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Demokratischer Fußball in ItalienInseln gegen das System

In Italien sind antikommerzielle Fanvereine wie Stella Rossa Spoleto wieder populär geworden. Sie erneuern linke Ideen des sozialen Zusammenhalts.

Italienischer Amateurfuß­ball: Selbst bei den Freizeit­kickern streben die Sponsoren nach Einfluss Foto: Pacific Press Agency/imago

Als sie den Roten Stern neu aus der Taufe heben, sind sie erstaunt, wie viele Menschen wieder mit dabei sind. Arbeiter, Polizisten, auch Leute vom Militär. Es ist keine homogen linke Klientel. „Der Name und die politische Einstellung haben sie nicht interessiert“, so erzählt es Yuri Di Benedetto. „Sie sind wegen ihrer Erinnerungen zurückgekommen.“ Weil sie als Kinder, im ersten Leben des Klubs Stella Rossa Spoleto, hier im Verein spielten; im Klub, der eine Kleinstadt prägte und wieder prägen soll.

Di Benedetto, um die 30, ist einer von denen, die dem Fußballverein Stella Rossa Spoleto zum zweiten Leben verholfen haben. Er sitzt beim Espresso in der Kleinstadt Spoleto in Umbrien im Café. Malerisch ist sie gelegen. Die Zugfahrt dorthin führt zwischen bewaldeten Bergen hindurch, immer wieder sieht man kleine Dörfer, pittoreske oder eher schnöde, und Zypressen am Wegrand. Spoleto, zurückgezogen und familiär, ist gewiss die richtige Stadt für eine Geschichte wie diese.

Yuri Di Benedetto ist selbst kein guter Fußballer, gesteht er, er boxt eigentlich. Und er war mal Kandidat der Kommunistischen Partei, aber mit denen, so ist auf seinem Instagram-Profil zu lesen, habe er sich persönlich und politisch überworfen. Seine Social-Media-Posts sind ziemlich martialisch für einen Linken, er ist sicher nicht das, was Sahra Wagenknecht einen Lifestyle-Linken nennen würde. Und seine Geschichte, die des Ortes, des Klubs, der Kommunistischen Partei, verflechten sich zu einem sehr italienischen Panorama des Calcio Popolare. Jenes Fußballs, den man grob als „demokratischen Fußball“ oder „Fußball des Volkes“ übersetzen könnte, oft gewachsen in kleinen Orten wie Spoleto, im Protest gegen den kommerzialisierten Spielbetrieb. Und doch nicht in völligem Dissens zum Glitzerbetrieb der EM. Es gehört zu den Widersprüchen dieser Welt, dass Di Benedetto das italienische Team mit Begeisterung schaut und, um ihnen kein Unglück zu bringen, nicht laut sagen will, dass er vom Titel träumt.

„Die Geschichte von Stella Rossa ist eine sehr einfache Geschichte“, so beginnt er. „Von einem kleinen Klub in der italienischen Provinz, der nicht schön gespielt hat, aber sich um die Jungs gekümmert hat, der wirklich für die Massen war.“ Stella Rossa Spoleto verdankt seine Existenz einem lokalen Helden: Cesare Maiocchi, einem ehemaligen Partisanen, der das Team unter diesem Namen 1958 aus der Taufe hob und jahrzehntelang selbst Kinder trainierte. Maiocchi ist über die Jahrzehnte zur überlebensgroßen Figur gewachsen. Di Benedetto und sein Kumpel Daniele Ubaldi, der später dazu stößt, Journalist und Ex-Trainer des Frauenteams von Stella Rossa, erzählen im Verlauf dieses Vormittags immer wieder die alten Geschichten, teils mehrfach dieselben.

Einer Nazi-Kolonne in den Weg gestellt

Wie Maiocchi schon unter den Faschisten einen Klub namens La Stella gründete und diese narrte, indem er behauptete, der Stern sei bloß ein Hoffnungssymbol für Jungs ohne Familie. Wie er sich 1944, als Stadtwächter verkleidet, einer Nazi-Kolonne in den Weg stellte und so den Partisanen Zeit zur Flucht schuf. „Hier geht’s nicht lang, hier ist Einbahnstraße.“ Und wie er später bei Stella Rossa eine desolate, stadtbekannte Taktik spielen ließ: alle beim Angriff nach vorn, alle zur Verteidigung zurück. Aussichtslose Klatschen nahm er mit Humor, einst soll er beim Stand von 0:6 gebrüllt haben: „Auf geht’s, die Gegner sind am Ende, jetzt habt ihr sie in der Tasche!“

„Er hat keine großen Meister geschaffen, aber viele Jungs von der Straße geholt“, erzählt Ubaldi, der selbst als Kind bei Stella Rossa spielte. Und er schuf Solidarität, die hielt. „Es war der günstigste, offenste, sportlich am wenigsten ehrgeizige Verein der Stadt“, so Di Benedetto. In den Neunzigern aber wurde das Überleben für den Roten Stern schwerer, die Gelder weniger, die Kommunistische Partei zahlte nicht mehr. Der Alte starb, der Klub zerfiel.

All das ist wichtig, um zu verstehen, wieso Yuri Di Benedetto und MitstreiterInnen diesen Verein 2017 wieder aus dem Grab hoben. Es war vor allem der Erinnerung an den alten Partisanen geschuldet, aber auch neuen Ideen. Das zweite Stella Rossa entstand in Kooperation mit einer Bücherei, hatte ein Frauenteam und Kulturprojekte. „Fußball und Lesen, Körper und Geist“, nennt es Di Benedetto. „Wir verstehen Sport kulturell, wir wollen das nicht trennen.“ Sie bestritten Spendenturniere für Kultureinrichtungen, für Geflüchtete oder Erdbebenopfer, auch politische Turniere, etwa zu Ehren des sozialistischen Revolutionärs Thomas Sankara. Und eigentlich sollte daraus wieder ein Ligateam werden. Allein, daraus wurde nichts. Denn die Gesellschaft und der Fußball hatten sich in der Zwischenzeit verändert.

