholt. Noch dazu soll der Interviewer, Christian Schwochert, enge Kontakte zur NPD unterhalten.

Kristin Brinker bestätigte, dass der Mann trotzdem AfD-Mitglied sei und sogar in einem Landesfachausschuss von ihr selbst mitgearbeitet hat. Brinker gab sich in Erklärungsnot überrascht. Den Mitarbeiter habe man entlassen, nachdem man Anfang des Jahres über dessen publizistische Tätigkeiten Bescheid gewusst habe.

Auch angesichts dessen dürfte Pazderski mit einiger Bitterkeit auf die Landesliste gucken, die er eigentlich anführen wollte. Auf taz-Nachfrage wollte sich Pazderski aus dem Urlaub nicht zu seiner politischen Zukunft äußern.

Klar ist jedoch: Im Bundestag dürfte es ihm nicht anders ergehen. Denn mit Tino Chrupalla und Alice Weidel sind klar vom Flügel unterstützte Personen die Spitzenkandidaten. Und das radikale Bundeswahlprogramm gibt sich nach Interventionen von Björn Höcke auf dem Programmparteitag nicht mal mehr die Mühe, einen bürgerlichen Anschein zu wahren – Dexit-, Querdenken- und Abschottungsforderungen inklusive.

In seinem Telegram-Chat schrieb Pazderski mit Blick auf Chrupalla und Höcke noch im September 2020: „Wir dürfen uns das Projekt AfD nicht von einem Malermeister und einem Sportlehrer kaputt machen lassen.“ Ungünstige Startvoraussetzungen, wenn es für Pazderski mit dem Einzug in den Bundestag klappen sollte.

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