corona in hamburg: „Der Druck auf unsere Arbeit hat sich erhöht“
Jan Henrik Hellwegeist Geschäftsführer der Hamburger Tafel.
Interview Lukas Door
taz: Herr Hellwege, gibt es im Moment genug Essen zu verteilen?
Jan Henrik Hellwege: Ja, im Moment haben wir genug Lebensmittel, um die Bedürftigen, die zu uns kommen, zu unterstützen. Allerdings erfahren wir in den Sommermonaten meist einen Rückgang der Lebensmittelspenden. Daher sind wir unsicher, ob es auch in den kommenden Monaten noch reichen wird.
Wie sah es in der Pandemie aus?
Zu Beginn der Pandemie haben wir gerade bei länger haltbaren Lebensmitteln einen extremen Engpass erlebt. Auch das tägliche Abholen in den Supermärkten passierte unregelmäßig. Man wusste oft nicht einmal, ob man am nächsten Tag etwas bekommen würde. Mittlerweile hat sich das stabilisiert.
Merken Sie dann überhaupt noch einen Unterschied zu den Zeiten vor Corona?
Wir erleben immer noch einen erhöhten Zulauf an den Ausgabestellen, die wir beliefern. Seit Beginn der Pandemie haben wir fünf neue Stellen eröffnet. Für die braucht man offensichtlich dann auch mehr Lebensmittel.
Woher kommt die erhöhte Bedürftigkeit?
Das liegt daran, dass bestimmte Branchen seit über einem Jahr komplett lahmgelegt sind. Die Berufsgruppen der Bedürftigen haben sich demnach erweitert. Es sind neue Menschen an den Ausgabestellen hinzugekommen. In manchen Stadtteilen können wir das Hilfsangebot momentan auch nicht so umfangreich darstellen, wie es vielleicht gebraucht würde.
Und wer sind diese neuen Menschen?
Das können Personen sein, die sich zuvor vielleicht noch mit Ersparnissen über Wasser halten konnten. Dadurch, dass sich das Ganze aber immer länger streckt, sind die Ersparnisse aufgebraucht.
Ist Ihnen eine Person im Kopf geblieben?
Ich kenne einen Lichttechniker, der vor Corona noch für viele Veranstaltungen und Konzerte gebucht worden war.
Durch das Schließen der Schulen können Kinder ja gerade nicht in Kantinen essen, was sicherlich auch einige Familien belastet …
Durch das wechselnde Öffnen und Schließen der Schulen haben wir im Endeffekt auch viele Lebensmittel in Schulkantinen abgeholt. Dass Kantinen schließen müssen, ist für viele Familien sehr problematisch. Das führt entsprechend dazu, dass mehr Familien zu den Ausgabestellen kommen.
Können Sie also bestätigen, dass die Pandemie zu mehr Armut in Hamburg geführt hat?
Sie hat auf jeden Fall den Druck auf unsere Arbeit als Tafel erhöht. Leider erwarte ich auch eine weitere Steigerung in der zweiten Jahreshälfte. Ich glaube, dass uns diese Entwicklung noch ins Jahr 2022 begleiten wird. Ich befürchte, die wirklich gravierenden wirtschaftlichen Folgen kommen erst noch.
Haben Sie konkrete Forderungen an die Politik, um der Armut besser zu begegnen?
Politik ist von der Tafelarbeit unabhängig zu sehen. Was für staatliche Hilfeleistungen im Einzelnen existieren, wie diese funktionieren oder wofür die Menschen ihr Geld ausgeben – all das können wir nicht bewerten. Wir können am Ende nur den Menschen helfen, die Lebensmittel benötigen.
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