Der Calcio Popolare ist in den letzten Jahrzehnten in Italien sehr populär geworden. Immer wieder gründen Fans aus Protest kleine Klubs auf Amateur­ebene, und in dem Land, wo es lange kaum einen Fanverein gab, blühen nun viele. Aber sie sind auch in ständigem Zwiespalt zwischen ihren Idealen und der Realität.

„Deutscher Romantizismus“

Yuri Di Benedetto rechnet vor. 10.000 Euro im Jahr koste es heute allein auf unterstem Niveau, ein Amateurteam zu betreiben; Platzgebühren, Reisekosten, Verwaltungsaufwand, Ausstattung. „Dafür brauchst du Sponsoren von außen. Aber die wollen Garantien und Einfluss.“ Einen Sponsor hatte Stella Rossa nie. Es ging ihnen vor allem anderen um eine bessere Gesellschaft; der Fokus lag, wenn man so will, zu wenig auf Fußball. Eigentlich, glaubt Di Benedetto, hätte man sich von Anfang an nur auf Fußball konzentrieren müssen.

Daniele Ubaldi, der Journalist, nennt die Ideen des Calcio Popolare einen „sehr deutschen Romantizismus“. Und in Reinform ist er schwer mit dem Fußball-Kapitalismus zu versöhnen. Auch den Mitgliedern fehlte es neben der Lohnarbeit an Zeit, alles zu organisieren. „Einen Ligabetrieb“, sagt Yuri Di Benedetto, „können wir nicht leisten.“ Stella Rossa Spoleto ist deshalb heute ein Erinnerungsteam, das nicht trainiert und nur auf Abruf antritt. Mehr eine Idee als ein Klub. Verbunden mit einer vagen Hoffnung, dass irgendwann anderes möglich ist. Einen Einfluss aber soll es durchaus haben.

Während wir sprechen, kommen immer wieder Menschen am Café vorbei, halten kurz an, plaudern. „Das ist Italien“, grinst Di Benedetto entschuldigend. Und diese Nähe hält er auch für einen Grund, warum es hier viele kleine Geschichten wie die von Stella Rossa gebe. „Obwohl es so viel Profitstreben gibt, Individualismus, alles, was am Kapitalismus abstoßend ist, gibt es hier viel Zusammenhalt an der Basis, und das liegt an der italienischen Geografie. Kleine Kommunen und Dörfer, wo alle gemeinsam aufwachsen, als Freunde. Das ist noch kein systemischer Wandel, aber es macht die Gesellschaft etwas menschlicher.“

Stets solida­risch, stets ohne großen Ehrgeiz: das Team von Stella Rossa Spoleto Foto: Foto: Stella Rossa Spoleto

Darum müsse es auch bei Stella Rossa Spoleto gehen: Erst mal den verbliebenen menschlichen Zusammenhalt bewahren. Und dann irgendwann Politik machen. Die Region ist nicht nur vom Lokalhelden Cesare ­Maio­cchi links geprägt; Di Benedetto fährt mich zur Arbeitersiedlung, so errichtet, dass die Häuser von oben Hammer und Sichel bilden. Sein eigener Vorname, Yuri, ist nebenbei auch kein Zufall – der Vater, ein Kommunist, benannte ihn nach Juri Gagarin.

Gutes für die kleine Welt

Über den Sport baute die Kommunistische Partei in den Dörfern ein Netzwerk auf, die Roten Sterne. „Die Partei ist gefallen, aber das Netzwerk und die Vereine sind geblieben.“ Und wenn es nach Di Benedetto geht, sollen diese Klubs soziale Inseln sein, die die Menschen wieder verbinden. Dass das schwer ist, weiß er. Die berühmtesten fangeführten Klubs in Italien, CS Lebowski in Florenz oder ASD Quartograd in Neapel, seien eigentlich nicht so sehr politisch.

Die kleinen, politischen Klubs wie Stella Rossa wiederum seien unbekannt. Was können sie überhaupt verändern? „Die kleinen Klubs sind sicherlich tolle Beispiele, die in ihrer kleinen Welt Gutes bewirken. Aber um wirklich etwas zu verändern, musst du groß und sichtbar sein. Dafür musst du am Wettbewerb teilnehmen und gewinnen, und dafür musst du Regeln einhalten. Und die Regeln macht der Kapitalismus. Das ist der Teufelskreis.“

Der Teufelskreis sehr vieler Fanvereine und selbstverwalteter Klubs. Er ist die alte linke Frage: Ins System hinein oder draußen bleiben? Wer hinein geht, schafft Sichtbarkeit. Und steht im Fußball sofort unter Zwängen, die das Projekt viel stärker verändern als geahnt. Einige gehen daran kaputt.

Das alte Feld von Stella Rossa ist heute überwuchert, die Ersatzbank steht im hohen Gras; ein Bild irgendwo zwischen romantischer 11-Freunde-Ästhetik und allzu viel Verwahrlosung. Ein Team, das mehr in der Vergangenheit lebt statt in der Gegenwart. Und dennoch für die Zukunft wirken soll. Werte pflegen, Geschichte am Leben halten, so nennt es Yuri Di Benedetto. „Ich hoffe immer, dass wir etwas verändern können.“ Jedenfalls auf der kleinen Insel.

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