piwik no script img

Politische Resignation in BelarusSinus-Stimmungen

Werden wir siegen? Oder werden wir alle erschossen? Die Stimmung fährt Achterbahn. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 81.

Arbeiten und Steuern bezahlen, damit die Omon-Leute weiterhin Freunde schlagen und töten können Foto: ITAR-TASS/imago

D ie derzeitige Stimmung in der belarussischen Bevölkerung wird sehr gut durch einen Cartoon illustriert, auf dem eine Sinuskurve zu sehen ist. An den Hochpunkten steht: „Wir werden siegen“, an den Tiefpunkten: „Wir werden alle erschossen“. In jedem Witz steckt bekanntlich ein bisschen Humor, der große Rest ist die Wahrheit. Und an diesem Cartoon kann man deutlich erkennen, wie die Volksseele quasi wie auf einer Schaukel hin- und herfliegt.

Es ist schwierig, gleichbleibend gute Laune zu bewahren, während die Repressionen immer stärker werden, Gesetze nicht mehr gelten und Menschen, die ganz offensichtlich psychisch krank sind, nicht ärztlich behandelt werden.

Записки из Беларуси

Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.

Swetlana Tichanowskaja ist ohne Zweifel eine gute Frau und bemüht sich auf internationaler Ebene. Aber wie lange wird sie ihre Europa-Tournee wie ein Rockstar noch fortsetzen können, wenn es keine konkreten Ergebnissen gibt? Unwillkürlich denkt man darüber nach, ob die Politiker sie überhaupt ernst nehmen oder ob es ihnen genügt, ihr tiefes Bedauern darüber auszudrücken, was in unserem Land passiert.

Es macht mich sehr traurig, dass die Hälfte meiner Freun­d*in­nen im Gefängnis sitzt, und die andere Hälfte in die Emigration gezwungen wurde. Fragte man mich, ob die Proteste vorbei seien, wüsste ich keine Antwort. Weil es fast niemanden mehr gibt, der überhaupt auf die Straße gehen könnte. Die meisten Menschen klammern sich verzweifelt daran fest, dass sie Kinder haben, die sie versorgen müssen, Kredite, die es abzuzahlen gilt. Und gehen deshalb weiter zur Arbeit und zahlen Steuern, mit denen die Gehälter der OMON-Leute (Sondereinheit der Polizei, die vor allem gegen De­mons­tran­t*in­nen eingesetzt wird, Anm. der Redaktion) gezahlt werden, die dann ihre Freunde und Nachbarn schlagen und töten. Wo ist der Sinn?

Janka Belarus

ist 45 Jahre alt und lebt und arbeitet in Minsk. Das Lebensmotto: Ich mag es zu beobachten, zuzuhören, zu fühlen, zu berühren und zu riechen. Über Themen schreiben, die provozieren. Wegen der aktuellen Situation erscheinen Belarus' Beiträge unter Pseudonym.

Wo bleibt bei ihnen der Wunsch zu erfahren, wie die Zukunft für ihre Kinder aussehen wird. Lukaschenko hat es schon geschafft, das Land in seiner Entwicklung um mindestens ein halbes Jahrhundert zurückzuwerfen. Er möchte die Sowjetunion in ihrer schlimmsten Erscheinungsform wiederbeleben. Seine Beziehung zu Putin bringt einen auf den Gedanken, dass er das Land einfach verkauft. Und dass er auf die Unabhängigkeit von Belarus pfeift, und nur an seinen eigenen Vorteil denkt.

Und die Be­la­rus­s*in­nen zeigen keine Solidarität, z.B. durch einen Generalstreik, an dem sich alle beteiligen. Aber brauchen sie ein neues Belarus und ein neues Leben, oder eine fortdauernde Sklaverei? Und leidenschaftlichen, engagierten Menschen stellt sich die logische Frage: lohnt es sich für mich, meine Gesundheit, Freiheit und vielleicht sogar mein Leben zu opfern für solche Mitmenschen?

In Belarus gibt es das Sprichwort: „Meine Hütte steht am Rand“ (deutsche Entsprechung: „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts“, Anm. d. Redaktion). Also im übertragenen Sinne: „Das ist nicht meine Sache“. Oder auch, dass mein Haus das letzte an der Straße ist und das, was im Zentrum passiert, mich nicht betrifft.

Aber wenn man sich das Bild mit dem Haus am Rande mal näher anschaut, dann versteht man, dass bei einem Überfall oder einem Angriff genau dieses Haus als erstes niederbrennt. Die Be­la­rus­s*in­nen mit ihren „Krediten und Kindern“ sollten darüber nachdenken. Und darüber, wie es um ihre Würde bestellt ist.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare