piwik no script img

1. Mai-Proteste in HamburgKritik an Polizeieinsatz wächst

Polizist:in­nen sollen De­mo­sa­ni­tä­te­r:in­nen an ihrer Arbeit gehindert haben. Die Grünen fordern Aufklärung, die SPD kritisiert die Kritik.

Festgesetzt: Polizeikessel an den Hamburger Messehallen am 1. Mai 2021 Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Hamburg taz | Der Einsatz der Hamburger Polizei am 1. Mai gerät von mehreren Seiten immer weiter in die Kritik. Einzelne Mitglieder der Grünen-Bürgerschaftsfraktion beklagen das ruppige Vorgehen der Polizei. Zudem schildern mehrere Sa­ni­tä­te­r:in­nen, wie sie von der Polizei an ihrer Arbeit gehindert wurden. Sie seien über einen längeren Zeitraum eingekesselt und so davon abgehalten worden, medizinische Hilfe für De­mons­tran­t:in­nen zu leisten.

Sechs Sa­ni­tä­te­r:in­nen vom Sanitätsnetzwerk Hamburg waren den Tag über im Einsatz, um bei Bedarf medizinische Hilfe zu leisten. So auch am Samstagabend am Hauptbahnhof. Zwar war die „Revolutionäre 1. Mai“-Demo vom „Roten Aufbau“ zuvor von der Versammlungsbehörde untersagt worden, dennoch versammelten sich etwa 600 Menschen.

Die Polizei drängte die Masse vom Bahnhof nach St. Georg ab. „Wir als Sa­ni­tä­te­r:in­nen begleiteten diese, um bei möglichen Verletzungen helfen zu können“, sagen Sandra Berg und Alexander Klein vom Sanitätsnetzwerk, in dem sich professionelle Sa­ni­tä­te­r:in­nen ehrenamtlich engagieren. Mehrere Hundert Be­am­t*in­nen hätten die Protestierenden umstellt, der Mindestabstand habe so nicht mehr eingehalten werden können. Unter den Eingekesselten seien vier Demosanis gewesen.

„Wir wurden festgehalten und bekamen Ordnungswidrigkeiten angedroht wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Versammlung“, sagen Berg und Klein. An ihrer medizinischen Ausrüstung seien sie klar als Sa­ni­tä­te­r:in­nen zu erkennen gewesen.

Demo-Sanis

Ehrenamtlich sind Sanitäter:innen auf Demos unterwegs, um im Notfall medizinische Ersthilfe zu leisten.

Ein Urteil eines Berliner Amtsgerichts sorgte 2017 für Irritationen: Das Gericht wertete Sanis als gewöhnliche Demo-Teilnehmende.

Damit stand infrage, ob sie in Zukunft ihrer Tätigkeit noch nachgehen können – als Teilnehmende dürften sie sich nicht mit Helmen oder Masken schützen, weil dies als verbotene Schutzbewaffnung gelten würde.

In der Berufung hob das Landgericht Berlin das Urteil jedoch auf.

Gerichtlich ist seit 2018 geklärt, dass Sa­ni­tä­te­r:in­nen nicht als Teilnehmende einer Demonstration anzusehen sind, das betonen auch Berg und Klein. „Es ist ein Skandal, wie unsere notwendige Arbeit eingeschränkt wird, allen Ver­samm­lungs­teil­neh­me­r:in­nen eine umfassende und qualifizierte sanitätsdienstliche Versorgung zukommen zu lassen“, sagen die beiden Sprecher:innen. Erst nach knapp zwei Stunden seien sie aus dem Kessel gekommen.

Auf Nachfrage erklärt ein Polizeisprecher: „Die sogenannten Demo-Sanitäter wurden als mögliche Teilnehmer gerichtlich untersagter Versammlungen angesehen. Aus diesem Grund wurden die Personalien festgestellt.“

Mehrere Linken-Politiker hatten sich über den eskalativen Polizeieinsatz und die „grundrechtsfeindliche Haltung des Senats“ erbost. Die Grüne Fraktionschefin Jennifer Jasberg schrieb auf Twitter, es beschäme sie, dass Hamburg erneut Bilder von Auseinandersetzungen zwischen De­mons­tran­t:in­nen und Polizei sende, die Fragen zur Verhältnismäßigkeit aufwerfen.

Auch andere grüne Bürgerschaftsabgeordnete hinterfragten das Einsatzkonzept. „Die an verschiedenen Stellen geäußerten Vorwürfe am Einsatz der Polizei müssen aufgeklärt werden“, fordert die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Sina Imhof.

Grundsätzlicher als Grüne und Linke äußert sich die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen: Sie sieht einen neuen rechtsstaatlichen Tiefpunkt erreicht. Weder die Demoverbote der Versammlungsbehörde noch deren gerichtliche Bestätigung seien juristisch nachvollziehbar. Die Verwaltungsgerichte hätten die Verbote keiner ernsthaften Prüfung unterzogen. „Diese versammlungsfeindliche Rechtsprechung steht in der Tradition eines besonderen Hamburger Wegs, der im Rahmen der G20-Proteste zu trauriger Berühmtheit gelangte“, beklagt die Vereinigung.

Erwartungsgemäß sieht die Polizei das anders. „Unser Ziel war es, die Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, ohne aber die gute Entwicklung beim Gesundheitsschutz zu gefährden“, behauptete die Pressestelle schon am Samstagabend. Auch die SPD verbittet sich Kritik an der Polizei: „Die teils harsche Kritik ist unangemessen“, sagt Sören Schumacher, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, offenbar mit Blick auf die Kritik des grünen Koalitionspartners.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare