: Stadtbild wird etwas weiblicher
Im neuen Hulsberg-Viertel werden alle Straßen nach Frauen benannt. Parität auf Bremens Straßenschildern ist damit noch nicht erreicht
Von Teresa Wolny
Kämpferinnen gegen den Faschismus, Ärztinnen, eine Heimatforscherin: Im neuen Hulsberg-Viertel in der Östlichen Vorstadt bekommen künftig gleich sieben Frauen die Ehre einer Straßenbenennung. Das beschloss der dortige Beirat Mitte Mai – Straßenbenennungen sind in Bremen Sache der Beiräte.
Über 5.300 Straßen gibt es in Bremen. Kommen neue dazu, sollen diese bevorzugt nach Frauen benannt werden. So will es ein Beschluss des Senats von 2008, den Bausenatorin Maike Schaefer (Grüne) vor zwei Jahren mit einem Schreiben an die Ortsämter noch einmal bekräftigt hat. Frauen sollen, heißt es da, bei der Straßenbenennung so lange bevorzugt werden, bis auf den Straßenschildern ungefähr Parität herrscht. Davon sei man aber „noch ein gutes Stück entfernt“.
Rat vom Frauenmuseum
Wie weit genau, weiß man beim Amt für Straßen und Verkehr (ASV) jedoch nicht – denn eine Statistik nach Geschlechtern bei Straßenbenennungen wird dort nicht geführt. Ausnahmen von der weiblichen Benennung können etwa bei niederdeutschen Namen oder bei Akteuren der Bremer Räterepublik gemacht werden.
Das neue Hulsberg-Viertel entsteht auf dem früheren Gelände des Krankenhauses Mitte. Das neue städtische Quartier, das dort auf 14 Hektar entstehen soll, ist momentan aber noch im Bau. Beiratssprecher Steffen Eilers (Grüne) rechnet mit der Aufstellung der Straßenschilder frühestens 2022.
Unterstützung bei der Recherche der Namen bekam der Beirat durch das Bremer Frauenmuseum, aber etwa auch ein Dutzend Anträge wurden von „lokalhistorisch interessierten Personen“ eingereicht, so Eilers. Fünf davon haben es durch die Abstimmung geschafft, etwa die Benennung nach Hanna Lampe, Autorin und Heimatforscherin aus Bremen. Sie wuchs in unmittelbarer Nachbarschaft des Hulsberg-Viertels auf dem Wischhof in der Schaumburger Straße auf. Lampe entwickelte früh eine Begeisterung für Heimat und Familienforschung. In ihrem Buch „Die Dörfer Hastedt und Schwachhausen“ etwa beschrieb sie die Geschichte der Bauernhöfe bis ins 12. Jahrhundert. Praktisch ihr ganzes Leben lang wühlte sie sich durch das Bremer Staatsarchiv, das sie nach dem Wischhof ihre „zweite Heimat“ nannte.
Ein Lokalbezug ist wichtig
Louise Franziska Aston (1814–1871) war Schriftstellerin und lebte ein für damalige Verhältnisse extravagantes Leben – sie trug Männerkleidung und rauchte auf der Straße. Am Krieg zwischen Schleswig und Dänemark 1848 nahm sie als Pflegerin auf Seiten der deutschen Nationalbewegung teil.
Gesine Becker (1888–1968), wurde 1910 Mitglied der Bremer SPD und war 1918 Mitbegründerin der Internationalen Kommunistischen Partei (IKP) in Bremen. Sie war aktiv an den Ereignissen der Bremer Räterepublik beteiligt und unter den drei ersten Frauen in der Bürgerschaft diejenige mit den meisten Redebeiträgen.
Martha Friedländer (1896–1978), Pädagogin für Sprachheilkunde, war Mitglied im Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), der ab 1930 versuchte, eine Abwehrfront gegen den Faschismus aufzubauen. 1936 emigrierte sie erst nach Dänemark und dann nach Großbritannien. Ab 1947 leitete sie die Sprachheilschule in Bremen.
Helga Krüger (1940–2008), Professorin für Soziologie an der Universität Bremen. Sie forschte unter anderem zur Gleichstellung der Geschlechter in Bildung, Beruf und Kindererziehung. Sie war Gründungsmitglied des Studiengangs Lehramt Pflegewissenschaft in Bremen und Mitglied der Sachverständigenkommission für den siebten Familienbericht des Familienministeriums 2006.
Anna Wilhelmine Stemmermann (1874–1928) studierte in Göttingen, Freiburg und Bonn Medizin und promovierte in Leipzig. 1907 eröffnete sie ihre Praxis am Fedelhören und war die erste und bis 1920 die einzige zugelassene Ärztin in Bremen.
Adele Amalie Tobias (1872–1941), Ärztin. Während sie in Göttingen nur Gasthörerin sein durfte, war ihr in Heidelberg später ein reguläres Medizinstudium erlaubt. Sie war die erste Assistenzärztin in der Krankenanstalt St.-Jürgen-Straße, dem heutigen Klinikum Bremen Mitte.
Hanna Lampe (1897–1996), Heimatforscherin (Foto links)
Rund 300 Frauen mit besonderen Lebensleistungen hat das Frauenmuseum auf einer Liste. Sie alle könnten in Zukunft mit einer Straße geehrt werden. Jede Frau kommt dabei nicht für jeden Stadtteil in Frage: „Die Namen müssten zum Quartier passen“, sagt Regina Contzen vom Bremer Frauenmuseum. In Gesprächen mit den Beiräten werde ermittelt, welche Stadtteilbezüge es gebe.
In die Überseestadt passe etwa keine Paula-Modersohn-Becker-Straße. Tatsächlich ist nach der berühmten Malerin, die viele Jahre ihres Lebens in Bremen und Worpswede lebte, bisher nur ein kleiner Steg an der Kunsthalle benannt. Wenigstens etwas, sagt Contzen. „Dafür, dass sie eine weltberühmte Künstlerin war, aber ziemlich jämmerlich“.
Auf dem ehemaligen Krankenhausgelände am Hulsberg haben viele der mit Straßenschildern geehrten Frauen einen medizinischen oder pflegerischen Hintergrund. Wie zum Beispiel Anna Wilhelmine Stemmermann: Sie war nicht nur die erste zugelassene Ärztin in Bremen, sondern blieb ziemlich lange, von 1907 bis1920, auch die einzige.
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